TNr. 41: Bedeutende Grundbesitzwert-Feststellungen

Der ORH hat 2017 in einer Follow-up-Prüfung bei drei Finanzämtern (FÄ) untersucht, wie bei der Bedarfsbewertung eine von ihm im Jahresbericht 2010[1] empfohlene risikoorientierte Arbeitsweise mit einer intensiveren Prüfung bedeutender Fälle umgesetzt wurde.
41.1 Ausgangslage
Das Erbschaftsteuer-Aufkommen betrug in Bayern 2016 über 1,7 Mrd. €. Ein erheblicher Teil entfällt auf Grundbesitzwerte. Für die Festsetzung der Erbschaftsteuer fordern die Erbschaftsteuer-Stellen von den Bewertungsstellen der FÄ eine Wertermittlung an. Dabei können sie ihre Anforderung mit Hinweisen auf betragsmäßig bedeutsame Fälle versehen oder auf Fälle hinweisen, in denen die Erbschaftsteuererklärung besondere Sachverhaltsermittlungen zum Grundstückswert nahelegt.
Die Bewertungsstellen fordern vom Steuerpflichtigen eine Feststellungserklärung an und stellen die Grundbesitzwerte in einem eigenen Verfahren gesondert fest (Bedarfswertverfahren).[2]
Die Werte aus den Feststellungserklärungen ungeprüft zu übernehmen, birgt
- gerade bei höheren Grundbesitzwerten - erhebliche Risiken. Erfahrungsgemäß führt der Abgleich von Angaben aus Steuererklärungen mit Daten, die den Bewertungsstellen intern verfügbar sind, immer wieder zu relevanten Abweichungen.
Der ORH hatte deshalb schon 2009 und 2010 Arbeitsorganisation und Verfahrensweisen bei der Grundstücksbewertung untersucht. Bei der Bedarfsbewertung stellte er Bearbeitungsdefizite fest und empfahl eine an der steuerlichen Bedeutung ausgerichtete Arbeitsweise und eine intensivere Prüfung bedeutender Bedarfswert-Fälle (risikoorientierte Arbeitsweise).
Nach dem Landtagsbeschluss vom 09.06.2011[3] zum Jahresbericht des ORH sollte das Finanzministerium die Bewertungsstellen neu organisieren und dem Landtag hierüber berichten.
In seiner abschließenden Stellungnahme vom Dezember 2012 berichtete das Finanzministerium dem Landtag:
- Die risikoorientierte Arbeitsweise sei in den Bewertungsstellen bereits eingeführt worden.
- Grundsätze und Kriterien für eine risikoorientierte Bearbeitung seien in die Dienstanweisung für die Bewertungsstelle aufgenommen worden und außerdem Thema bei allen Fortbildungsveranstaltungen.
- Im Rahmen der Dienstbesprechung mit den Bewertungsstellen 2013 sei geplant, zu dieser Thematik einen Erfahrungsaustausch mit dem Ziel einer Evaluierung durchzuführen.
41.2 Feststellungen
41.2.1 Risikoorientierte Arbeitsweise
Die Finanzverwaltung führte Risikohinweise bei der Bedarfswert-Anforderung ein, die die Erbschaftsteuer-Stellen verwenden können, um auf die höhere steuerliche Bedeutung aufmerksam zu machen. Seitdem konnten diese allgemein auf einen „bedeutenden Steuerfall“ hinweisen, waren dazu aber nicht verpflichtet.
Daneben pilotierte das Bayerische Landesamt für Steuern (LfSt)LfSt) verschiedene fallspezifische und wertorientierte Risikohinweise, etwa widersprüchliche Angaben zu Grundstückswerten. Das Projekt läuft seit über fünf Jahren, ohne dass dessen Anwendung und Wirkung bisher evaluiert worden wäre.
Eine Projektgruppe des LfSt formulierte 2011 auch einen Vorschlag, Risikokriterien für einzelne Berechnungsgrundlagen einzuführen, die auf bestimmte Grundstücksmerkmale abstellen. Für die Intensivprüfung solcher Fälle und spezielle Rechtsprobleme sollte außerdem eine Arbeitshilfe zur Verfügung gestellt werden. Diese Vorschläge wurden jedoch nicht aufgegriffen.
41.2.2 Arbeitsqualität
Die Höhe des Grundbesitzwerts stellt ein wesentliches Indiz für die steuerliche Bedeutung einer Bedarfswert-Feststellung dar. Der ORH wählte daher für seine Stichprobe Fälle mit einem Grundstückswert von mindestens 500.000 €. In den 229 untersuchten Fällen stellte der ORH fest:
- 84 (27%) Bedarfswert-Anforderungen von Erbschaftsteuer-Stellen enthielten den allgemeinen Hinweis auf einen „bedeutenden Steuerfall“. Erhebungen bei der Erbschaftsteuer-Stelle eines Finanzamts zeigten aber, dass auch Bedarfswerte aus Anforderungen ohne diesen Hinweis zu hohen Folgesteuern führten.
- In keinem Fall waren Hinweise der Erbschaftsteuer-Stellen auf spezifische Risiken feststellbar, die das LfSt pilotweise eingeführt hatte.
- In 151 Fällen (66%) änderten die Bewertungsstellen Angaben in den von den Steuerpflichtigen abgegebenen Feststellungserklärungen. Die meisten Änderungen resultierten aus dem Abgleich mit im Finanzamt vorhandenen Datenquellen, wie Bodenrichtwert-Karten für den Bodenwert oder Immobilien-Marktberichten für den Liegenschaftszinssatz.
- Bearbeitungsmängel, meist unzureichende Sachverhaltsermittlungen, wiesen 73 Fälle (32%) auf. Zum Beispiel wurden erklärte Mieten auch dann ungeprüft übernommen, wenn sie auffällig niedrig oder nur in einer Summe für alle Wohn- und Gewerbeeinheiten angegeben waren. Ohne eine Einzelaufstellung konnte das Finanzamt aber nicht erkennen, ob einzelne Einheiten davon leer standen, eigengenutzt oder verbilligt überlassen wurden. Für diese wäre dann die übliche Miete anzusetzen gewesen.
41.2.3 Situation im Finanzamt München
München ist in Bayern, aber auch im Vergleich mit anderen deutschen Städten die Region mit den teuersten Grundstücken. Der Anteil bedeutender Steuerfälle mit größeren Steuerrisiken ist im Finanzamt München deutlich höher als in den meisten anderen FÄ.
Die Bedarfsbewertungsstelle des Finanzamts München war in den letzten Jahren 60 bis 70% unter dem Personal-Zuteilungssoll besetzt. Zum Zeitpunkt der Prüfung lag die Ist-Besetzung mit 7,9 VZK deutlich unter dem Zuteilungssoll für das Jahr 2017 von 19,78 VZK. Diese Besetzung führte, neben den Bearbeitungsmängeln, zu hohen Arbeitsrückständen und sehr langen Bearbeitungszeiten von im Durchschnitt mehr als 1,5 Jahren.
41.3 Würdigung
Angesichts des bedeutsamen Erbschaftsteuer-Aufkommens ist die Qualitätssicherung für die Bedarfsbewertung unzureichend.
Der ORH empfiehlt, bei der Bedarfswertanforderung durch die Erbschaftsteuer-Stellen spezifische wertorientierte Risikohinweise einzuführen. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass die allgemeinen Hinweise auf bedeutsame Steuerfälle im Hinblick auf Folgesteuern unzureichend waren.
Die Steuerverwaltung hält zwar Kriterien und Grundsätze für eine risikoorientierte Bearbeitung in den Bewertungsstellen für richtig und wichtig, formulierte hierfür aber bisher keine konkreten Regelungen. Der Hinweis in der Bedarfswert-Anforderung auf einen „bedeutenden Steuerfall“ kann nur ein, aber nicht das alleinige Kriterium für eine Intensivprüfung sein, da auch viele Fälle ohne diesen Hinweis höhere Steuerrisiken beinhalten.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der ORH:
- generelle Bearbeitungsstandards, zu denen vor allem der dokumentierte Abgleich von Erklärungsangaben mit den Daten gehört, die in den Bewertungsstellen intern verfügbar sind (z.B. Grundstücksfläche, Bodenrichtwert, Marktdaten von Gutachterausschüssen) und
- für andere Prüffelder, die aufwendigere Ermittlungen und Berechnungen erfordern können (z.B. Mieten), eine differenzierte, von bestimmten Risikomerkmalen und -grenzen abhängige Bearbeitung.
Entsprechende Bearbeitungsgrundsätze sollte die Verwaltung in einem Praxisleitfaden konkret festlegen.
Da die Erbschaftsteuer-Stellen von den spezifischen Hinweismöglichkeiten in den geprüften Fällen keinen Gebrauch gemacht haben, hält der ORH die Evaluation der möglichen Risikohinweise bei der Bedarfswert-Anforderung für überfällig.
Risikoerwägungen sollten auch Einfluss auf die Personalbesetzung haben. Der ORH sieht daher einen Widerspruch darin, wenn gerade die Bedarfsbewertungsstelle des Finanzamts München mit dem wohl höchsten Risikopotenzial in Bayern derart unter dem Zuteilungssoll besetzt ist. Eine den Bearbeitungsschwerpunkten angemessene Personalbesetzung kann dazu beitragen, den großen Bearbeitungsstau abzubauen und kürzere Bearbeitungszeiten zu erreichen.
41.4 Stellungnahme der Verwaltung
Das Finanzministerium teilt mit, es habe die Empfehlungen des ORH weitgehend aufgegriffen:
- Das LfSt habe für die Bedarfsbewertung inzwischen einen Praxisleitfaden erarbeitet. Dieser enthalte - neben Regelungen zur Bearbeitung eines sog. Risikofalls - generelle Risikomerkmale und -grenzen sowie allgemeine Hilfestellungen. Die Anregungen des ORH zu Bearbeitungsstandards und Prüffeldern für eine risikoorientierte Bearbeitung seien zum Großteil in den Leitfaden aufgenommen worden.
- Die Risikohinweise bei der Bedarfswert-Anforderung habe das LfSt überarbeitet. Deren Verwendung werde bei künftigen Geschäftsprüfungen des LfSt überprüft und evaluiert.
- Die Bedarfsbewertungsstelle des Finanzamts München sei bereits Ende 2017 in einem ersten Schritt um fünf Bearbeiter aufgestockt worden. 2018 würden voraussichtlich weitere drei Kräfte zugeführt. Im Herbst 2018 werde die Personal- und Arbeitssituation in zeitlichem Zusammenhang mit der Personalverteilung nochmals überprüft.
41.5 Schlussbemerkung
Das LfSt hat 2018 mit einem neuen Praxisleitfaden konkrete Regelungen für eine risikoorientierte Bearbeitung formuliert. Deren Einführung war überfällig, nachdem der ORH hierauf bereits im Jahresbericht 2010 hingewiesen hatte. Der ORH empfiehlt, die Risikohinweise der Erbschaftsteuer-Stellen zu verbessern und die Bearbeitungsqualität bei den Bewertungsstellen deutlich zu heben. Die zwischenzeitlich eingeführten Regelungen sollten dahingehend regelmäßig evaluiert werden.
Arbeitsrückstände und Bearbeitungszeiten, insbesondere in der Bedarfsbewertungsstelle des Finanzamts München, sollten abgebaut bzw. deutlich verbessert werden.
[2] Die Bedarfsbewertung wird daneben auch für die Grunderwerbsteuer durchgeführt.
[3] LT-Drs. 16/8905 Nr. 2 Buchst. i.