TNr. 34: Keine Fortschreibung des Schienennahverkehrsplans seit 2005

Die Betreiber von Schienennetz und Bahnhöfen erhalten in Bayern jährlich 700 Mio.€ für deren Nutzung. Dennoch gibt es zahlreiche Mängel etwa am Gleisoberbau oder Signalstörungen. Der ORH empfiehlt deshalb, diese Infrastrukturstörungen endlich systematisch zu analysieren und Vorschläge zu deren Beseitigung aufzuzeigen. Außerdem sollte die Staatsregierung jede Einflussmöglichkeit nutzen, damit die Infrastruktur ausreichend unterhalten wird.
Der ORH hat 2017/2018 die Betätigung des Freistaates als Gesellschafter der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH (BEG) sowie die Verwendung der Regionalisierungsmittel zur Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) geprüft. Prüfungsmaßstab waren die Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit.
34.1 Ausgangslage
34.1.1 Bayerische Eisenbahngesellschaft mbH
Der Bund hat Anfang 1996 die Zuständigkeiten für Planung, Organisation und Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) auf die Länder übertragen. Seither ist der Freistaat Aufgabenträger im Bereich des SPNV. Die Unterhaltung und Instandsetzung der Infrastruktur obliegt unverändert den Infrastrukturbetreibern.[1]
Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben bedient sich der Freistaat seit 1996 der BEG, die als 100%ige Beteiligung des Freistaates in seinem Auftrag und nach seinen Vorgaben tätig wird.[2] Seither bestellt die BEG den gesamten Regional- und S-Bahn-Verkehr in Bayern im Auftrag und nach Vorgabe des Bauministeriums.[3]
Hierzu beauftragt die BEG Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU). Diese nutzen zur Erbringung der bestellten Verkehrsleistungen das Schienennetz samt Bahnhöfen verschiedener Infrastrukturbetreiber, vor allem der Deutschen Bahn. Vertragsbeziehungen bestehen damit einerseits zwischen BEG und EVU über die Erbringung von Verkehrsleistungen und andererseits zwischen EVU und Infrastrukturbetreiber über die Nutzung der Infrastruktur. Vertragsbeziehungen zwischen BEG und Infrastrukturbetreiber bestehen nicht.
Das Schienennetz in Bayern umfasst gesamt 6.700 km. Davon werden 6.000 km von der Deutschen Bahn und 700 km von nichtbundeseigenen Eisenbahnen betrieben.
34.1.2 Regionalisierungsmittel
Zur Finanzierung des ÖPNV erhalten die Länder sog. Regionalisierungsmittel aus dem Steueraufkommen des Bundes, die insbesondere für den SPNV zu verwenden sind.[4] Bis 2016 wurde die Höhe der Regionalisierungsmittel regelmäßig neu verhandelt und mehrfach angepasst. Im Zuge der Neufassung des Regionalisierungsgesetzes 2016 einigten sich Bund und Länder auf eine Anhebung der Mittel auf 8,0 Mrd. € und auf eine jährliche Dynamisierung in den Jahren 2017 bis 2031 von 1,8%. 2016 erhielt der Freistaat 1,2 Mrd. € Regionalisierungsmittel.
34.1.3 Schienennahverkehrsplan
Die Vorgaben für die Planung, Organisation und Sicherstellung des SPNV sowie der dafür zur Verfügung stehende Finanzrahmen werden in einem Schienennahverkehrsplan festgelegt, für den das Bauministerium zuständig ist. Er wird von der Staatsregierung beschlossen und ist alle zwei Jahre fortzuschreiben. Dem Landtag ist Bericht zu erstatten.[5] Der Plan enthält:
- Eine Darstellung des Ist-Zustands des SPNV und der Vernetzung des SPNV mit dem Schienenpersonenfernverkehr.
- Zielvorgaben für die künftige Erschließung des Staatsgebiets mit SPNV-Leistungen, für Verbesserungen des SPNV durch kürzere Fahrzeiten und verbesserte Fahrplanangebote sowie für eine dichtere Vernetzung des SPNV mit dem allgemeinen ÖPNV und mit dem Schienenpersonenfernverkehr.
- Eine Analyse festgestellter Schwachstellen und Vorschläge für deren Beseitigung.
- Verkehrliche Forderungen und Vorstellungen für eine verbesserte Infrastruktur im Bereich des Fahrwegs und der Schnittstellen zwischen SPNV, ÖPNV und den verschiedenen Formen des Individualverkehrs sowie für Ausbaumaßnahmen, die von der Deutschen Bahn AG, den nichtbundeseigenen Eisenbahnen und anderen Trägern des Schienennetzes erwartet werden.
34.2 Feststellungen
34.2.1 Fortschreibung des Schienennahverkehrsplans
Der erste bayerische Schienennahverkehrsplan wurde 1998 vorgelegt. Er beschrieb die verkehrspolitischen Zielsetzungen, die Rahmenbedingungen der Bahnreform sowie die Regionalisierung in Bayern. Für die Jahre 1999/2000, 2001/2002 sowie 2003 bis 2005 wurden weitere Schienennahverkehrspläne veröffentlicht. Seitdem sammelt, plant und bearbeitet die BEG Einzelanforderungen zum SPNV. Seit 14 Jahren steht eine Fortschreibung des Schienennahverkehrsplans aus.
Das Bauministerium begründete dies mit den langjährigen Verhandlungen auf Bundesebene über die Verteilung der Regionalisierungsmittel bis 2016 und der somit fehlenden verlässlichen Planungsgrundlage.
34.2.2 Infrastrukturbedingte Verspätungen
Der Schienennahverkehrsplan 2003 bis 2005 benannte die Verbesserung der Pünktlichkeit als ein herausragendes Ziel der bayerischen Verkehrspolitik.
Ferner dokumentierte der Plan die wesentlichen Verspätungsursachen. Dies waren in der Vergangenheit Fahrwegprobleme, beispielsweise Mängel am Gleisoberbau, Weichen- bzw. Signalstörungen. Daneben beeinträchtigten Bau- und Instandhaltungsarbeiten den Betrieb. Der Plan stellte einzelne, bereits abgeschlossene Maßnahmen zur Verbesserung der Pünktlichkeit dar. Er beinhaltete weder eine systematische Analyse der Verspätungsursachen noch Lösungsansätze hierfür.
Die bayernweite Pünktlichkeit im SPNV bewegte sich in den Jahren 2009 bis 2016 zwischen 92 und 94%. Als pünktlich gilt dabei ein Zug, der weniger als 6 Minuten verspätet ist. Nicht einbezogen in die Pünktlichkeitsstatistik sind ausgefallene Züge.[6]
2016 ließen sich 37% der Verspätungen ohne Sekundärursache[7] im Nahverkehr auf Störungen der Infrastruktur zurückführen. Gründe hierfür waren insbesondere die vorgenannten Fahrwegprobleme. Insgesamt handelte es sich um 166.400 Einzelfälle mit einer kumulierten Verspätung von 705.104 Minuten. Dies entspricht durchschnittlich rd. 450 Störungen pro Tag.
Die BEG bestellte 2016 für 941 Mio. € Leistungen im SPNV. Damit finanzierte sie
- über die von ihr beauftragten EVU - mit 691 Mio. € (73%) die Ausgaben für die Nutzung der Schieneninfrastruktur (Nutzung von Trassen und Stationen). Diese Mittel stehen dem jeweiligen Infrastrukturbetreiber zu.
Die EVU zahlen u.a. für infrastrukturbedingte Verspätungen entsprechend den vertraglichen Regelungen Vertragsstrafen an die BEG. Allerdings obliegt die Unterhaltung und Instandsetzung der Infrastruktur den Infrastrukturbetreibern.
34.3 Würdigung
34.3.1 Fortschreibung des Schienennahverkehrsplans
Entgegen den gesetzlichen Vorgaben hat das zuständige Staatsministerium den Schienennahverkehrsplan nicht alle zwei Jahre fortgeschrieben und der Staatsregierung zum Beschluss vorgelegt. Damit fehlen seit 2005 insgesamt sechs solcher Berichte. Folge war, dass der Landtag zum privatisierten und regionalisierten SPNV keine regelmäßigen Informationen in systematischer und durchgängig gleicher Form erhielt.
Die gesetzlichen Vorgaben sind einzuhalten. Gerade beschränkte Mittel erfordern eine Priorisierung der Ausgaben, die transparent im Schienennahverkehrsplan abzubilden ist. Zudem trifft das Argument, aufgrund unsicherer Planungsgrundlagen sei dies nicht leistbar, nicht mehr zu: die Ausgaben sind mit der Neufassung des Regionalisierungsgesetzes bereits seit 2016 bis einschließlich 2031 gesichert.
34.3.2 Infrastrukturbedingte Verspätungen
Die Infrastrukturbetreiber erhalten jährlich 700 Mio. € an Regionalisierungsmitteln für die Nutzung der Infrastruktur. Gleichwohl gibt es zahlreiche infrastrukturbedingte Störungen.
Die hohe Anzahl an infrastrukturbedingten Verspätungen legt nahe, dass die derzeitigen Vertragsstrafen gegenüber den EVU nur bedingt Wirkung zeigen. Mangels Vertragsbeziehung mit den Infrastrukturbetreibern hat die BEG keine unmittelbare Möglichkeit, die infrastrukturbedingten Verspätungen zu reduzieren und damit die Pünktlichkeit zu verbessern.
Der Schienennahverkehrsplan enthält nach den gesetzlichen Vorgaben eine Analyse festgestellter Schwachstellen und Vorschläge für deren Beseitigung. Im Rahmen des Schienennahverkehrsplans sollten daher die Ursachen für die infrastrukturbedingten Verspätungen systematisch analysiert und konkrete Vorschläge für deren Beseitigung aufgezeigt werden.
34.4 Stellungnahme der Verwaltung
Das Bauministerium hat angekündigt, der Forderung nach Erstellung eines aktuellen Schienennahverkehrsplans selbstverständlich nachzukommen. Es betont, dass auch ohne aktualisierten Schienennahverkehrsplan die Staatsregierung und die BEG stets versucht hätten, die für eine Optimierung des SPNV notwendigen Infrastrukturmaßnahmen gegenüber den Eisenbahninfrastrukturunternehmen einzufordern.
34.5 Stellungnahme der Deutschen Bahn AG
Bei der Infrastruktur bedürfe es einer gezielten und konsequenten Erneuerung und eines nachhaltigen Ausbaus. In ihrer Funktion als Infrastrukturbetreiber bestätige sie die Notwendigkeit der Wiederaufnahme eines fortgeschriebenen Schienennahverkehrsplans. Neben einer detaillierten Betrachtung von Einzelereignissen empfehle sie dringend, eine systemisch-ganzheitliche Analyse der Eisenbahnverkehre in den Rahmen der Schwachstellenanalyse des Schienennahverkehrsplans aufzunehmen und so einen nachhaltigen Effekt zu erzeugen.
34.6 Schlussbemerkung
Nach den gesetzlichen Vorgaben ist der Schienennahverkehrsplan ein zentrales strategisches Instrument zur Planung, Organisation und Sicherstellung des SPNV in Bayern. Er muss alle zwei Jahre fortgeschrieben und dem Landtag vorgelegt werden. Dass die Staatsregierung diesen Plan 14 Jahre nicht erarbeitet hat, ist ein schweres Versäumnis.
Die Infrastrukturbetreiber erhalten jährlich 700 Mio. € an Regionalisierungsmitteln für die Nutzung von Schienennetz und Bahnhöfen. Gleichwohl gibt es zahlreiche infrastrukturbedingte Störungen. Der ORH empfiehlt deshalb, diese endlich systematisch zu analysieren und Vorschläge zu deren Beseitigung aufzuzeigen sowie jede Einflussmöglichkeit zu nutzen, damit die Infrastruktur ausreichend unterhalten wird.
[2] § 1 Abs. 2 RegG i.V.m. Art. 15, 16 BayÖPNVG.
[3] Seit März 2018, zuvor Innenministerium (OBB) bzw. Wirtschaftsministerium.
[4] §§ 5, 6 RegG.
[5] Art. 17 BayÖPNVG.
[6] Gesamtausfallquote (Anteil der ausgefallenen an den bestellten Zugkilometern) in 2016: 2,9 %.
[7] Sekundärursache bezeichnet Folgeverspätungen aufgrund einer vorangegangenen Störung.