Jahresbericht 2020

TNr. E15: Kontrollmitteilungen in der Steuerverwaltung

Steuerformular Kontrollmitteilung; Bild: ORH
Defizite bei der Erstellung und Auswertung von Kontrollmitteilungen verursachen jährlich Steuerausfallrisiken in zweistelliger Millionenhöhe. Schon angesichts von fast 20% nicht mehr auffindbarer Kontrollmitteilungen empfiehlt der ORH, bestehende Mängel zeitnah zu beseitigen und zudem endlich ein IT-Verfahren einzuführen.

Der ORH hat 2018/2019 in einer Querschnittsuntersuchung bei sieben Finanzämtern (FÄ) die Arbeitsabläufe bei der Erstellung und Auswertung von Kontrollmitteilungen (KM) geprüft.

Untersucht wurde, ob und wie die FÄ in geeigneten Fällen KM fertigen. Außerdem prüfte der ORH die Qualität der KM-Auswertung.


E15.1 Ausgangslage

Eine wichtige Aufgabe der Steuerverwaltung ist es, erklärte Einnahmen auf ihre Vollständigkeit zu prüfen. Die Bediensteten der FÄ in den Veranlagungsstellen sind deshalb berechtigt und aufgefordert, über steuererhebliche Daten KM zu fertigen und zur Prüfung an andere Veranlagungsstellen, und damit auch an andere FÄ, weiterzuleiten. KM sind ein notwendiger Beitrag dazu, dass nicht erfasste Steuerfälle und für die Besteuerung bedeutsame Sachverhalte zutreffend und rechtzeitig aufgegriffen werden.

Auch zu den bei einer Außenprüfung gewonnenen Feststellungen zu steuerlichen Verhältnissen anderer können von den FÄ KM erstellt und zur Prüfung an die entsprechenden Stellen weitergeleitet werden.


E15.2 Prüfungsfeststellungen


E15.2.1 IT-Unterstützung

KM werden bisher regelmäßig mit einem Textverarbeitungssystem erstellt, ausgedruckt und der zuständigen Stelle zugeleitet. Diese Papiermitteilungen sind dann der Anstoß, den Steuerfall zu prüfen.

Die Arbeitsprozesse von der Fertigung bis zur Auswertung einer KM werden bislang kaum durch die IT unterstützt. Das sog. Risikomanagementsystem-Kontrollmitteilungsverfahren (RMS-KMV) ist eine für den bundesweiten Einsatz vorgesehene KONSENS-Anwendung, die einen solchen elektronischen Workflow leisten soll. Sie befindet sich seit mehr als zehn Jahren in der Entwicklung. Der Beschluss, dieses Verfahren im Rahmen von KONSENS umzusetzen, wurde länderübergreifend bereits 2008 gefasst. Dieses Verfahren betrifft in seiner ursprünglichen Version aber ausschließlich die Erstellung von KM in der Betriebsprüfung.


E15.2.2 Erstellung von KM


E15.2.2.1 Veranlagungsstellen

Bei der Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen sind ggf. von den Veranlagungsstellen KM zu fertigen. Unterstützend liefert ein elektronisches Risikomanagementsystem im Rahmen der Veranlagung den Bearbeitern gezielte Risikohinweise, die zur Prüfung des Sachverhalts und ggf. zur Erstellung von KM auffordern.

So sind beispielsweise bei Erhaltungsaufwendungen im Zusammenhang mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie bei Fremdleistungen regelmäßig die entsprechenden Eingangsrechnungen anzufordern. Diese Rechnungen können dann zur Erstellung von KM und zur Prüfung der Vollständigkeit der Einnahmen der Rechnungsaussteller verwendet werden.

Für den Bereich Fremdleistungen enthält der Risikohinweis explizit die Aufforderung, ggf. KM zu erstellen. Der Risikohinweis zu den Erhaltungsaufwendungen enthält diese Aufforderung nicht.

Bei den Fremdleistungen prüfte der ORH 186 Fälle. Die Veranlagungsstellen forderten in 56 Fällen (30,1%) Unterlagen zur Überprüfung an. In zwölf der 56 Fälle (21%) wurden KM gefertigt.
Bei 111 der vom ORH geprüften Fälle mit Erhaltungsaufwendungen forderten die Veranlagungsstellen in 104 Fällen (93,7%) Unterlagen an. In einem der 104 Fälle (1%) wurde eine KM gefertigt.


E15.2.2.2 Außendienste

  1. Betriebsprüfung (Bp):

    Die 40 bayerischen Bp-Stellen fertigten bei 116.921 Prüfungen, die sie zwischen 2013 und 2017 abschlossen, 181.361 KM. Dies entspricht einer Quote von 1,55 KM pro Prüfung. Pro Bp-Stelle wurden durchschnittlich zwischen 0,5 und 4,7 KM pro Prüfung erstellt.

    Bei 81.220 der 116.921 Prüfungen wurde keine KM erstellt (69,5%). Pro Bp-Stelle reichte die Quote von 49 bis 83%. Drei Bp-Stellen erstellten in mehr als 80% der Prüfungsfälle keine KM. Weitere 10 Bp-Stellen erstellten in über 70% der Prüfungsfälle keine KM. Von einer Bp-Stelle wurde in mehr als der Hälfte der geprüften Fälle mindestens eine KM erstellt.

  2. Umsatzsteuer-Sonderprüfung (USoP):

    Die Statistiken der 40 bayerischen USoP-Stellen für die Jahre 2013 bis 2017 enthalten 48.418 Prüfungen, bei denen 36.967 KM erstellt wurden. Pro Prüfung erstellten die Prüfer demnach durchschnittlich 0,76 KM. Im Vergleich der USoP-Stellen wurden zwischen 0,18 und 1,75 KM pro Prüfung erstellt. 10 USoP-Stellen erstellten mehr als eine, 12 weniger als 0,5 KM pro Prüfung.

  3. Prüferbezogene Stichprobe:

    Eine prüferbezogene Stichprobe zeigt, dass einzelne Prüfer der Bp und der USoP in einem Jahr bei mehr als zehn abgeschlossenen Prüfungen keine KM gefertigt haben.

E15.2.3 Auswertung von KM


E15.2.3.1 Stichprobe des ORH

Bayernweite Statistiken zur Anzahl der von den Veranlagungsstellen auszuwertenden KM bzw. den daraus resultierenden Ergebnissen liegen nicht vor. Nach Auswertung der durch den ORH bei den geprüften FÄ veranlassten Aufzeichnungen sind von den Bearbeitern der Veranlagungsstellen bayernweit jährlich ca. 175.000 KM aus der deutschen Steuerverwaltung auszuwerten.

Der ORH überprüfte die Qualität der Auswertung anhand von 454 zufällig ausgewählten KM aus Außenprüfungen der Bp- und USoP-Stellen. Von den 454 geprüften KM waren im Prüfungszeitpunkt von den FÄ 332 KM bearbeitet und damit für den ORH auswertbar; 89 KM waren in den Akten der Steuerverwaltung nicht auffindbar, bei 33 KM stand die Bearbeitung noch aus.

Das durchschnittliche Mehrergebnis (pro KM) in der auswertbaren Stichprobe betrug 1.171 €. Alle 175.000 auszuwertenden KM beinhalten demnach rechnerisch ein Mehrergebnis-Potenzial von 205 Mio. €. Der ORH hat untersucht, ob das Mehrergebnis-Potenzial bei der Auswertung der KM ausgeschöpft wurde.


E15.2.3.2 Qualität der Auswertung

Die Bearbeiter sollen nach der Arbeitsanweisung "nach Aktenlage einschätzen, ob der in der KM genannte Betrag/Sachverhalt bei der Veranlagung berücksichtigt bzw. mit großer Wahrscheinlichkeit berücksichtigt wurde“.[1]

In 119 der von den FÄ bearbeiteten 332 KM (35,8%) konnte diese Einschätzung ohne weitere Ermittlungen allein anhand der Aktenlage getroffen werden.

In 20 Fällen (6%) hat der Steuerpflichtige die in der KM genannten Einnahmen gar nicht oder aber in geringerer Höhe erklärt. In all diesen Fällen schlossen sich Ermittlungen der geprüften FÄ (durch Veranlagungsstellen oder Außendienst) an, die zu Mehrergebnissen führten.

In 193 überprüften Fällen waren die erklärten oder geschätzten Einnahmen höher als die Summe der für den jeweiligen Veranlagungszeitraum in der KM mitgeteilten Beträge. Ob die in der KM aufgeführten Beträge in den Einnahmen enthalten sind, war nicht unmittelbar erkennbar.

  • In 97 dieser Fälle (29,2% der auswertbaren KM) führten die Bearbeiter Ermittlungen durch, die in 13 Fällen zu Mehrsteuern von insgesamt knapp 50.000 € führten.
  • In 96 Fällen (28,9% der auswertbaren KM) wurden keine Ermittlungen durchgeführt. Die "Wahrscheinlichkeit“, dass die Beträge erklärt wurden, begründeten die Bearbeiter im Bearbeitungsvermerk allein mit einem summarischen Abgleich (die Einnahmen sind höher als der Betrag in der KM). Zu einigen KM fehlte jeglicher Bearbeitungsvermerk.
Würden die Bearbeiter in allen nicht eindeutig aufklärbaren Fällen Unterlagen anfordern, ergäben sich hochgerechnet rund 26 Mio. €[2] zusätzliche Mehrsteuern jährlich. Daraus ergibt sich insgesamt ein Mehrergebnis-Potenzial von 231 Mio. €.

Davon entfallen rechnerisch allein etwa 45 Mio. € auf die in den Akten der Veranlagungsstellen nicht auffindbaren KM.[3]


E15.3 Würdigung

KM sind ein wichtiges und wirksames Instrument zur Kontrolle der Vollständigkeit erklärter Einnahmen. Sie dienen in diesem Bereich der Sicherstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.[4] Sie können bei sorgfältiger Auswertung zu weiteren erheblichen Mehrsteuern führen, die der ORH in zweistelliger Millionenhöhe sieht.

Entscheidend für die Wirksamkeit von KM ist, dass das Verfahren zu deren Erstellung, Versand und Auswertung effizient ist. Der Einsatz von Papiervordrucken wird den technischen Anforderungen in der weitgehend IT-unterstützten Veranlagung nicht mehr gerecht. Seit 2008 gibt es auf KONSENS-Ebene den Beschluss zur Einführung eines elektronischen KMV. Über zehn Jahre ist es aber nicht gelungen, dieses zum Einsatz zu bringen. Zudem hält der ORH die "Beschränkung“ auf die (elektronische) Erstellung von KM im Rahmen der Bp für nicht mehr zeitgemäß.

Ein elektronisches KMV sollte deshalb zeitnah und bei allen betroffenen Arbeitsbereichen zum Einsatz kommen. Es sollte auch eine Analyse zum Umfang der erstellten KM sowie eine Evaluierung der erzielten Ergebnisse ermöglichen.

Die Veranlagungsstellen kommen der Aufforderung, KM zu fertigen, bisher in den vom ORH untersuchten Bereichen (Fremdleistungen, Erhaltungsaufwendungen) nur unzureichend nach.

Der ORH hält es für nicht akzeptabel, wenn nicht alle Prüfer oder Prüfungsdienste ausreichend KM erstellen. Sie sollten hierfür stärker sensibilisiert werden. Eine verstärkte Kontrolle durch die Sachgebietsleiter der Prüfungsdienste ist erforderlich.
Der hohe Anteil von fast 20% nicht auffindbarer KM ist nicht hinnehmbar. Dem sollte unbedingt nachgegangen werden, denn der ORH errechnet allein hierfür ein Steuerausfallrisiko in zweistelliger Millionenhöhe. Bis zur Einführung des RMS-KMV sollten dokumentationspflichtige Kontrollen durch die Sachgebietsleiter in den Veranlagungsstellen erfolgen.

Wenn die erklärten Einnahmen die in den KM mitgeteilten Beträge übersteigen, ist eine Klärung nur durch Anfragen bei den betroffenen Steuerpflichtigen möglich. Der ORH beurteilt die lediglich summarische Prüfung, die in ca. der Hälfte dieser Fälle erfolgt, als unzureichend. Darüber hinaus ist die mit der Auswertung verbundene erhebliche Außenwirkung zu berücksichtigen.


E15.4 Stellungnahme der Verwaltung

Das Finanzministerium teilte in seiner Stellungnahme mit, dass hinsichtlich der Notwendigkeit einer IT-Unterstützung zur Erstellung von Kontrollmaterial Einvernehmen bestehe. Im genehmigten Lastenheft zum KMV sei bereits enthalten, dass das technische Verfahren nicht nur von den Bp-Stellen bedient werden, sondern in allen Arbeitsbereichen universell einsetzbar sein soll. Grund für die bislang fehlende Realisierung des KMV sei die entsprechende Priorisierung durch die Länder. Bayern werde sich bei künftigen KONSENS-Abstimmungsprozessen für die Beauftragung dieses Portfolioproduktes einsetzen.

Eine bloße Steigerung der Anzahl der KM würde nicht als zielführend erachtet. Es solle vielmehr auf eine Verbesserung der Qualität hingewirkt werden. Eine Reihe von Maßnahmen seien hierzu ergriffen worden. Bei KM, die nach 2017 versendet worden seien, sollte bereits eine Qualitätsverbesserung erkennbar sein.

Das Landesamt für Steuern (LfSt) beabsichtige, zur Verbesserung der Qualität der Auswertung dokumentationspflichtige Kontrollen für den Veranlagungsbereich im Rahmen der nächsten Überarbeitung des Leitungsplans[5] zu installieren.

Gegen die vom ORH vorgeschlagenen Maßnahmen zur Steigerung der Qualität der Auswertung bestünden grundsätzlich keine Bedenken. Das LfSt werde die Bearbeiter entsprechend sensibilisieren. Unabhängig davon sei eine effektive Prüfung der Einnahmen nur im Rahmen einer Außenprüfung zu bewerkstelligen. Bei der Entscheidung, ob und welche Ermittlungen durchzuführen sind, seien auch die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu beachten.


E15.5 Schlussbemerkung

Der hohe Anteil von fast 20% nicht auffindbarer KM ist nicht akzeptabel. Der ORH empfiehlt dringend, zeitnah die festgestellten Mängel zu beseitigen und ein IT-Verfahren einzuführen. Angesichts eines Steuerausfallrisikos in zweistelliger Millionenhöhe hält es der ORH für erforderlich, das Kontrollmitteilungssystem zu optimieren.

 


[1] DA-ORG, Tz. 1.2.
[2] 175.000 KM x 28,9% x (50.000 €/97 Fälle).
[3] 231 Mio. € x 19,6% (89 Fälle von 454).
[4] § 85 AO.
[5] Der Leitungsplan ist ein vom Sachgebietsleiter zu dokumentationspflichtigen Kontrollzwecken zu führender Vordruck.