Jahresbericht 2020

TNr. E21: Abnahme- und Gewährleistungsmanagement

Schiefe Wasserwaage; Bild: Gina Sanders / stock.adobe.com
Beim Abnahme- und Gewährleistungsmanagement der staatlichen Bauverwaltung bestehen schwerwiegende Lücken. Deshalb drohen gravierende Folgeschäden und finanzielle Nachteile zulasten des Staates.

Der ORH hat zusammen mit den Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern Regensburg, Ansbach, Bayreuth und Würzburg bei den 22 Staatlichen Bauämtern das Abnahme- und Gewährleistungsmanagement geprüft. Dazu wurden aus den Rechnungsjahren 2011 und 2015 Schlussrechnungen einzelner Gewerke des staatlichen Hoch- und Straßenbaus mittels repräsentativer Stichprobe ausgewählt. Das betraf im Hochbau 1.449 Aufträge mit einer Schlussrechnungssumme von 256 Mio.€[1]; im Straßenbau waren es 516 Aufträge mit 182 Mio.€[2]. Prüfungsmaßstab waren insbesondere die Regelungen des Vergabehandbuchs Bayern (VHB Bayern).


E21.1 Ausgangslage

Bei neuen Gebäuden treten in den ersten beiden Jahren nach Fertigstellung erfahrungsgemäß ca. 65%, in den ersten fünf Jahren nach Fertigstellung ca. 80% der Schadensfälle auf.[3]

Der ORH hatte schon wiederholt festgestellt, dass beauftragte Bauleistungen entgegen geltender Vorgaben nicht förmlich abgenommen und Verjährungsfristen für die Mängelansprüche nicht überwacht wurden. Deshalb untersuchte er in dieser Querschnittsprüfung die Vorgehensweise der Bauverwaltung und der von ihr Beauftragten.


E21.1.1 Abnahme von Bauleistungen

Rechtsfolge der Abnahme ist die Anerkennung und Entgegennahme der Leistung als vertragskonform. Damit tritt die Vertragserfüllung ein. Mit der Abnahme von Bauleistungen

  • wird die Vergütung der Leistung fällig,
  • wird die Leistung als vertragsgemäß ausgeführt gebilligt,
  • geht die Gefahr der zufälligen Beschädigung oder des Untergangs des Bauwerkes auf den Auftraggeber über,
  • beginnt die Verjährungsfrist für Mängelansprüche,
  • verliert der Auftraggeber die Ansprüche auf Beseitigung der Mängel, die er bei der Abnahme kennt, aber nicht beanstandet.

Wegen der weitreichenden Wirkungen ist die Abnahme besonders sorgfältig vorzubereiten und durchzuführen. Im VHB Bayern ist deshalb detailliert geregelt, wie

  • die Abnahme zu erfolgen hat,
  • die Zuständigkeiten und Verfahren für die Feststellung und Beseitigung der Mängel sind,
  • die Verjährungsfristen für Mängelansprüche festgelegt und überwacht werden.

E21.1.2 Förmliche Abnahme

Sowohl beim staatlichen Hochbau als auch beim staatlichen Straßenbau ist ab einer Auftragssumme von 10.000€ (netto) die Leistung förmlich abzunehmen.[4] Zuständig für die Abnahme ist als Auftraggeber die Staatliche Bauverwaltung.

Bei der förmlichen Abnahme stellen die Vertragsparteien an Ort und Stelle fest, ob die Leistung vertragsgerecht erbracht und somit der Bauvertrag erfüllt wurde. Das Ergebnis wird in einer Niederschrift protokolliert, in der ggf. Vorbehalte wegen bekanntgewordener Mängel, eventuelle Vertragsstrafen oder Einwendungen des Auftragnehmers aufgenommen werden. Für die förmliche Abnahme sind die Vordrucke des VHB Bayern zu verwenden.


E21.1.3 Mängelfeststellung und -beseitigung

Die Bauverwaltung bzw. die von ihr Beauftragten haben vor der förmlichen Abnahme von Bauleistungen ggf. bestehende Mängel festzustellen und deren Beseitigung durch den Auftragnehmer im Rahmen des Erfüllungsanspruchs zu veranlassen.[5]

Der Auftragnehmer ist auch nach der Abnahme verpflichtet, alle während der Verjährungsfrist auftretenden Mängel, die nachweislich auf vertragswidrige Leistung zurückzuführen sind, auf seine Kosten zu beseitigen, wenn es der Auftraggeber vor Ablauf dieser Frist schriftlich verlangt.[6]

Nach der Abnahme

können Ansprüche auf Beseitigung bereits bei der Abnahme bekannter und nicht ausdrücklich vorbehaltener Mängel nicht mehr durchgesetzt werden,
  • hat der Auftraggeber zu beweisen, dass später festgestellte Mängel auf vertragswidrige Leistung zurückzuführen sind,
  • können Vertragsstrafen, die bei der Abnahme nicht vorbehalten wurden, nicht mehr durchgesetzt werden.

Überwachung der Verjährungsfristen

Die Verjährungsfrist für die Mängelansprüche beträgt in der Regel 4 Jahre.[7] Im Hochbau soll seit 2012 die Überwachung der Verjährungsfristen elektronisch im Programm HHV-Bau erfolgen.[8] Bei richtiger Anwendung erfolgt sechs Wochen vor Ablauf der Verjährungsfrist eine automatisierte Meldung. Zu diesem Zeitpunkt sollte im jeweiligen Gebäude eine erneute Begehung zur Feststellung evtl. Mängel stattfinden, deren Beseitigung dann im Rahmen der Gewährleistung auf Kosten des Auftragnehmers zu verlangen ist. Die Mängelbeseitigung ist danach abzunehmen und die entsprechenden Daten in HHV-Bau einzutragen. Für diese beseitigten Mängel läuft eine erneute Verjährungsfrist.

Im Straßenbau sollen gemäß VHB Bayern die Termine mit einem bei der Dienststelle zentral geführten Terminkalender überwacht werden. Ein einheitliches IT-System für die Überwachung der Verjährungsfristen für die Mängelansprüche ist im Bereich Straßenbau noch nicht eingeführt.


E21.2 Feststellungen


E21.2.1 Abnahmen

  • Fehlende Abnahmen

    Im Hochbau war bei 67% der geprüften Aufträge eine förmliche Abnahme dokumentiert. Im Straßenbau lagen bei 80% der geprüften Aufträge Abnahmeprotokolle vor.

    So wurden z. B. bei einem Polizeischulungszentrum ein Auftrag über die Lüftungs-, Sanitär-, Kälte-, und Dämmarbeiten in Höhe von 970.000€ abgerechnet, ohne dass diese Leistungen förmlich abgenommen wurden. Bei den Dachsanierungsarbeiten an einem Museum wurde laut Vermerk des Bauamtes bei Verglasungsarbeiten über 58.000€ "im Sinne einer Verwaltungsreduzierung“ auf eine förmliche Abnahme verzichtet.

  • Abnahmen ohne Bauherrenbeteiligung

    Die förmliche Abnahme zählt zu den originären Bauherrenaufgaben, die nicht übertragbar sind. Dennoch war die Beteiligung des zuständigen Staatlichen Bauamtes bei Abnahmen im Hochbau bei 8% der Fälle und im Straßenbau bei 3% der Fälle nicht aktenkundig feststellbar.

    Beispielhaft können hier Baumeisterarbeiten an einem Museum über 126.000€ genannt werden, bei denen nach Aktenlage die Abnahme durch den freiberuflich Tätigen erfolgte und das Bauamt das Abnahmeprotokoll erst mehrere Monate später unterschrieben hat.

  • Rückdatierte Abnahmen

    Vereinzelt wurden Abnahmebescheinigungen nachträglich erstellt und rückdatiert. Dabei wurden Vordrucke verwendet, die nachweislich zum angegebenen Zeitpunkt der Abnahme noch nicht in Umlauf waren.

  • Ungenaue Abnahmeprotokolle

    In mehreren Abnahmeprotokollen und im HHV-Bau wurden keine oder ungenaue Angaben zur Frist für die Beseitigung der festgestellten Mängel eingetragen, beispielsweise Datumsangaben ohne Jahreszahl oder Angaben wie "Ende April“; verschiedentlich fehlte die Angabe der Frist vollständig.

  • Teilabnahmen

    Auf Verlangen des Auftragnehmers sind in sich abgeschlossene Teile der Leistung besonders abzunehmen.[9] Solche Teilabnahmen - auch mehrere - können bei einem Auftrag durchaus zweckmäßig und erforderlich sein. Zu beachten ist, dass sich bei Teilabnahmen in der Regel mehrere und unterschiedliche Verjährungsfristen für Mängelansprüche zu einem Auftrag ergeben.

    Bei Teilabnahmen unterliefen den Bauämtern Fehler wie Mehrfachabnahmen derselben Leistung oder Schlussabnahmen einer bereits teilabgenommenen Leistung. Dies führt zu falschen oder unklaren Fristen und birgt das Risiko, dass Mängelansprüche wegen abgelaufener oder strittiger Fristen nicht geltend gemacht werden können.

    So geschehen z. B. bei einem Auftrag über Erd-, Tief- und Rohbauarbeiten eines Neubaus für eine Straßenmeisterei. Es wurde neben einer Teilabnahme auch eine Abnahme der Gesamtleistung vermerkt. Die Schlussrechnung belief sich auf 1.179.000€. Auch wurden Schlusszahlungen geleistet, obwohl erst eine Teilabnahme stattgefunden hatte. Die restlichen Leistungen des Auftrags wurden dann nicht mehr abgenommen. Dementsprechend wurden für diese dann auch keine Verjährungsfristen festgelegt und überwacht.

  • Baumängel bei der Abnahme

    Bei den vom ORH geprüften förmlichen Abnahmen hatte die Bauverwaltung im Hochbau bei 57%, im Straßenbau bei 48% Baumängel festgestellt. In einigen Fällen wurde allerdings dennoch eine mangelfreie Abnahme bescheinigt, obwohl in der Schlussrechnung ein Abzug für Mängel erfolgte.

    Bei 59 Hochbau-Aufträgen sind im Abnahmeprotokoll wesentliche Baumängel vermerkt, die eine Verweigerung der Abnahme erforderlich gemacht hätten, wie z. B. fehlende Brandschutznachweise oder eine unverhältnismäßig hohe Anzahl von Baumängeln. Tatsächlich wurde aber nur in einem einzigen Fall die Abnahme verweigert.

  • Beseitigung von Baumängeln

    Im Hochbau war nach Abnahmen mit festgestellten Baumängeln deren Beseitigung in 37% der Fälle dokumentiert, im Straßenbau in 28%.

E21.2.2 Gewährleistung

  • Überwachung der Verjährungsfristen

    Die Überwachung der Verjährungsfristen für die Mängelansprüche soll für den Hochbau im Programm HHV-Bau erfolgen. Dies ist nicht allen Sachbearbeitern bekannt.

    Bei 46% der Aufträge wurde die Frist weder in HHV-Bau noch in einem gesonderten Gewährleistungsverzeichnis eingetragen. Im Straßenbau wurden 38% der Aufträge nicht in ein zentrales Gewährleistungsverzeichnis eingetragen.

  • Berechnung der Verjährungsfristen

    Im Hochbau war in 34% der Fälle die Verjährungsfrist für die Mängelansprüche fehlerhaft berechnet. Meistens betraf der Fehler jeweils nur einen Tag, in einigen Fällen aber auch einige Monate oder Jahre.

    Im Programm HHV-Bau ist eine Regelfrist von 4 Jahren voreingestellt. Nach § 9b VOB/A können andere (längere oder kürzere) Verjährungsfristen vorgesehen werden, wenn dies wegen der Eigenart der Leistung erforderlich ist. Die in HHV-Bau voreingestellte Frist wurde oftmals nicht an die tatsächlich vertraglich vereinbarten Fristen angepasst. So waren z. B. für Dachabdichtungsarbeiten 10 Jahre vertraglich vereinbart oder bei bestimmten technischen Gewerken gemäß VOB nur ein oder zwei Jahre, in HHV-Bau waren dennoch 4 Jahre eingetragen.

  • Begehung vor Ablauf der Verjährungsfrist

    Im Hochbau hätte bei 743 Aufträgen mit abgelaufener Verjährungsfrist eine vorherige Begehung stattfinden müssen. Tatsächlich war eine Begehung in 6% der Fälle dokumentiert.

    In HHV-Bau war als Tag der Begehung vor Ablauf der Verjährungsfrist für die Mängelansprüche häufig das Datum der Abnahme eingetragen. Dies hat zur Folge, dass die Erinnerung an die ausstehende Begehung vor Ablauf der Verjährungsfrist durch das Programm nicht stattfindet und die Begehung übersehen werden kann.

    Beispielhaft kann die Gebäudeautomation über 490.000€ beim Neubau eines Klinikgebäudes genannt werden. Die "Begehung vor Ablauf der Mängelanspruchsfrist“ fand erst nach Ablauf der Frist statt. Dabei wurde festgestellt, dass die Mängel aus dem Abnahmeprotokoll noch nicht beseitigt waren.

    Im Straßenbau hätte bei 237 Aufträgen mit abgelaufener Verjährungsfrist für die Mängelansprüche eine vorherige Begehung stattfinden müssen. Tatsächlich war eine Begehung in 54% der Fälle dokumentiert.

E21.3 Würdigung und Empfehlungen

Wegen der weitreichenden Wirkungen ist die Abnahme bei staatlichen Baumaßnahmen besonders sorgfältig vorzubereiten, durchzuführen und zu dokumentieren.

  • Fehlende oder fehlerhafte Abnahmen,
  • fehlende oder fehlerhafte Fristangaben sowie
  • fehlende Begehungen vor Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche
erschweren die Nachverfolgung der Mängelbeseitigung und die Geltendmachung von Ansprüchen erheblich. Somit besteht ein bedeutendes Risiko, dass Mängel, die vor Abnahme oder innerhalb der Verjährungsfrist entstehen, nicht oder nicht auf Kosten des Auftragnehmers behoben werden, sondern zulasten des Staates beseitigt werden müssen.

Der ORH empfiehlt im Interesse eines funktionierenden Abnahme- und Gewährleistungsmanagements durch die Bauverwaltung, dass

  • bei allen Bauleistungen die Abnahmen wie nach dem VHB Bayern vorgesehen durchgeführt und dokumentiert werden,
  • die Verjährungsfristen für die Mängelansprüche korrekt festgelegt und in den Staatlichen Bauämtern an zentraler Stelle dokumentiert und überwacht werden,
  • die Begehungen zur Feststellung evtl. Mängel rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist stattfinden und die Beseitigung der dabei festgestellten Mängel konsequent eingefordert und dokumentiert wird,
  • die Zuständigkeiten und Abläufe in den Staatlichen Bauämtern für den Hoch- und den Straßenbau einheitlich geregelt werden,
  • das Programm HHV-Bau um Plausibilitätsprüfungen ergänzt wird, um versäumte oder fehlerhafte Eintragungen zu vermeiden,
  • die Mitarbeiter in den Bauämtern zu den Themen Abnahme, Gewährleistung, Verjährung und im Umgang mit dem Programm HHV-Bau geschult werden,
  • für den Straßenbau ein einheitliches IT-System zur Überwachung der Mängelansprüche eingeführt wird.

E21.4 Stellungnahme der Verwaltung

Das Bauministerium sichert zu, dass die Empfehlungen des ORH von der Staatsbauverwaltung umgesetzt würden. Als Schwerpunkte sollen Zuständigkeiten und Abläufe einheitlich geregelt sowie die Mitarbeiter in den Bauämtern zu den Themen Abnahme, Gewährleistung und Verjährung intensiv geschult werden.

Die Folgerungen aus der Prüfungsmitteilung des ORH würden in den Dienstbesprechungen intensiv besprochen werden. Darüber hinaus seien die Behördenleitungen der Staatlichen Bauämter um zeitnahe Umsetzung der Maßnahmen in eigener Verantwortung sowie um Evaluation der Behebung der Defizite gebeten worden.


E21.5 Schlussbemerkung

Die Prüfung des ORH belegt schwerwiegende Lücken beim Abnahme- und Gewährleistungsmanagement der Bauverwaltung. Gravierende Folgeschäden und finanzielle Nachteile drohen zulasten des Staates. Aus Sicht des ORH reicht es nicht aus, die dringend erforderlichen Verbesserungsschritte nur in die Verantwortung der Bauämter zu legen. Die nötige Steuerung und insbesondere die Evaluation ist Aufgabe des Bauministeriums.

 


[1] Das entspricht 16% der Aufträge und 17,2% der Schlussrechnungssumme.
[2] Das entspricht 61,5% der Aufträge und 71,5% der Schlussrechnungssumme.
[3] Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dritter Bericht über Schäden an Gebäuden, 1995, S. 48.
[4] VHB Bayern, Stand: März 2018, Richtlinien zu 442, 443, Ziff. 1.3.
[5] § 13 Abs. 1 VOB/B.
[6] § 13 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B.
[7] § 13 Abs. 4 Nr. 1 VOB/B.
[8] Fachverfahren zum Haushaltsvollzug im Bereich des Hochbaus.
[9] § 12 Abs. 2 VOB/B.