Jahresbericht 2021

TNr. 46 Folgewirkungen nach Betriebsprüfung bei Klein- und Mittelbetrieben

Stempel Betriebsprüfung; Bild: Coloures-Pic - stock.adobe.com
Klein- und Mittelbetriebe werden von der Betriebsprüfung immer seltener geprüft. Defizite bei der Informationsweitergabe, Medienbrüche und mangelhafte Überwachung durch die Veranlagungsstellen führen zu Steuerausfallrisiken in Millionenhöhe. Umso wichtiger ist es, die von der Betriebsprüfung gewonnenen Erkenntnisse konsequent und fortlaufend zu nutzen.

Der ORH untersuchte zusammen mit dem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt Augsburg Folgewirkungen nach Betriebsprüfungen (Bp) bei Klein- und Mittelbetrieben[1]. Hierfür wurden bei sechs Finanzämtern (FÄ) örtliche Erhebungen durchgeführt.


46.1 Ausgangslage

Eine Außenprüfung der Bp umfasst in der Regel drei Veranlagungszeiträume (VZ).[2] Klein- und Mittelbetriebe (K- bzw. M-Betriebe) werden nicht fortlaufend (sog. Anschlussprüfung), sondern - wenn überhaupt - nur mit erheblichem zeitlichem Abstand erneut durch die Bp geprüft.


Nach einer Außenprüfung wertet der Innendienst in der Veranlagungsstelle die Berichte der Bp aus und erstellt für den Prüfungszeitraum Änderungsbescheide. Die Feststellungen der Bp gelten zunächst nur für diesen Zeitraum. Sie entfalten jedoch oft auch Folgewirkungen für andere VZ, die grundsätzlich von der Veranlagungsstelle zu prüfen sind.


Hinweise auf Folgewirkungen ergeben sich insbesondere aus den Bp-Berichten und dem sog. grünen Bogen. Dieser formularartige Begleitbogen ist dem Prüfungsbericht stets beizufügen. Er fasst wesentliche Informationen und Erkenntnisse aus der Bp für die anderen Stellen eines FA zusammen. Er wird, wie auch der Bp-Bericht, bislang ausschließlich in Papierform an die Veranlagungsstelle übermittelt.


Zusätzlich kann die Bp Informationen in beschränktem Umfang auch digital an die Veranlagungsstelle weitergeben; so etwa über das im elektronischen Risikomanagementsystem (RMS)[3] eingesetzte RMS-Datenblatt.[4] Die Prüfer sollen hierbei eine Risikoprognose zum Steuerfall abgeben und dazu einzelne prüfungswürdige Sachverhalte als sog. Risikobereiche festlegen oder den Fall als Ganzes in eine neue Risikoklasse einteilen. Automationsgestützt wird der Steuerfall dadurch ggf. dem Bearbeiter in der Veranlagungsstelle mit entsprechenden Hinweisen zur Prüfung der Folge-VZ vorgelegt.


Die Bp kann auf die geprüften K- und M-Betriebe nur temporär ein "Schlaglicht“ werfen, da diese äußerst selten geprüft werden. Diese Prüfungsturnusse steigen seit Jahren an und betrugen zuletzt durchschnittlich 44 bei K- bzw. 23 Jahre bei M-Betrieben.[5] Umso wichtiger ist es, dass die von ihr getroffenen Feststellungen nicht nur für den Prüfungszeitraum, sondern auch für Folgezeiträume in das Besteuerungsverfahren einbezogen werden. Nur so kann eine nachhaltige und auch präventive Wirkung erzielt werden.


46.2 Feststellungen

Der ORH untersuchte, welche Folgewirkungen sich nach einer Bp bei K- und M-Betrieben ergeben können und welche steuerlichen Risiken mit diesen verbunden sind. Prüfungsschwerpunkt war die Bearbeitung und Überwachung dieser Fälle in den Folge-VZ durch die Veranlagungsstellen. Der ORH hielt zudem die Mehrsteuern fest, die sich aus Ermittlungen der Veranlagungsstellen und bei erneuter Außenprüfung durch die Bp ergaben.


Dazu wählte er K- und M-Betriebe mit Bp-Berichtsdatum im Zeitraum von 2010 bis 2018[6] und einem steuerlichen Mehrergebnis ab 50.000€ aus. Von den damit insgesamt 1.538 Fällen bei den sechs geprüften FÄ untersuchte der ORH 360 (23%) auf Folgewirkungen für die Veranlagungsstellen.


46.2.1 Folgewirkungen für die Veranlagungsstellen

Folgewirkungen ergeben sich immer dann, wenn ein Sachverhalt eine steuerliche Dauerwirkung entfaltet oder wiederholt auftritt. Bei 191 Fällen (53%) der 360 Fälle stellte der ORH eine Folgewirkung, teilweise auch mehrere solcher Folgewirkungen für die Veranlagungsstellen fest. Diese lassen sich in nachstehende Fallgruppen einteilen:[7]

Tabelle 64
Am häufigsten ergaben sich Folgewirkungen bei Einnahmeerhöhungen. In diesen Fällen stellte die Bp fest, dass die Betriebseinnahmen zu niedrig erklärt wurden. Dies geschieht insbesondere bei schweren Buchführungsmängeln, z.B. im Rahmen der Kassenführung bei bargeldintensiven Betrieben. Bei der Bp aufgedeckte Buchführungsmängel finden sich in der Regel auch in Folgezeiträumen.


Am zweithäufigsten ergaben sich Folgewirkungen bei der Änderung von Privatanteilen, d.h. wenn betriebliche Wirtschaftsgüter wie etwa Pkw auch privat genutzt werden und bei verdeckten Gewinnausschüttungen.


46.2.2 Beanstandungen

Von 191 Fällen mit Folgewirkungen beanstandete der ORH etwa die Hälfte (94 Fälle, 49%) als fehlerhaft. Fehler geschahen entweder schon bei der Informationsweitergabe durch die Bp und/oder bei der Überwachung und Bearbeitung durch die Veranlagungsstellen.


46.2.2.1 Informationsweitergabe der Bp an die Veranlagungsstellen

Bei 35 (18%) von 191 Fällen unterblieben wichtige Hinweise für das künftige Besteuerungsverfahren, die über den grünen Bogen an die Veranlagungsstelle mitzuteilen gewesen wären[8]


Von der Eingabemöglichkeit im RMS bzw. dem RMS-Datenblatt wurde nur äußerst selten Gebrauch gemacht. Obwohl technisch in 104 Fällen bei Erstellung des Bp-Berichts verfügbar, wurde nur in sechs Fällen die Risikoklasse geändert und nur in einem Fall ein Risikobereich im RMS-Datenblatt festgelegt. Bei 79 Fällen wären Eintragungen erforderlich gewesen.


46.2.2.2 Defizite in den Veranlagungsstellen

Bei 62 (32%) von 191 Fällen erkannten die Veranlagungsstellen Folgewirkungen nicht oder zogen unzutreffende Schlüsse.


Bei 39 von diesen 62 Fällen hätte die Veranlagungsstelle die Ermittlungen selbst durchführen können. Bei 23 Fällen hätte nach Auffassung des ORH aufgrund der gravierenden Anhaltspunkte eine erneute Meldung an die Bp erfolgen müssen.


Beispiel:

Der Steuerpflichtige betreibt ein Taxiunternehmen. Die Bp prüfte 2015 die VZ 2011 bis 2013 und stellte erhebliche Mängel bei den Einnahmeaufzeichnungen fest. Daraufhin wurden aufgrund einer Kalkulation die Gewinne wie folgt erhöht:

Tabelle 65
Die Steuernachforderungen aufgrund der Bp wurden vom Steuerpflichtigen vollständig bezahlt. Die Gewinne der Folge-VZ wurden wie folgt erklärt/geschätzt:

Tabelle 66
Das Erklärungsverhalten hat sich nach der Bp nicht geändert. Aktuelle Ermittlungen der Veranlagungsstelle waren nicht erkennbar, eine erneute Meldung an die Bp unterblieb. Die Gewinnschätzung der Veranlagungsstelle für das Jahr 2017 lag deutlich unter den von der Bp festgestellten Gewinnen - die Erkenntnisse aus der Bp wurden nicht genutzt.


In 53 Fällen (85%) der 62 beanstandeten Fälle war mindestens ein Folge-VZ vor Bp-Berichtserstellung bereits veranlagt. Die Bp-Feststellungen konnten dabei regelmäßig noch nicht berücksichtigt worden sein. Die Veranlagungsstelle hätte diese bereits für Folge-VZ erlassenen Steuerbescheide zwingend hinterfragen und ggf. ändern müssen.


46.2.2.3 Steuerausfallrisiko

Der ORH beziffert das Steuerausfallrisiko bei unterbliebenen Ermittlungen der Veranlagungsstellen mit durchschnittlich 13.508€ und bei unterbliebener Meldung an die Bp auf 66.664€ pro Fall.[9] Für die Berechnung wurden tatsächlich festgestellte Mehrsteuern bei durchgeführten Ermittlungen der Veranlagungsstellen bzw. bei erneuten Außenprüfungen durch die Bp oder Steuerfahndung (aufgrund Meldung durch die Veranlagungsstellen) herangezogen. In den 360 vom ORH untersuchten Fällen summiert sich das Steuerausfallrisiko auf geschätzt 2,1 Mio.€.


Hochgerechnet auf alle 6.843 im neunjährigen Untersuchungszeitraum in Bayern durch die Bp geprüften K- und M-Betriebe mit Mehrergebnis über 50.000€ ergibt sich ein Steuerausfallrisiko von ca. 39 Mio.€. Von weiteren Steuerausfallrisiken bei nachfolgenden VZ ist auszugehen.


46.3 Würdigung und Empfehlungen

Informationen der Bp mit Auswirkungen für Folge-VZ müssen zuverlässig und standardisiert an die Veranlagungsstellen weitergeleitet werden. Seit Jahrzehnten übersendet die Bp den Prüfungsbericht und den grünen Bogen nur in Papierform. Dies kollidiert mit der inzwischen verstärkt digitalen und durch das RMS dominierten, risikoorientierten Arbeitsweise in den Veranlagungsstellen. Für den ORH ist es nicht nachvollziehbar, dass von der Bp elektronisch erstellte Dokumente zur Weiterleitung auf Papier ausgedruckt werden müssen. Der Informationstransfer der Bp an die Veranlagungsstellen sollte möglichst ohne Medienbrüche digital erfolgen.


Das RMS-Datenblatt sieht der ORH als wichtigen Zwischenschritt an. Die Betriebsprüfer sollten dazu angehalten werden, dieses Instrument in allen Fällen mit Folgewirkungen zu nutzen. Aus Sicht des ORH ist es inakzeptabel, dass die Bp nur in einem von 104 möglichen Fällen der Stichprobe Risikobereiche festgelegt und in lediglich sechs Fällen die Risikoklasse geändert hat.


Die Auswertung des Bp-Berichts durch die Veranlagungsstellen darf sich nicht nur auf die Erstellung der Änderungsbescheide für den Prüfungszeitraum beschränken. Eine sachliche und inhaltliche Würdigung der Feststellungen für die Folgejahre ist zwingend vorzunehmen. Das gilt im Besonderen, wenn für die Folgejahre bereits Steuerfestsetzungen vorliegen. Es ist nicht hinnehmbar, dass in nahezu jedem dritten Fall notwendige Ermittlungen unterblieben sind.


Besonders bei durch die Bp festgestellten Einnahmeerhöhungen müssen die Folgejahre durch die Veranlagungsstellen gezielt überwacht werden. Bei erheblichen Abweichungen von den Bp-Feststellungen ist auch eine erneute Meldung an die Bp sinnvoll. Dies zeigen die festgestellten Mehrergebnisse bei nochmaligen Außenprüfungen. Das Steuerpotenzial ist in diesen Fällen mit durchschnittlich über 66.000€ pro Fall erheblich.


46.4 Stellungnahme der Verwaltung

Die Steuerverwaltung teilt die Auffassung des ORH, dass eine gut funktionierende Kommunikation zwischen der Bp und der Veranlagungsstelle eines FA von großer Bedeutung sei.


Das Landesamt für Steuern werde die Untersuchung des ORH zum Anlass nehmen, die betroffenen Bp-Sachgebietsleiter der FÄ entsprechend zu sensibilisieren. Es habe bereits vor der ORH-Prüfung mehrere Maßnahmen zur Verbesserung der Informationsweitergabe speziell für Folgewirkungen in Angriff genommen und hierzu u. a. den grünen Bogen angepasst. Medienbrüche sollten möglichst vermieden werden, jedoch sei derzeit eine entsprechende Umsetzung über die eAkte technisch noch nicht verfügbar. Die Steuerverwaltung arbeite aber an einer Verbesserung der digitalen Kommunikation zwischen Bp und Veranlagungsstellen. Zur Nachkontrolle gebe es inzwischen auch die Möglichkeit einer Kassen-Nachschau.


Die Steuerverwaltung stimmt zu, dass die Veranlagungsstellen für Prüfungsfeststellungen mit Folgewirkung zu sensibilisieren seien. Dies erfolge regelmäßig über eine entsprechende Dienstanweisung und Verfügungen. Diese sollen nochmals ergänzt und aktualisiert sowie im Rahmen von Besprechungen thematisiert werden.


46.5 Schlussbemerkung

K- und M-Betriebe werden von der Bp immer seltener geprüft. Defizite bei der Informationsweitergabe, Medienbrüche und mangelhafte Überwachung durch die Veranlagungsstellen führen zu Steuerausfallrisiken in Millionenhöhe. Umso wichtiger ist es, die von der Bp gewonnenen Erkenntnisse konsequent und fortlaufend zu nutzen.

 


[1] Die Untersuchung konzentrierte sich auf Betriebe ohne Konzernverbindung. Konzernverbundene Unternehmen unterliegen der Anschlussprüfung, § 4 Abs.2 BpO. Die Größenklasseneinteilung ist abhängig von der Betriebsart. Handelsbetriebe z.B. werden ab einem steuerlichen Gewinn von 44.000€ als Klein- und von 68.000 bis 335.000€ als Mittelbetriebe eingestuft.
[2] § 4 Abs.3 BpO.
[3] Näheres zum RMS siehe auch ORH-Bericht 2018 TNr.44.
[4] IT-Verfahren zur zeitraumübergreifenden Bewertung des Gesamtfalls.
[5] Von 2010 bis 2019 stieg der durchschnittliche Prüfungsturnus bei K-Betrieben von 37,1 auf 43,7 und bei M-Betrieben von 16,6 auf 23,3 Jahre.
[6] Der Untersuchungszeitraum reicht teilweise bis 2010 zurück, um die Entwicklung der Steuerfälle in den Folge-VZ beurteilen zu können.
[7] Mehrfachnennungen möglich: Ein Fall kann mehrere Feststellungen mit Folgewirkungen beinhalten.
[8] Tz.3 im grünen Bogen: "Hinweise für die Veranlagungsstelle“.
[9] Zum Vergleich: Durchschnittliches Mehrergebnis: K-Betrieb (21.937€), M-Betrieb (35.149 €).