TNr. 48 Zentrale Pfandverwertungsstellen

Der ORH hat 2019 in einer Querschnittsuntersuchung die zwei zentralen Pfandverwertungsstellen bei den Finanzämtern (FÄ) München und Nürnberg-Zentral für die Jahre 2016 bis 2018 geprüft und örtliche Erhebungen bei zwei weiteren FÄ vorgenommen. Schwerpunkt der Prüfung war die Wirtschaftlichkeit der Verwertung von Gegenständen aus Sachpfändungen.
48.1 Ausgangslage
Die zentralen Pfandverwertungsstellen veräußern Gegenstände aus Sachpfändungen im Vollstreckungsverfahren der FÄ sowie auf Ersuchen anderer Verwaltungszweige.[1] Sie bieten diese im Wesentlichen in sog. Präsenzversteigerungen[2] sowie in Internet-Auktionen über die Internetplattform www.zoll-auktion.de[3] an. Aus jährlich knapp 5.000 Zuschlägen erlösen sie 3 Mio.€.[4]
In geringem Umfang verwerten auch andere FÄ Gegenstände über die Zoll-Auktion. 25 FÄ führten dabei 2016 bis 2018 insgesamt 318 Internet-Auktionen durch.
Das Landesamt für Steuern (LfSt) hatte im Jahr 2010 die Projektgruppe "Optimierung der Pfandverwertung“ gegründet. Ziel des Projekts war die effizientere Gestaltung der Verwertung. Der Abschlussbericht aus dem Jahr 2011 schilderte insbesondere Vor- und Nachteile der Internet-Auktion. Der große Bieterkreis, die unabhängige Terminierung sowie die relativ lange Bietdauer wurden als vorteilhaft herausgestellt. Nachteilig sei vor allem der verhältnismäßig hohe zeitliche Aufwand zur Abwicklung einer einzelnen Auktion mit 2,5 Stunden. Bei Präsenzversteigerungen betrage dieser lediglich zehn Minuten. Darüber hinaus bewertete das LfSt eine einheitliche und wirksame IT-Unterstützung der beiden zentralen Pfandverwertungsstellen als "längst überfällig“.
48.2 Feststellungen
48.2.1 IT-Unterstützung der zentralen Pfandverwertungsstellen
48.2.1.1 Finanzamt Nürnberg-Zentral
Die Pfandverwertungsstelle des FA Nürnberg-Zentral arbeitet seit jeher nahezu ohne IT-Unterstützung. Das System für Lagerverwaltung und Buchhaltung wird in Papierform mittels handschriftlich gepflegter Karteikarten geführt. Begleitend werden Tabellenkalkulations- und Textverarbeitungs-Dateien genutzt. Aufgrund dieses Vorgehens müssen Daten mehrfach manuell erfasst werden, sowohl auf den Karteikarten als auch in den Dateien der Büroprogramme.
Beispiel:
Bei einem Vollstreckungsschuldner werden zehn Gegenstände gepfändet und bei der Pfandverwertungsstelle eingelagert. Die Gegenstände werden zunächst auf einer Lagerkartei handschriftlich erfasst. Zum Druck der Versteigerungsetiketten erfolgt eine Erfassung in einem Textverarbeitungsprogramm. Nach der Freigabe zur Versteigerung erfolgt eine zusätzliche Erfassung in der manuell geführten Versteigerungsliste. Anschließend wird für diesen Vollstreckungsschuldner eine Karteikarte erstellt, in der handschriftliche Ein- und Ausbuchungen vermerkt werden. Die Aufteilung anfallender Kosten (Inserate, Sicherheitsdienst etc.) erfolgt ebenfalls manuell. Die Buchungen werden nach abgeschlossener Veräußerung per Hand auf Abrechnungsvordrucken übernommen.
Planungen zur Einführung eines elektronischen Pfandverwertungssystems (PVS) beim FA Nürnberg-Zentral bestehen seit 1998. Trotz mehrfacher Anläufe ist die Umsetzung bis heute unterblieben.
Die Pfandverwertungsstelle beim FA Nürnberg-Zentral hat keine Registrierkasse, sondern erfasst die Versteigerungserlöse seit jeher ohne technische Unterstützung handschriftlich auf Durchschreibequittungen.
48.2.1.2 Finanzamt München
Die Pfandverwertungsstelle des FA München setzt seit dem Jahr 1987 ein PVS ein, das seitdem beinahe unverändert blieb. Trotz seiner veralteten Benutzeroberfläche werden die Funktionalitäten des Programms von den Anwendern als Arbeitserleichterung geschätzt. Das PVS übernimmt automatisch eine Vielzahl von Bearbeitungsschritten, indem es verschiedene Daten, etwa zum Pfändungsschuldner oder zur Zuordnung des Versteigerungserlöses aus anderen Steuerprogrammen nutzt. Insgesamt verwaltet das FA München jährlich durchschnittlich knapp 3.000 Warenpositionen über diese Anwendung.
Die Steuerverwaltung plant nach mehrfacher Verschiebung die Einführung eines neuen IT-gestützten Erhebungsverfahrens im Oktober 2022. Mit der Einführung dieses Verfahrens (BIENE[5]) wird das bestehende PVS nicht mehr auf die anderen Steuerdatenbanken zugreifen können.
Die Pfandverwertungsstelle beim FA München setzte ab 1987 eine Registrierkasse für die Erfassung der Versteigerungserlöse ein. Seit dem Ausfall der letzten Kasse im Mai 2017 werden die Versteigerungserlöse, verbunden mit erhöhtem Aufwand, zunächst handschriftlich auf Durchschreibequittungen erfasst und anschließend in das Buchungssystem des FA eingepflegt.
48.2.2 Nutzung der Internetplattform Zoll-Auktion
Die beiden zentralen Pfandverwertungsstellen nutzten die Internetplattform
www.zoll-auktion.de in unterschiedlichem Ausmaß. Das FA München bot nur sehr vereinzelt Gegenstände über das Internet an (fünf Auktionen in 2018). Hingegen nutzte das FA Nürnberg-Zentral die Internetplattform regelmäßig (331 Auktionen in 2018).
Zwischen 2016 und 2018 führten beide Stellen insgesamt 969 Internet-Auktionen durch. Davon entfielen 940 (97%) auf das FA Nürnberg-Zentral. Das FA München nutzte die Zoll-Auktion 29-mal (3%). Beim FA Nürnberg-Zentral betrug der Anteil der Internet-Auktionen an der Gesamtzahl der Zuschläge 14,8%, in München 0,4%.
48.2.2.1 Präsentation
Bei der Versteigerung von Gegenständen über das Internet spielt deren mediengerechte Präsentation eine wichtige Rolle. Das FA Nürnberg-Zentral beschaffte dazu u.a. eine Spiegelreflexkamera, ein Blitzstudio mit Leinwand, Grammwaagen, Ringgrößenmesser, eine Schmucklupe, Schmuckhalterungen und ein Goldprüfsäureset.
48.2.2.2 Vergleich Erlöse Präsenzversteigerung/Zoll-Auktion
Aufgrund der Vielfalt der zu verwertenden Gegenstände ist ein direkter Vergleich von Erlösen aus Präsenzversteigerungen mit denen aus Internet-Auktionen nicht möglich. Bei hochwertigen Schmuckstücken könnte aber der Materialwert, der auch als Anfangsgebot angesetzt wird, als mögliche Referenzgröße dienen.
Die zentralen Pfandverwertungsstellen versteigerten im Zeitraum 2016 bis 2018 erfolgreich 230 Schmuckstücke; davon wurden 213 über Zoll-Auktion abgewickelt. Der Materialwert dieser 213 Verwertungen betrug zusammen 188.046€, welchem ein erzielter Erlös von 283.475€ gegenüberstand (150,7%). Die 17 verbliebenen Schmuckstücke wurden durch Präsenzversteigerung verwertet. Der Materialwert betrug 4.115€, der erzielte Erlös 4.825€ (117,3%).
48.2.2.3 Vergleich Arbeitsaufwand Präsenzversteigerung/Zoll-Auktion
Die Feststellungen der Projektgruppe des LfSt "Optimierung der Pfandverwertung“ zum zeitlichen Aufwand ergaben 2011 bei Präsenzversteigerungen Zeitwerte von 10 Minuten und bei der Internet-Auktion von 2,5 Stunden je Zuschlag. Die Bediensteten der Pfandverwertungsstellen bestätigten bei der Prüfung vor Ort die Aktualität dieser Zeitwerte; tatsächliche Erhebungen dazu fehlten. Buchungstechnische Vor- und Nacharbeiten sind de facto in beiden Alternativen gleich.
48.2.2.4 Wirtschaftlichkeit der Verwertung
Der ORH analysierte eine Auswertung des LfSt mit 6.999 Datensätzen der Jahre 2016 bis 2018 aus dem PVS des FA München, bei denen in 5.636 Fällen ein Erlös erzielt wurde.
Etwa ein Drittel (33,18%) der Zuschläge (1.870) entfällt bei Präsenzversteigerungen auf Erlöse bis 30€. Insgesamt wurden mit diesen geringwertigen Gegenständen etwa 27.000€ erzielt, dies entspricht einem durchschnittlichen Erlös von 14€ pro Zuschlag. Bei durchschnittlich sechs Auktionen stündlich ergibt sich ein Erlös von 84€ pro Stunde.
Die durchschnittlichen Personalvollkosten der in der Pfandverwertungsstelle eingesetzten Bearbeiter betragen ca. 50€ pro Stunde. Für Präsenzversteigerungen werden in der Regel mindestens acht Beschäftigte, zum Teil auch aus anderen Bereichen des FA, für Präsentation der Gegenstände, Besucherlenkung, Lagerhaltung, Kassenführung u.a. eingesetzt.[6] Im Durchschnitt stehen Erlösen von 84€ also Personalkosten für Tätigkeiten in unmittelbarem Umfeld der Versteigerung von 400€ je Stunde gegenüber.
48.3 Würdigung und Empfehlungen
Die Pfandverwertung erscheint insgesamt unbefriedigend und sollte grundlegend überdacht werden. Dazu gehört insbesondere:
- Die Verwertung von Gegenständen mit einem erwartbaren Erlös bis 30€ ist in Relation zum hohen, vor allem personellen Aufwand unwirtschaftlich und sollte vermieden werden.
- Die Nutzung der Internet-Auktion ließe sich insbesondere beim FA München auch wegen der höheren Erlöserwartung deutlich intensivieren.
- Der Einsatz eines einheitlichen PVS für beide Pfandverwertungsstellen ist dringend erforderlich. Dabei sollte auch der Einsatz einer kompatiblen Registrierkasse sichergestellt sein. Arbeitsprozesse und Verfahrensabläufe sollten revisionssicher gestaltet und optimiert werden.
- Der Personalbedarf in den Pfandverwertungsstellen sollte evaluiert werden. Der von den Bearbeitern angegebene Zeitaufwand von 2,5 Stunden je Internet-Auktion erscheint nicht plausibel. Bei häufigerer Nutzung, entsprechender Routine und geeigneter technischer Ausrüstung dürfte er signifikant niedriger liegen.
48.4 Stellungnahme der Verwaltung
Das Finanzministerium will die Anregung des ORH zum Einsatz eines neuen IT-Programms mit kompatibler Registrierkasse aufnehmen. Da eine Lösung im Verfahren KONSENS allenfalls langfristig möglich sei, werde das LfSt gebeten, zur Ablösung des PVS eine eigene IT-Lösung für Bayern zeitgerecht zu realisieren.
Auch die Empfehlung des ORH, die Wirtschaftlichkeit der Verwertung zu erhöhen, werde aufgegriffen. Das Finanzministerium halte allerdings den angesetzten Zeitaufwand von zehn Minuten je Präsenzversteigerung für zu niedrig. Der Personalbedarf in den Pfandverwertungsstellen werde zu gegebener Zeit evaluiert.
Die Vollziehungsbeamten hätten das Verbot der zwecklosen Pfändung zu beachten.[7] Sie würden bereits im Rahmen der Fortbildung sensibilisiert, welche Sachpfändungen werthaltig seien. Erscheine eine auf Ersuchen anderer Stellen durchzuführende Versteigerung nicht zweckmäßig, sollen diese künftig auf andere Wege der Veräußerung hingewiesen werden.
Der Vorschlag zur häufigeren Nutzung der Internet-Auktion werde aufgegriffen. Das LfSt habe die Ämter bereits über die vorzugswürdige Verwertungsart bestimmter Gegenstände informiert. Die Internet-Auktion solle künftig der Regelfall werden, sodass öffentliche Präsenzversteigerungen künftig nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
48.5 Schlussbemerkung
Der ORH empfiehlt, ein elektronisches PVS bei beiden zentralen Pfandverwertungsstellen einzuführen und die Möglichkeiten von Internet-Auktionen auch tatsächlich zu nutzen. Außerdem sollte die Einführung einer Wertgrenze geprüft werden, unterhalb derer Versteigerungsersuchen unterbleiben sollen.
Die festgestellten, seit Jahren bestehenden Mängel bei der Pfandverwertung sollten beseitigt und die Abläufe dringend zeitgemäß und revisionssicher organisiert werden.
[1] Dabei werden u.a. Gegenstände aus Fiskalerbschaften, nicht mehr benötigte Dinge von Behörden und Fundsachen verwertet.
[2] §296 Abs.1 Nr.1 AO.
[3] §296 Abs.1 Nr.2 AO.
[4] Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2018.
[5] Bundeseinheitliches, Integriertes, Evolutionär Neuentwickeltes Erhebungsverfahren, wird im Rahmen von KONSENS eingeführt.
[6] Basiert auf Vor-Ort-Erhebungen durch Teilnahme an Versteigerungsterminen.
[7] §281 Abs.3 AO, A8 VollzA.