TNr. 17 Kreditermächtigungen

Für die Jahre 2020 bis 2022 sind im Staatshaushalt unter Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse neue Kreditermächtigungen zur Finanzierung von Corona-Maßnahmen bereitgestellt bzw. vorgesehen.
Der ORH empfiehlt aufgrund der positiven Entwicklung der Steuereinnahmen im Jahr 2021, eine dauerhafte Reduzierung des bisherigen Gesamtkreditrahmens seit 2020 von 20,0 Mrd. Euro zu prüfen und die sich daraus ergebende Höhe der Kreditaufnahme 2022 substanziell begründet dem Landtag vorzulegen.
Der ORH empfiehlt zudem, dass die Staatsregierung die nach Ansicht des ORH in Teilen fragliche Zulässigkeit der Kreditfinanzierung für das Corona-Investitionsprogramm (Kap. 13 18) sowie für die Hightech Agenda Plus erneut prüft und näher begründet, welche Wirkungen von den konkreten Maßnahmen final für die Überwindung der Notlage erwartet werden können.
Die Einhaltung der Schuldenbremse ist ein wesentlicher Beitrag zu einer nachhaltigen, künftigen Generationen gerecht werdenden Haushaltspolitik.
Das Finanzministerium darf Kredite nur aufnehmen, wenn das HG entsprechende Kreditermächtigungen vorsieht.1 Da der Haushalt regelmäßig ohne neue Schulden ausgeglichen werden soll,2 sahen die HG seit 2009 bis einschließlich 2019 im Staatshaushalt keine Ermächtigung für eine Kreditaufnahme zur Deckung der Ausgaben vor. Für 2020 sah das HG unter Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse3 erstmals seit dem 2. NHG 20084 wieder eine Kreditermächtigung zur Deckung von Ausgaben vor. Auch das HG 2021 und das E-HG 2022 sehen neue Kreditermächtigungen vor.
17.1 Kreditermächtigungen zur Finanzierung von Corona-Maßnahmen
Zur Finanzierung der Ausgaben aus dem Sonderfonds Corona-Pandemie (Kap. 13 19) wurden 2020 neue Kreditermächtigungen von 20,0 Mrd. Euro im Staatshaushalt eingeplant.5 Soweit die Kreditermächtigungen 2020 nicht in Anspruch genommen, aber im Haushaltsjahr 2021 zur weiteren Abwicklung der Corona-Maßnahmen, insbesondere während des Zeitraums der vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung, noch zur Deckung benötigt wurden, konnten diese laut HG - ebenso wie die Kreditermächtigungen für aufgeschobene Anschlussfinanzierungen6 - übertragen werden.7 2020 wurden tatsächlich Kredite von 7,2 Mrd. Euro aufgenommen und 1,1 Mrd. Euro als Einnahmereste übertragen. Somit wurden von den Kreditermächtigungen insgesamt 8,3 Mrd. Euro in Anspruch genommen (vgl. TNr.1.4). Die restlichen Kreditermächtigungen wurden Ende 2020 in Abgang gestellt.
Um die Maßnahmen des Sonderfonds Corona-Pandemie im Haushaltsjahr 2021, die Steuermindereinnahmen und die Maßnahmen zur Beschleunigung und Ergänzung der Hightech Agenda Bayern finanzieren zu können, sah das HG 2021 neue Kreditermächtigungen von 11,6 Mrd. Euro vor.8 Ergänzend hierzu standen die aus 2020 bei Kap. 13 19 übertragenen Kreditermächtigungen zur Finanzierung der Maßnahmen - insbesondere zur Überbrückung des Zeitraums der vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung - von 1,1 Mrd. Euro zur Verfügung.9 Der Gesamtkreditrahmen 2020 für Kap. 13 19 von insgesamt 20,0 Mrd. Euro wurde im Haushaltsjahr 2021 nicht überschritten. Die Kreditermächtigungen, die 2021 nicht in Anspruch genommen wurden, aber im Haushaltsjahr 2022 zur weiteren Abwicklung der Corona-Maßnahmen noch benötigt werden, können - wie Ende 2020 - übertragen werden.10 Die restlichen Kreditermächtigungen müssen aus Sicht des ORH zum Ende des Haushaltsjahrs 2021 in Abgang gestellt werden.
Laut Begründung zum E-HG 202211 liege 2022 erneut sowohl eine Naturkatastrophe als auch eine außergewöhnliche Notsituation vor, die sich jeweils der Kontrolle des Staates entziehe und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtige. Die unabweisbaren Bedarfe 2022 für den Sonderfonds Corona-Pandemie (Kap. 13 19) und die konjunkturstabilisierenden Maßnahmen Hightech Agenda Plus sowie das Corona-Investitionsprogramm (Kap. 13 18) hätten sich auf insgesamt 6,5 Mrd. Euro summiert. Dieser Finanzbedarf werde durch einen Konsolidierungsbeitrag aller Ressorts von insgesamt 0,7 Mrd. Euro reduziert. Zur Deckung des verbleibenden Finanzbedarfs von rd. 5,8 Mrd. Euro sei eine Kreditfinanzierung erforderlich. Davon würden auf die konjunkturstabilisierenden Maßnahmen 1,9 Mrd. Euro entfallen.
Dementsprechend sieht Art. 2a Abs. 1 Satz 1 E-HG 2022 neue Kreditermächtigungen von 5,8 Mrd. Euro vor. Zusätzlich können die im Haushaltsjahr 2021 nicht in Anspruch genommenen, aber im Haushaltsjahr 2022 zur weiteren Abwicklung der Corona-Maßnahmen, insbesondere während des Zeitraums der vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung, noch zur Deckung benötigten Kreditermächtigungen übertragen werden.12
17.2 Einhaltung der Schuldenbremse
Bei der Frage, ob gem. Art. 82 Abs. 3 Satz 1 BV eine Naturkatastrophe oder eine außergewöhnliche Notsituation vorliegt, die sich der Kontrolle des Staates entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt, kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. Mit Urteil vom 27.10.2021 hat der Hessische Staatsgerichtshof erstmalig höchstrichterliche Vorgaben für die Inanspruchnahme und Grenzen der Ausnahmen von der Schuldenbremse bei Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen aufgestellt.13 Auch wenn die Argumente und Erwägungen in diesem Urteil nur in Teilen auf Bayern übertragbar sind, können die Ausführungen des Urteils aus Sicht des Finanzministeriums und des ORH hier als Argumentationshilfe genutzt werden.
Erhebliche Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage
Grundsätzlich muss der Finanzbedarf zur Bewältigung und Überwindung der Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation derart hoch sein, dass er im Rahmen der planmäßigen Haushaltswirtschaft nicht mehr gedeckt werden kann. Bei seiner Einschätzung, welche haushaltsrechtlichen Möglichkeiten er zur Krisenbewältigung einsetzt, verfügt der Haushaltsgesetzgeber grundsätzlich über ein weites Ermessen.
Insbesondere kommt dem Gesetzgeber zu, bei der Beurteilung der krisenbedingten erheblichen Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage zu prüfen, ob er zu deren Bewältigung über Spielräume - wie etwa Ausgabenkürzungen, Einnahmeerhöhungen oder aber auch die Auflösung gebildeter Rücklagen - verfügt, um eine Neuverschuldung zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Gibt es solche, verpflichtet das Verbot der Neuverschuldung aus Art. 82 Abs. 1 BV den Gesetzgeber grundsätzlich, diese Spielräume zu nutzen, bevor von dem Neuverschuldungsverbot abgewichen werden kann bzw. substanziell zu begründen, warum er diese ausnahmsweise nicht nutzt. „Je näherliegend solche Möglichkeiten sind, desto substanzieller muss begründet werden, weshalb von ihnen kein Gebrauch gemacht wird.“14
Aus Sicht des ORH könnte sich ein solcher naheliegender Spielraum u.a. aufgrund der (unerwartet) günstigen Entwicklung der Steuereinnahmen für 2021 ergeben haben. Die tatsächlichen Steuereinnahmen 2021 beliefen sich auf 50,1 Mrd. Euro und lagen damit sogar noch über dem Ergebnis der Steuerschätzung vom November 2021. Insgesamt wurden 2021 tatsächlich 5,1 Mrd. Euro mehr Steuern eingenommen, als nach den Planungen für das HG 2021. Inwieweit dieser Spielraum der Steuermehreinnahmen genutzt wird, lässt die Begründung zum E HG 2022 offen.
Laut Finanzministerium entfalle durch die unerwartet hohen Steuermehreinnahmen im Gegenzug die im HG 2021 vorgesehene Möglichkeit, krisenbedingte Steuermindereinnahmen von bis zu 3,6 Mrd. Euro durch Kreditaufnahme im Kap. 13 19 auszugleichen. Insoweit würden die tatsächlichen Steuermehreinnahmen 2021 bereits zu einer erheblichen Reduzierung der Kreditaufnahme 2021 im Sonderfonds Corona-Pandemie führen. Die verbleibenden Steuermehreinnahmen von 1,5 Mrd. Euro würden laut Finanzministerium in die Ermittlung des Jahresergebnisses 2021 einfließen. Über die Verwendung des Jahresergebnisses sei dann gemäß Art. 25 BayHO im Rahmen des Jahresabschlusses 2021 zu entscheiden.
Vor dem Hintergrund der erheblichen Steuermehreinnahmen empfiehlt der ORH, eine dauerhafte Reduzierung des bisherigen Gesamtkreditrahmens seit 2020 von 20,0 Mrd. Euro zu prüfen und die sich daraus ergebende Höhe der Kreditaufnahme 2022 substanziell begründet dem Landtag vorzulegen.
Zusammenhang zwischen Kreditaufnahme und Notsituation
Entsprechend den Regelungen zur Schuldenbremse dürfen in der Pandemie aufgenommene Notlagenkredite nur zur Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen eingesetzt werden. Insbesondere muss ein unmittelbarer Veranlassungszusammenhang bestehen. Die kreditfinanzierten Maßnahmen müssen also einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Notlage haben. Der Gesetzgeber hat hierzu einen weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum. Damit korrespondiert aber auch eine Darlegungs- und Begründungsobliegenheit. Je größer die Gesamtsumme der Nettokredite und je höher die kreditfinanzierten Mittel sind, desto strengere Anforderungen sind an diese Begründungspflicht zu stellen.
Im Hinblick auf das E-HG 2022 ist aus Sicht des ORH der erforderliche enge sachliche Zusammenhang zwischen Kreditaufnahme und Notsituation insbesondere bei Kap. 13 18 und der Hightech Agenda Plus grundsätzlich fraglich. So lässt die in diesem Punkt zu allgemeine Begründung zum E-HG 2022 offen, wie beispielsweise die geplanten Investitionen in den Bereichen Modernisierung kommunaler und staatlicher Infrastruktur, der Digitalisierung der Verwaltung sowie im Klimaschutz konkret mit der Pandemie und ihren Folgen im Zusammenhang stehen. Unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zu Art. 82 BV wird im E HG 2022 insoweit nur allgemein von „konjunkturstabilisierenden Maßnahmen“ gesprochen. Hierbei handle es sich um zusätzliche staatliche Investitionen, die zu einer deutlichen Steigerung der Nachfrage der öffentlichen Hand beitrügen. Mit einer solchen Argumentation ließen sich prinzipiell aber sämtliche staatliche Maßnahmen und Programme als notwendig zur Überwindung einer Notlage bzw. deren wirtschaftlicher Folgen deklarieren und damit kreditfinanzieren. Folglich empfiehlt der ORH, näher aufzuzeigen, welche Wirkungen von den konkreten Maßnahmen final für die Überwindung der Notlage erwartet werden können.
Das Verschuldungsverbot, der Ausnahmecharakter der Notfallkredite und die dadurch verursachte, unter Umständen erhebliche und langfristige Belastung künftiger Haushalte, gebieten es hinsichtlich des zeitlichen Zusammenhangs, nur diejenigen Maßnahmen als notlagenüberwindend einzustufen und zu begründen, die offensichtlich direkt und zeitnah ergriffen werden, um die Notlage zu bekämpfen. Die Bereiche, in denen bereits aktuell hohe Ausgabereste bestehen, scheinen insoweit wenig geeignet, um einem zeitnahen Mittelabfluss Rechnung zu tragen. Der ORH sieht das Risiko, dass insbesondere notlagenbedingte Kreditermächtigungen für Zeiten bis weit nach der Pandemie „vorrätig“ gehalten werden.
Darüber hinaus ist der ORH der Auffassung, dass grundsätzlich nur solche Investitionsmaßnahmen einer Kreditfinanzierung zugänglich sind, die aufgrund der Pandemie zusätzlich in den Haushalt aufgenommen wurden. Dies ist bei reinen Umsetzungen von Haushaltsmitteln aus nicht kreditfinanzierten Kapiteln in kreditfinanzierte Kapitel oder bei Maßnahmen, die aufgrund faktischer Gegebenheiten ohnehin finanziert werden müssen, regelmäßig nicht der Fall. Andernfalls empfiehlt der ORH, dies entsprechend darzulegen und zu begründen.
17.3 Zusammenfassende Betrachtung
Die Bewältigung der Covid-19-Pandemie hat bereits tiefe Spuren in den öffentlichen Haushalten hinterlassen. Der ORH erkennt an, dass neben den finanziellen Folgen der Covid-19-Pandemie aktuell weitere (finanzielle) Herausforderungen bestehen. Auch der Stabilitätsrat vertrat am 10.12.202115 die Auffassung, dass Bund und Länder vor der Herausforderung stünden, neben der fortwirkenden Pandemiebewältigung auch die notwendigen Investitionen und weiteren Maßnahmen zur Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität und zur Digitalisierung zu ergreifen. Dies müsse aber im Rahmen der geltenden Schuldenbremse erfolgen, um langfristig die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen zu sichern. Dieser Auffassung schließt sich der ORH an.
Vor dem Hintergrund der erheblichen Steuermehreinnahmen empfiehlt der ORH, eine dauerhafte Reduzierung des bisherigen Gesamtkreditrahmens seit 2020 von 20,0 Mrd. Euro zu prüfen und die sich daraus ergebende Höhe der Kreditaufnahme 2022 substanziell begründet dem Landtag vorzulegen.
Zudem empfiehlt der ORH, dass die Staatsregierung die nach Ansicht des ORH in Teilen fragliche Zulässigkeit der Kreditfinanzierung für das Corona-Investitionsprogramm (Kap. 13 18) sowie für die Hightech Agenda Plus erneut prüft und näher begründet, welche Wirkungen von den konkreten Maßnahmen final für die Überwindung der Notlage erwartet werden können.
Eine hohe Verschuldung belastet zukünftige Haushalte und schränkt die Gestaltungsspielräume künftiger Parlamente ein. Zugleich erschwert sie die Bewältigung der erheblichen finanzwirtschaftlichen Lasten und Herausforderungen. Die Einhaltung der Schuldenbremse bleibt daher ein wesentlicher Beitrag zu einer nachhaltigen, künftigen Generationen gerecht werdenden Haushaltspolitik.
[1] Art. 18 Abs. 3 BayHO.
[2] Art. 18 Abs. 1 BayHO.
[3] Art. 18 Abs. 2 BayHO und Art. 82 Abs. 3 BV.
[4] Art. 2a 2. NHG 2008; Kap. 13 60 - Stabilisierungsfonds Finanzmarkt und BayernLB.
[5] Art. 2a Abs. 1 Satz 1 HG 2019/2020 i.d.F. des 2. NHG 2020.
[6] Vgl. TNr.1.4.
[7] Art. 2a Abs. 1 Satz 2 HG 2019/2020 i.d.F. des 2. NHG 2020 und Art. 8 Abs. 3 HG 2019/2020.
[8] Art. 2a Abs. 1 Satz 1 HG 2021.
[9] Art. 2a Abs. 2 HG 2021.
[10] Art. 2a Abs. 1 Satz 2 HG 2021.
[11] Vgl. Fn. 2, TNr. 15; Begründung zu Art. 2a E-HG 2022.
[12] Art. 2a Abs. 2 E-HG 2022.
[13] Hessischer Staatsgerichtshof Urteil vom 27.10.2021 - P.St.2783, P.St.2827.
[14] Vgl. Fn. 13.
[15] Pressmitteilung des Stabilitätsrats zur 24.Sitzung am 10.12.2021 (https://www.stabilitaetsrat.de/DE/Beschluesse-und-Beratungsunterlagen/20211210_24.Sitzung/Sitzung20201218_node.html, abgerufen am 14.01.2022).