TNr. 44 IT-Verbünde

IT-Verbünde von Bund, Ländern und Kommunen haben hohe strategische und finanzielle Bedeutung. Der Freistaat ist an mindestens 84 solcher IT-Verbünde beteiligt, für die er allein 2020 über 110 Mio. Euro ausgegeben hat. Der mit IT-Verbünden zusammenhängende Aufwand ist nur lückenhaft erfasst; Erstattungen für bayerischen Mehraufwand zugunsten anderer werden nur zum Teil eingefordert.
Der ORH hält die Ablehnung des Digitalministeriums, zu IT-Verbünden einen transparenten Überblick zu schaffen, nicht für überzeugend: Die Staatsregierung hat erst im November 2021 das Digitalministerium mit einem zentralen, regelmäßigen und flächendeckenden Monitoring zum Stand der Digitalisierung in Bayern beauftragt. Der ORH empfiehlt, dem Landtag regelmäßig fortzuschreibende, detaillierte Übersichten zu IT-Verbünden vorzulegen.
Der Landtag wurde über mindestens acht IT-Verbünde nicht unterrichtet, womit dessen Beteiligungsrecht nicht beachtet wurde. Der ORH weist darauf hin, dieses zu achten.
Der ORH hat mit dem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt Regensburg 2020/2021 IT-Verbünde mit bayerischer Beteiligung geprüft. Prüfungsmaßstäbe waren Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie Ordnungsmäßigkeit, insbesondere die ordnungsgemäße Beteiligung des Landtags nach dem PBG.
44.1 Ausgangslage
IT-Einsatz spielt eine immer bedeutendere Rolle für die Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen. IT-Verbünde, IT-Kooperationen und sonstige Formen der IT-Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung (im Folgenden: IT-Verbünde) binden z.T. erhebliche Haushaltsmittel und staatliches Personal. Sie haben sich auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit zum gemeinsamen Einkauf, zur Entwicklung, zur Pflege und zum Betrieb von Software etabliert.
Grundlage für IT-Verbünde sind u.a. Staatsverträge, die der Zustimmung des Landtags bedürfen,1 oder Verwaltungsabkommen. Das PBG und die dazu zwischen Landtag und Staatsregierung getroffene Vereinbarung (VerPBG) sehen daher auch für geplante IT-Verbünde eine transparenzfördernde Beteiligung des Landtags vor. Dabei ist dem Landtag Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diese ist von der Verwaltung zu berücksichtigen. Damit kann der Landtag auch als Haushaltsgesetzgeber Einfluss auf geplante Kooperationen vor deren Zustandekommen nehmen.
Beispiele für die Zusammenarbeit auf Bund-Länder-Ebene sind der IT-Verbund der Steuerverwaltung KONSENS2, die IT-Verbünde der Justiz sowie die der Polizei. Dazu zählen aber auch Projekte und Anwendungen des IT-Planungsrats, des koordinierenden Gremiums von Bund und Ländern in Deutschland bei Fragen der Informationstechnik und der Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen.
Die Bedeutung von IT-Verbünden wird weiter zunehmen, u.a. durch die Umsetzung des OZG. Danach müssen Bund, Länder und Gemeinden bis Ende 2022 ihre wichtigsten Verwaltungsleistungen online über Portale zur Verfügung stellen und sollen dabei nach dem „Einer für Alle“-Prinzip3 koordiniert vorgehen.
2003 hatte der Landtag das Parlamentsinformationsgesetz verabschiedet. Der Gesetzesbegründung zufolge sollte zur Verbesserung der Informations- und Beteiligungsrechte des Landtags die Pflicht der Staatsregierung zur Information des Landtags gesetzlich geregelt werden.4 Dieses Gesetz wurde 2016 zum PBG fortgeschrieben. Die grundlegenden Regelungen zur Beteiligung des Landtags, also zur Unterrichtung, Anhörung und Berücksichtigung seiner Stellungnahme, blieben gleich.
44.2 Feststellungen
44.2.1 IT-Verbünde mit bayerischer Beteiligung
Das Digitalministerium, das für die übergreifende strategische Steuerung des staatlichen IT-Einsatzes zuständig ist, führte keine Übersicht über die IT-Verbünde mit bayerischer Beteiligung. Im Rahmen des IT-Controllings erhob es für jedes Ressort die Kennzahl „Erstattungen im Rahmen von Verbundprojekten“, nicht aber weitere Informationen zu den einzelnen IT-Verbünden.
Die Ressorts meldeten dem ORH insgesamt 84 IT-Verbünde mit bayerischer Beteiligung; ihre Zuständigkeit5 dafür verteilt sich wie folgt:
Ein IT-Verbund besteht schon seit über 50 Jahren, zwölf weitere seit mehr als 20 Jahren. Seit Inkrafttreten des OZG 2017 beteiligte sich Bayern bis 2020 an 24 IT-Verbünden neu.
Der Prüfung des ORH lagen die ihm gemeldeten 84 IT-Verbünde zugrunde. Nach den Feststellungen des ORH bestehen darüber hinaus mindestens 14 weitere IT-Verbünde mit bayerischer Beteiligung. Hierzu liegen dem ORH keine detaillierten Informationen vor.
44.2.2 Aufwand und Erstattungen für IT-Verbünde mit bayerischer Beteiligung
Es gibt keine Übersicht für den Zeitraum von 2018 bis 2020 über den Gesamtaufwand aller Beteiligten für alle IT-Verbünde mit bayerischer Beteiligung und den jeweiligen finanziellen Anteil Bayerns sowie zu Erstattungen, die Bayern für geleisteten Mehraufwand erhalten hat. Auch aus der Haushaltsrechnung ließen sich die tatsächlichen Einnahmen bzw. Ausgaben für die einzelnen IT-Verbünde nicht entnehmen, da nicht für jeden IT-Verbund gesonderte Einnahme- und Ausgabetitel ausgebracht, sondern die Einnahmen und Ausgaben für mehrere Verbünde auf denselben Haushaltstiteln verbucht wurden.
Die folgenden Tabellen belegen, dass die Verwaltung den bundesweiten Gesamtaufwand, den bayerischen Anteil daran und die Erstattungen an Bayern jeweils nur zu einem Teil der 84 IT-Verbünde erfasst hat:
Bei der Federführung von IT-Verbünden fällt personeller und sächlicher Mehraufwand an. Bayern war an 27 IT-Verbünden federführend beteiligt. Bei 13 dieser Verbünde wurde der Mehraufwand erstattet, bei 14 nicht bzw. nicht vollständig. Bei 7 davon erhielt der Freistaat in den geprüften Jahren 2018 bis 2020 keine Erstattungen. Bei 4 weiteren rechneten die betroffenen Ressorts lediglich den Sachaufwand ohne Personalausgaben ab. Bei 3 Beschaffungsverbünden übernahm Bayern die Ausschreibung der Rahmenverträge und die Vertragsabwicklung, ohne einen Ausgleich für den damit verbundenen Verwaltungsaufwand zu erhalten. Zu diesen 14 IT-Verbünden wurden nur bei 8 Vertragsunterlagen vorgelegt. Diese enthielten keine Regelungen zur Erstattung von Mehraufwand.
44.2.3 Verwendung von Erstattungen
Soweit Bayern Erstattungen aus IT-Verbünden erhielt, entfielen diese zum Teil auf Personalkosten, die aus dem allgemeinen Haushalt finanziert worden waren. Bei 13 IT-Verbünden war durch besondere Vermerke im Haushaltsplan6 vorgesehen, dass die Mehreinnahmen die Ausgabebefugnis für IT uneingeschränkt erhöhen. Die Verwaltung musste also die Erstattungen nicht für die entsprechenden Personalkosten an den allgemeinen Haushalt abführen. Damit konnte sie aus solchen Erstattungen auch allgemein IT-Ausgaben finanzieren, die in keinem Zusammenhang mit dem IT-Verbund stehen.
Der ORH stellte 2019 und 2020 bei zwei IT-Verbünden fest, dass die Verwaltung Erstattungen von 6 Mio. Euro vor dem Hintergrund der uneingeschränkten Koppelung hauptsächlich zur Finanzierung von Sachausgaben verwendet hat, die nicht durch den IT-Verbund veranlasst waren. Der ORH wies auf die Gesamtzusammenhänge hin und regte an, die 6 Mio. Euro dem allgemeinen Haushalt zuzuführen. Dem ist die Verwaltung durch Auflösung von Haushaltsresten gefolgt.
44.2.4 Beteiligung des Landtags
Aus PBG und VerPBG ergibt sich, wann der Landtag vor der Gründung von IT-Verbünden zu unterrichten ist. Dabei ist dem Landtag Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und diese zu berücksichtigen. Diese Pflichten hängen insbesondere von der Form der dazu geplanten Übereinkunft der am IT-Verbund Beteiligten und den in Bayern dafür anfallenden Mehr-/Minderausgaben ab. Bei den 84 gemeldeten IT-Verbünden wurden folgende Formen gewählt: 4 Staatsverträge, 38 Verwaltungsabkommen/-vereinbarungen sowie 42 Verträge/Sonstige Kooperationen.
Der Landtag ist frühzeitig bei beabsichtigten Staatsverträgen zu unterrichten, was bei den vier Staatsverträgen erfolgt ist.7
Für Verwaltungsabkommen/-vereinbarungen von erheblicher landespolitischer Bedeutung oder mit Mehr-/Minderausgaben im Staatshaushalt von über 1 Mio. Euro8 gelten analoge Regelungen wie für Staatsverträge.9 In welchen Fällen eine erhebliche landespolitische Bedeutung vorliegt, ist nicht definiert, weshalb der ORH diese Fallgruppe nicht untersuchte. Von 11 IT-Verbünden in Form eines Verwaltungsabkommens mit Gesamteinnahmen bzw. Gesamtausgaben für Bayern von je über 1 Mio. Euro unterrichtete die Verwaltung den Landtag in acht Fällen nicht.
Bei Sonstigen Kooperationen von erheblicher landespolitischer Bedeutung ist ebenfalls der Landtag zu informieren. Bei keinem der 42 Fälle wurde der Landtag informiert. Ob das Fälle mit landespolitischer Bedeutung betraf, untersuchte der ORH nicht.
44.3 Würdigung und Empfehlungen
44.3.1 IT-Verbünde mit bayerischer Beteiligung
IT-Verbünde mit bayerischer Beteiligung sind nahezu alle Ressorts eingegangen. Die Kennzahlen zum IT-Controlling vermitteln nur lückenhafte Informationen dazu, bei welchen Ressorts IT-Verbünde bestehen. Selbst die Meldungen der Ressorts zu ihren IT-Verbünden sind unvollständig. Damit fehlt schon der erforderliche Überblick, an wie vielen und welchen IT-Verbünden Bayern beteiligt ist.
Der ORH empfiehlt, zu allen IT-Verbünden mit bayerischer Beteiligung schon aufgrund ihrer strategischen Funktion und ihrer Bedeutung für den Haushalt regelmäßig fortzuschreibende, detaillierte Übersichten zu erstellen und dem Landtag vorzulegen.
44.3.2 Aufwand und Erstattungen für IT-Verbünde
Bei IT-Verbünden soll der Aufwand nachprüfbar und sachgerecht zwischen den Beteiligten verteilt werden. Dazu ist es erforderlich, im jeweiligen IT-Verbund sämtlichen angefallenen Aufwand zu erfassen. Das hat die Verwaltung versäumt.
Der ORH empfiehlt, den Gesamtaufwand und den auf Bayern entfallenden Anteil des jeweiligen IT-Verbunds zu erfassen. Das Digitalministerium sollte diese Daten dann auch im Rahmen des IT-Controllings erheben. Aus der Haushaltsrechnung selbst sind diese nicht ersichtlich.
Einnahmen sind rechtzeitig und vollständig zu erheben.10 Bei 14 IT-Verbünden, bei denen für Bayern Mehraufwand angefallen ist, wurden hierfür keine Erstattungen gezahlt. Es fehlten hierzu auch entsprechende vertragliche Regelungen. Der ORH empfiehlt, künftig vertraglich durchgängig sicherzustellen, dass anfallender Mehraufwand ausgeglichen wird. Bei den 14 IT-Verbünden sollte dies überprüft und ggf. auf eine Vertragsänderung hingewirkt werden.
44.3.3 Verwendung von Erstattungen
Ausgaben dürfen nur zu dem im Haushaltsplan bezeichneten Zweck geleistet werden.11 Soweit Einnahmen auf Erstattungen für Personalausgaben entfallen, die aus dem allgemeinen Staatshaushalt finanziert wurden, empfiehlt der ORH, diese auch wieder dem allgemeinen Staatshaushalt zuzuführen und die Notwendigkeit uneingeschränkter Koppelungsvermerke bei IT-Verbünden zu überprüfen.
44.3.4 Beteiligung des Landtags
IT-Verbünde werden oftmals unbefristet geschlossen und binden z.T. erhebliche Haushaltsmittel und staatliches Personal. Auch deshalb sieht das PBG bei Staatsverträgen sowie Verwaltungsabkommen mit finanzieller Auswirkung über 1 Mio. Euro oder mit landespolitischer Bedeutsamkeit eine frühzeitige Beteiligung des Landtags gerade auch in seiner Funktion als Haushaltsgesetzgeber vor. Der Landtag ist lediglich bei sieben IT-Verbünden ausreichend und ordnungsgemäß beteiligt worden.
Der Landtag hatte in mindestens acht Fällen mit Informationspflicht keine Gelegenheit zur Stellungnahme. Seine Haltung konnte damit nicht berücksichtigt werden. Der ORH weist darauf hin, die Vorgaben des PBG/VerPBG einzuhalten, und empfiehlt, dabei schon absehbare Kosten zu berücksichtigen.
44.4 Stellungnahme der Verwaltung
Im Rahmen des Prüfungsschriftwechsels haben vier Ressorts auf eine ressortspezifische Stellungnahme verzichtet. Bis auf das Digitalministerium wollen die Ressorts, die Stellung genommen haben, die Empfehlungen des ORH zukünftig berücksichtigen.
Das Digitalministerium lehnt die Empfehlung ab, im Rahmen des IT-Controllings eine detaillierte Übersicht zu den IT-Verbünden mit bayerischer Beteiligung zu erstellen. Es vermutet, dass die Empfehlung dazu dienen soll, zukünftig umfassendes Datenmaterial für Prüfungen des ORH bereitzustellen. Eine detaillierte Erhebung und Aufstellung zu Verbundprojekten sei für ein übergeordnetes IT-Controlling nicht relevant. Dem erheblichen Aufwand für Erhebung und Aufbereitung der Daten stehe keine direkte Steuerungsmöglichkeit gegenüber.
44.5 Schlussbemerkung
IT-Verbünde haben hohe strategische und finanzielle Bedeutung. Der Landtag wurde über mindestens acht IT-Verbünde nicht unterrichtet. Der ORH weist darauf hin, die Beteiligungsrechte des Landtags zu beachten. Er empfiehlt, zu allen IT-Verbünden mit bayerischer Beteiligung Aufwand und Erstattungen zu erfassen und durchgängig sicherzustellen, dass anfallender Mehraufwand ausgeglichen und zweckentsprechend eingesetzt wird. Der ORH hält die Ablehnung des Digitalministeriums, dazu einen transparenten Überblick zu schaffen, nicht für überzeugend: Die Staatsregierung hat erst im November 2021 das Digitalministerium mit einem zentralen, regelmäßigen und flächendeckenden Monitoring zum Stand der Digitalisierung in Bayern beauftragt.
[1] Art. 72 Abs. 2 BV.
[2] Koordinierte neue Software-Entwicklung der Steuerverwaltung; siehe auch Beratende Äußerung des ORH zu einzelnen Aspekten des Vorhabens KONSENS vom November 2020, abrufbar unter https://www.orh.bayern.de/berichte/sonderberichte/aktuell/1138-konsens.html
[3] Siehe auch Erläuterungen des Bundesministeriums des Innern (https://www.onlinezugangsgesetz.de/Webs/OZG/DE/umsetzung/nachnutzung/efa/efa-node.html, abgerufen am 23.06.2021).
[4] Gesetzentwurf über die Unterrichtung des Landtags durch die Staatsregierung, LT-Drs. 14/11731 vom 18.02.2003.
[5] Zwei Verbünde fallen in den Zuständigkeitsbereich von jeweils zwei Ressorts und wurden mehrfach gemeldet. Der ORH berücksichtigte diese bei der Auswertung nur jeweils einmal. Mit dem Digitalministerium wurde vereinbart, dass die Projekte des IT-Planungsrats (22 Projekte) und die 28 Projekte der Föderalen IT-Kooperation (FITKO) unter dem jeweiligen Verbund zusammengefasst wurden. Die FITKO bildet als Anstalt des öffentlichen Rechts in der Trägerschaft aller Länder und des Bundes den operativen Unterbau für den IT-Planungsrat (https://www.fitko.de/Start#dsarticle_5045183, abgerufen am 20.10.2021).
[6] Diese besonderen Vermerke, auch Koppelungsvermerke genannt, flexibilisieren durch Koppelung von Einnahmen und Ausgaben die Haushaltsführung und stärken die Budgetverantwortung der bewirtschaftenden Stellen.
[7] Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 PBG.
[8] Hierbei gilt das haushalterische Bruttoprinzip.
[9] Gemäß der Vereinbarung zwischen Landtag und Staatsregierung zum PBG Abschnitt IV VerPBG.
[10] Art. 34 Abs. 1 BayHO.
[11] Art. 45 Abs. 1 BayHO.