TNr. 16: Dienstsport bei der Polizei

Von den vorgeschriebenen vier Stunden Dienstsport werden durchschnittlich nur zwei Stunden pro Monat geleistet. Die Teilnahme ist außerordentlich unterschiedlich; sie ist weitgehend in das Ermessen der einzelnen Beamten gestellt. Leistungsüberprüfungen finden nicht statt.Der ORH hat eine grundlegende Überprüfung des Dienstsports gefordert.
16.1 Allgemeines
Voraussetzung für die Bewältigung der besonderen Anforderungen im Vollzugsdienst der Polizei ist ein überdurchschnittliches körperliches Leistungsvermögen. Dienstherr und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass diese Grundvoraussetzung jederzeit erfüllt ist. Daraus ergibt sich für alle Polizeivollzugsbeamten die Pflicht, sich dieses überdurchschnittliche körperliche Leistungsvermögen anzueignen und durch regelmäßige sportliche Betätigung zu erhalten. Der Staat als Dienstherr unterstützt die Beamten dabei im Rahmen seiner Fürsorgepflicht durch die „Anordnung, Ermöglichung und Förderung von regelmäßigem Dienstsport“.1
Polizeivollzugsbeamte sind gemäß Nr. 7.4 des Dienstsporterlasses unabhängig von der Art der ihnen übertragenen Aufgaben verpflichtet, am allgemeinen Dienstsport nach Lehr- und Dienstplan vier Stunden pro Monat teilzunehmen, wenn nicht Belange des polizeilichen Einsatzes vorgehen. Da in einem Monat ausgefallene Stunden nicht in spätere Monate übertragen werden und aufgrund von Urlaub und Krankheit die Teilnahme am Sport in der Regel in 2 von 12 Monaten nicht möglich ist, hat das Staatsministerium seinen internen Berechnungen bisher als Soll 40 Dienstsportstunden pro Jahr zugrunde gelegt.2
Auf dieser Basis beträgt bei zusammen 27.315 Polizeivollzugsbeamten das Jahressoll bei der Bayerischen Polizei insgesamt rund eine Million Dienstsportstunden (2003: 1.092.604 Stunden). Dies entspricht bezogen auf die seit 1. September 2004 geltende 42 Stunden-Woche für Beamte der Arbeitszeit von rd. 700 Vollzeitkräften (Planstellen). Zusätzlich wird Personal gebunden durch die Aus- und Fortbildung sowie den Einsatz von Sportübungsleitern (50 Stellen) und durch den Verwaltungs- und Organisationsaufwand (25 Stellen) für die Durchführung des Dienstsports.
16.2 Feststellungen des ORH
Der ORH hat geprüft, wie der Dienstsport in der Praxis vollzogen wird und Folgendes festgestellt:
16.2.1 Geringe Teilnahme
Die Teilnahme am Dienstsport bleibt weit hinter den Vorgaben zurück. Tatsächlich wird nur durchschnittlich die Hälfte des Jahressolls erfüllt. Im Jahr 2002 wurden 549.027 Dienstsportstunden (50 %) nachgewiesen, 2003 waren es 570.851 Dienstsportstunden (52 %).
16.2.2 Große Bandbreite
Die Erfüllungsquote ist bei den einzelnen Polizeiverbänden unterschiedlich. Sie reicht von 108 % bei der Bereitschaftspolizei (ohne Beamte in Ausbildung) bis zu nur 36 % beim Polizeiverwaltungsamt (vgl. Zahlenübersicht 1).
Bei der Landespolizei entfallen 1.879 Polizeivollzugsbeamte auf „Sonderdienststellen“ wie Einsatzzüge, Unterstützungskommandos, Zivile Einsatzgruppen, OK-Dienststellen3 und Spezialeinheiten. Deren Dienstsporterfüllung von durchschnittlich knapp 45 Stunden im Jahr (112 %) erklärt sich aus der besonderen Aufgabenstellung und Dienstgestaltung dieser Einheiten. Sie sind mit den Verhältnissen der anderen Dienststellen der Landespolizei nicht vergleichbar. Ohne sie beträgt die Erfüllungsquote bei der Landespolizei nur 41 % (statt 40 Stunden nur 16,4 Stunden im Jahr bzw. pro Woche nicht einmal 20 Minuten).
Die Bandbreite der Erfüllungsquoten ist auch innerhalb der Landespolizei erheblich. In der nachfolgenden Zahlenübersicht 2 sind jeweils die höchsten und die niedrigsten Werte von untereinander vergleichbaren Dienstbereichen gegenübergestellt.
Diese Unterschiede haben vielfältige Ursachen. So ist z.B. von Bedeutung, welche Sportarten als Dienstsport anerkannt sind, zu welchen Zeiten Dienstsport im Dienstplan festgesetzt und ob nur Gemeinschaftssport oder auch eine individuelle Sportausübung zugelassen wird. Einen wesentlichen Anteil hat aber die Einstellung der Polizeiführung. Misst diese dem Dienstsport eine hohe Priorität zu, erreichen auch Dienststellen mit überdurchschnittlich hoher Belastung gute Werte. Häufig bleibt aber die Entscheidung, am Dienstsport teilzunehmen, in das Ermessen der einzelnen Beamten gestellt. Ob im Einzelfall vorrangige polizeiliche Einsatzbelange die Teilnahme am Dienstsport begründet ausschließen, wird in der Regel nicht überprüft.
16.2.3 Keine Leistungsüberprüfungen
Leistungsüberprüfungen sind gemäß Nr. 1.5 des Leitfadens 290 „Sport in der Polizei“ zwar vorgesehen, finden aber nicht statt. Deshalb fehlt ein objektiver Überblick über den Leistungsstand der Beamten. Eine Erfolgskontrolle, ob die mit dem Dienstsport verfolgten Ziele erreicht werden, ist nicht möglich.
16.2.4 Unwirtschaftlicher Einsatz von Sportübungsleitern
Nach den derzeitigen Vorgaben ist der allgemeine Dienstsport für Polizeivollzugsbeamte grundsätzlich unter der Leitung und Aufsicht eines Sportlehrers, Sport- oder Fachübungsleiters oder eines Gesundheitstrainers durchzuführen. In Ausnahmefällen kann der Dienstvorgesetzte andere geeignete Beamte zur Durchführung einteilen. Nach den Feststellungen des ORH werden für den allgemeinen Dienstsport in der Regel Sportübungsleiter mit A-Lizenz, in geringem Umfang Übungsleiter ohne Lizenz und nur in Einzelfällen sonst geeignete Polizeivollzugsbeamte eingesetzt.
Die Aus- und Fortbildung der Sportübungsleiter obliegt dem Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei (BPFI). Die Lizenz wird in einem dreiwöchigen Lehrgang mit Kosten von 4 200 € pro Teilnehmer erworben. Zum Erhalt der Lizenz ist alle vier Jahre ein Fortbildungslehrgang erforderlich; die Kosten hierfür betragen 840 € (zusätzlich Reisekosten). Nach den Ausbildungszahlen der letzten 14 Jahre haben beim BPFI jährlich durchschnittlich 100 Polizeivollzugsbeamte die A-Lizenz erworben und 200 Sportübungsleiter an einem Fortbildungsseminar zur Verlängerung der A-Lizenz teilgenommen. Die jährlichen Kosten für die Aus- und Fortbildung betrugen 600.000 €.
Im Jahr 2003 waren insgesamt 1.620 Sportübungsleiter, davon 1.489 mit sog. ALizenz (92 %) und 131 ohne Lizenz vorhanden. Von 1.294 Sportübungsleitern4 mit A-Lizenz wurden insgesamt 50.298 und von 116 Übungsleitern ohne Lizenz 1.975 Dienstsportstunden geleitet.
Die Zahl der von Sportübungsleitern mit A-Lizenz geleiteten Sportstunden war sehr unterschiedlich. 223 Sportübungsleiter (17 %) haben 2003 überhaupt keine und 502 Sportübungsleiter (39 %) pro Monat im Durchschnitt nur eine Sportstunde geleitet. 161 Sportübungsleiter (12 %) waren weder 2002 noch 2003 als Übungsleiter eingesetzt. Dieser Einsatz ist unbefriedigend und rechtfertigt die Kosten für Erwerb und Erhalt der Lizenz nicht.
16.3 Folgerungen des ORH
Regelmäßiger Sport ist für alle Polizeivollzugsbeamten erforderlich, um sich die für ihren Beruf notwendige körperliche Leistungsfähigkeit anzueignen und zu erhalten. Vier Stunden Dienstsport pro Monat reichen dazu allerdings nach sportwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht aus und können nur ein Anreiz zu einer entsprechenden Lebensführung sein. Die schlechten Teilnahmequoten, der geringe Stellenwert des Dienstsports bei Führung und Vollzug trotz Dienstpflicht und fehlende Leistungsüberprüfungen wecken Zweifel an dessen Nutzen.
Der ORH hat eine detailierte Analyse der festgestellten Mängel und Maßnahmen gefordert, die einen effektiven und wirtschaftlichen Einsatz der Haushaltsmittel sicherstellen. Hierzu müssen andere Modelle geprüft und auf der Grundlage einer Nutzen-Kosten-Analyse bewertet werden. Als Alternativen kommen in Betracht z.B. die Umstellung auf ein auf Freiwilligkeit basierendes System mit Anreiz- und Motivationselementen, wie es etwa in Österreich eingeführt wurde, die Verlagerung des Sports in dienstfreie Zeiten mit entsprechenden Zeitgutschriften und entsprechend dem Training für polizeiliches Einsatzverhalten die Konzentration auf bestimmte Zielgruppen. Der ORH hält es jedenfalls für erforderlich, dass die für den Erhalt der polizeilichen Leistungsfähigkeit geeigneten Sportarten verbindlich vorgegeben, Standards bestimmt und Verfahren zur Leistungsüberprüfung festgelegt werden. Auch darf nicht von vornherein ausgeschlossen werden, den Erhalt der für den Polizeiberuf erforderlichen Leistungsfähigkeit der privaten Lebensführung der Beamten ohne einen vom Dienstherrn finanzierten „Anreiz“ zu überantworten (wie z.B. in der Schweiz).
16.4 Stellungnahme des Staatsministeriums und Schlussbemerkung des ORH
Das Staatsministerium bestreitet die vom ORH aufgezeigten Mängel nicht und erkennt die Notwendigkeit von Maßnahmen an. Einen völligen Verzicht auf den Dienstsport sieht es aber als nicht sinnvoll und zielführend an. Die speziellen Anforderungen im Polizeiberuf erfordern nach seiner Auffassung auch aus sportlicher Sicht ein abgestimmtes Training, das nur unter fachlicher Anleitung erfolgen kann. Eine Durchführung des Dienstsports von monatlich vier Stunden als Anreiz für die Erhaltung der notwendigen körperlichen Leistungsfähigkeit im Polizeiberuf unter Anleitung eines ausgebildeten Fachübungsleiters erscheine daher auch künftig zwingend notwendig.
Um eine höhere Teilnahme am Dienstsport zu erzielen und eine effiziente Ausgestaltung des Dienstsports zu erreichen, würde die Dienstsportregelung durch eine Arbeitsgruppe überarbeitet. Dabei sollen u.a. Ziele definiert und die Forderungen des ORH nach Leistungsüberprüfungen und stärkerer Erfolgskontrolle geprüft werden. Auch die Ausbildung weiterer Sportübungsleiter habe das Staatsministerium bis auf weiteres ausgesetzt.
ORH und Verwaltung sind sich in der Notwendigkeit einer grundlegenden Überprüfung des Dienstsports bei der Polizei einig. Sie muss allerdings ergebnisoffen durchgeführt werden. Entscheidungen zu dessen künftiger Gestaltung sind auf der Grundlage einer Nutzen-Kosten-Untersuchung zu treffen. Vor dem Hintergrund der erheblichen haushaltswirtschaftlichen Herausforderungen darf dabei auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, den Dienstsport in seiner bisherigen Form ganz in Frage zu stellen.
1) Nr. 1 des sog. Dienstsporterlasses des StMI vom 28.02.2001
2) Aufgrund der Prüfungsmitteilung des ORH vom 06.05.2005 hat das Staatsministerium mit Schreiben vom 12.09.2005 die Zahl der zu berücksichtigenden Dienstsportstunden auf 20 Stunden pro Jahr reduziert.
3) Organisierte Kriminalität
4) Die Abweichung zur Gesamtzahl der Übungsleiter (1.620) beruht darauf, dass eine Reihe von Dienststellen für insgesamt 210 Übungsleiter keine Aufzeichnungen geführt hat und somit eine Zuordnung von Stunden nicht möglich ist.