TNr. 30: Agrarinvestitionsförderprogramm

Die Landwirtschaftsverwaltung hat es unterlassen, gebotene Rückforderungen in Millionenhöhe geltend zu machen. Selbst bei Subventionsbetrug mussten Zuwendungsempfänger häufig nichts oder nur geringe Beträge zurückzahlen.
30.1 Einleitung
Der ORH hat das staatliche Agrarinvestitionsförderprogramm in der Landwirtschaft (Milchvieh- und Schweinehaltung, Gartenbau) für den Zeitraum von 1995 bis 2001 geprüft (Fördervolumen insgesamt rd. 885 Mio €). Die Maßnahmen wurden aus Mitteln des Bundes (60 %) und des Landes (40 %) finanziert. Die EU erstattete im Regelfall jeweils 25 % der Ausgaben.
Die Prüfung ergab, dass die Förderabwicklung durch die Verwaltung zahlreiche Mängel aufwies und auch die Geförderten ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Die Feststellungen wurden im ORH-Bericht 2003 (TNr. 27) veröffentlicht. In 2004 wurde im Rahmen einer Nachschau geprüft, ob und in welchem Umfang die Mängel erledigt wurden. Ferner wurde der Behandlung der 75 Fälle mit Anfangsverdacht auf Subventionsbetrug nachgegangen.
30.2 Anfangsverdacht auf Subventionsbetrug
Der Straftatbestand des Subventionsbetrugs (§ 264 StGB) ist erfüllt, wenn der Antragsteller vorsätzlich oder leichtfertig falsche Angaben zu Fragen macht, die im Antragsformular des Agrarinvestitionsförderprogramms ausdrücklich als „subventionserheblich“ bezeichnet werden. Geschädigter beim Subventionsbetrug ist der Staat.
30.2.1 Ergebnis der Nachschau (Stand: 1. August 2005)
Die Staatsanwaltschaften haben in 75 Fällen Ermittlungen eingeleitet. Der Stand der Verfahren stellt sich wie folgt dar:
a) In 18 Verfahren sind die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Davon sind in 16 Fällen die Ermittlungen im Frühjahr 2005 aufgenommen worden.
b) Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat in acht Fällen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach § 152 Abs. 2 StPO abgesehen, weil die im Antragsverfahren vorgesehene Erklärung zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG von der Verwaltung nicht gefordert worden sei.
c) In 13 Fällen mussten die Verfahren von den Staatsanwaltschaften nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden, weil die Antragsteller in den Beschuldigtenvernehmungen glaubhaft darstellen konnten, dass die Mitarbeiter der Landwirtschaftsämter bzw. die Betreuer über subventionserhebliche Tatsachen wie die Vermögenslage oder die Art der Besteuerung in den Beratungsgesprächen informiert waren. Nach Aussage von beschuldigten Landwirten sollen Berater der Landwirtschaftsämter oder Betreuer sogar zu dem „Angabeverhalten“ geraten haben. Die Staatsanwaltschaften sahen in diesen Fällen den subjektiven Tatbestand des Subventionsbetrugs als nicht gegeben an.
d) In 36 Fällen gelangten die Staatsanwaltschaften zu der Auffassung, dass der Tatbestand des Subventionsbetrugs erfüllt ist. 21 Verfahren wurden gemäß § 153 Abs. 1 StPO (die Schuld des Täters ist als gering anzusehen) bzw. § 153 a Abs. 1 StPO (Auflage, einen Geldbetrag zu zahlen) eingestellt. In 14 Verfahren wurden von Amtsgerichten Strafbefehle erlassen bzw. Urteile gefällt. Dabei kam es zu Auflagen bzw. Geldstrafen von 1.000 € bis 16.800 € je Förderfall und Freiheitsstrafen bis zu neun Monaten auf Bewährung. Ferner ist eine Selbstanzeige erledigt (Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und eine Geldstrafe von 14.400 €).
Häufig haben die Landwirtschaftsbehörden gegenüber den Strafverfolgungsbehörden erklärt, dass durch die unzutreffenden Angaben bzw. durch die Verletzung der Mitteilungspflichten kein Schaden für den Freistaat Bayern eingetreten sei. Unrichtige bzw. unvollständige Angaben der Antragsteller hätten keinen Einfluss auf die Vergabe und Höhe der Zuwendung gehabt. In Stellungnahmen gegenüber den Staatsanwaltschaften lassen Ämter sogar erkennen, dass sie von Anfang an darüber informiert waren, dass subventionserhebliche Angaben falsch sind.
Das Staatsministerium hat inzwischen zumindest in einem Fall die Regierung aufgefordert, die rechtfertigenden Äußerungen zur Vergabe der Fördermittel und Bewertung des Verdachts auf Subventionsbetrug gegenüber der Staatsanwaltschaft als unzutreffend zurückzunehmen und für eine entsprechende Richtigstellung zu sorgen.
30.2.2 Haltung des ORH
Die Verwaltung hat offensichtlich das Bestreben, möglichst umfassend zu fördern, über das Interesse des Staates an der Subsidiarität der Förderung und der Korrektheit der dazu nötigen Angaben gestellt.
Auch im Hinblick auf die Zuwendungsempfänger, die korrekte Angaben gemacht haben, können Straftaten nicht toleriert oder gar entschuldigt werden, die zu einer überhöhten Förderung führen.
30.3 Investitionsförderung in der Schweinehaltung
Nach Art. 6 Abs. 4 der VO (EG) Nr. 950/97 (Effizienzverordnung) darf „eine Investitionsbeihilfe nicht gewährt werden, wenn sie zu einer Erhöhung der Zahl der Schweineplätze führt“. Diese Förderrestriktion ist seit dem Jahr 1994 gültig und für die Förderabwicklung an den Landwirtschaftsämtern maßgeblich. Ein Ermessensspielraum besteht nicht. Entscheidend für die Beurteilung, ob und ggf. wie stark die Produktionskapazität erhöht wurde, ist die Festlegung des Ausgangsbestands. Förderfähig sind nur Investitionen, die einer nachhaltig bewirtschafteten Anzahl an Schweinen entsprechen.
Der ORH hat in seinem Jahresbericht 2003 festgestellt, dass in 66 von 100 geprüften Förderfällen die Zuwendungsempfänger mit Hilfe der Fördermittel durch bauliche Veränderungen und Erweiterungen zusätzliche Produktionskapazitäten geschaffen haben. Auf diese Weise führten die Investitionsbeihilfen zu erheblichen Bestandserhöhungen. Der Landtag hat daraufhin die Staatsregierung ersucht, Verstöße gegen Förderrecht zügig abzuwickeln und im Interesse der Landwirte einen korrekten Vollzug des Förderprogramms zu gewährleisten.
Die EU überlässt es den Mitgliedstaaten, wie lange ein bestimmter Schweinebestand im Betrieb vorhanden sein muss (Nachhaltigkeit), um förderfähig zu sein. Das Staatsministerium hat die Landwirtschaftsämter bereits auf einer Dienstbesprechung im Jahr 1996 und in mehreren Schreiben (1998 und 2003) auf eine mindestens zweijährige Haltungsdauer als Voraussetzung für die Gewährung von Investitionsbeihilfen hingewiesen und hat dies auch noch im März 2004 mit ausführlicher fachlicher Begründung fesgehalten.
Der ORH hat bei seiner Nachschau 2004 Folgendes festgestellt:
30.3.1 Vorgehensweise des Staatsministeriums bei den Rückforderungen
Das Staatsministerium hat zunächst im März 2003 aufgrund der vorgegebenen Berechnungsmethode Regelungen getroffen, die in den meisten beanstandeten Fällen zu hohen Rückforderungen geführt hätten. Diese Regelungen wurden bereits im Juli 2003 wieder aufgehoben und durch eine modifizierte Berechnungsmethode ersetzt. Als diese immer noch zu hohen Rückforderungen führte, wurde nach den Feststellungen des ORH das Förderkriterium „Nachhaltigkeit“ neu definiert.
Mit Schreiben vom November 2004 wurde schließlich rückwirkend geregelt, dass bei der Bewertung der „Nachhaltigkeit“ eine nur noch „mindestens einjährige Haltungsdauer ausreichend ist“. Damit konnten die Rückforderungen nochmals drastisch reduziert werden.
Das Staatsministerium hält seine Einschätzung vom März 2004 zur Nachhaltigkeit inzwischen so nicht mehr für richtig. Als Begründung wird auch angeführt, dass in Unterfranken ein Richtwert von einem Jahr für den Nachweis der nachhaltigen Schweineproduktion ausreichend gewesen sei. Die Regierung von Unterfranken hat jedoch bereits 1995 Auslegungshilfen erlassen. Darin heißt es u.a.: „Der Bestand muss eine Zeit lang ernsthaft betrieben sein. Die Produktionsdauer von einem Jahr oder ein bis zwei 'billige' Sommermasten sind eine klare Umgehung.“
30.3.2 Haltung des ORH
Die rückwirkende Änderung der Fördervoraussetzungen diente vorrangig dem Ziel, Rückforderungen zu vermeiden. Dies ist nicht zulässig und außerdem ungerecht gegenüber Landwirten, deren Antrag abgelehnt wurde bzw. die gar keinen Antrag gestellt haben.
Bei den 66 vom ORH beanstandeten Fällen hätten zum Zeitpunkt der Antragstellung die beabsichtigten Aufstockungen offen gelegt werden müssen. Wegen der bestehenden Förderrestriktion hätten Zuschüsse von 2,79 Mio € und zinsverbilligte Darlehen von 12,07 Mio € nicht bewilligt werden dürfen.
Die wiederholten Bemühungen des Staatsministeriums, die Zahl der Rückforderungen zu minimieren, führten zu folgendem Ergebnis:
- Bei Anwendung der Berechnungsmethode nach der Regelung vom März 2003 wäre eine Rückforderung der Zuschüsse von 1,78 Mio € und der zinsverbilligten Darlehen von 7,96 Mio € erforderlich gewesen.
- Nach der Berechnungsmethode vom Juli 2003 reduzierte sich die Rückforderung grundsätzlich auf den zu Unrecht erlangten Teil der Förderung. Bei einer korrekten Umsetzung dieser Regelungen hätten immer noch Zuschüsse von 1,25 Mio € und zinsverbilligte Darlehen von 5,63 Mio € zurückgefordert werden müssen.
- Mit der in 2004 eingebrachten nachträglichen Absenkung der Nachhaltigkeit auf ein Jahr wurden die Rückforderungen nochmals drastisch verringert. Nach dem Stand vom 1. August 2005 werden nur in 29 von 66 Fällen noch Zuschüsse von 450.000 € und zinsverbilligte Darlehen von 1,9 Mio € zurückgefordert.
Die zuletzt noch für notwendig gehaltenen Kürzungen stehen in einem krassen Widerspruch zu den von der Verwaltung nach ihren eigenen Maßstäben zunächst tatsächlich eingeleiteten Rückforderungen.
30.3.3 Einzelergebnisse der Nachschau
In Unterfranken waren von der Rechnungsprüfung 53 von 60 Fällen beanstandet worden. Zur Abarbeitung der Feststellungen wurde dort eine verwaltungsinterne „Arbeitsgruppe Rechnungsprüfung“ eingerichtet. Im November 2003 wurden die ersten Rückforderungsbescheide erlassen. Die Rückforderungen lösten Unruhe bei den betroffenen Zuwendungsempfängern aus. Die Arbeitsgemeinschaft Landwirtschaftliche Gebäude Unterfranken (rd. 120 führende Schweinehalter) organisierte in der Folgezeit Beratungen mit der Standesvertretung und Rechtsanwälten, um „der immer größer werdenden Zahl an beratungsgeschädigten Landwirten“ zu helfen.
Während der Tätigkeit der Arbeitsgruppe kam es zu umfassenden Personalwechseln. Damit verbunden änderte sich auch die Sachbearbeitung. Von den zuständigen Mitarbeitern wurden mittels Herleitungen und Plausibilitätsberechnungen in 34 Fällen die Aufstockungen heruntergerechnet. So wurde z.B. aus einer 100 %igen Aufstockung eine 12 %ige, aus einer 49 %igen Aufstockung eine 8,5 %ige. Aus dem Aktenvermerk eines Abteilungsleiters an der Regierung geht hervor, dass seitens des Staatsministeriums darauf hingewirkt wurde, entgegen der fachlichen Ansicht der Mitarbeiter notwendige Rückforderungen zu verhindern:
„Am 27.1.2005 führte Unterzeichneter ein Telefonat mit MR [...], StMLF, wegen der Rückforderung im Fall [...]. Unterzeichneter teilte MR [...] mit, dass die Regierung von Unterfranken Probleme damit habe, die Gründe des Staatsministeriums für eine Teilrückforderung mit zu tragen. Die Regierung von Unterfranken sei nach wie vor der Auffassung, dass nach den Vorgaben der Bayerischen Haushaltsordnung eine Vollrückforderung angezeigt sei. MR [...] wies unmissverständlich darauf hin, dass die in den o.g. Schreiben vorgetragene Rechtsauffassung einhellige Meinung der Abteilungen B und R im StMLF ist und auch von[...] mitgezeichnet wurde. Das Schreiben liege nun drei Monate bei der Staatskanzlei, ohne dass eine Beanstandung in irgendeiner Weise erfolgt sei. OAR [...] war als Mithörer Zeuge des Telefonats.“
Das Staatsministerium weist darauf hin, dass im o.g. Fall keine Weisung an die Regierung gegeben worden sei und sieht keine Anhaltspunkte für die Interpretation des Vermerks durch den ORH.
Zwei Beispiele für die unzureichende Sachbearbeitung:
Fall A
In diesem Förderfall wurde auf Rückforderungen der gewährten Zuschüsse von 67.000 € und der zinsverbilligten Darlehen von 296.000 € verzichtet (gesamter Subventionsvorteil rd. 185.000 €).
Ein mit dem Rückforderungsfall betrauter Landwirtschaftsdirektor hatte im Mai 2004 auf der Grundlage von Daten, die zeitnah zum Förderantrag vom Landwirtschaftsamt erhoben worden waren, eine förderrechtliche Bewertung mit dem Ergebnis durchgeführt, dass „im vorliegenden Fall kein ordnungsgemäßer Förderungsvollzug stattgefunden hat und die Richtlinien in einem nicht mehr vertretbaren Umfang umgangen worden sind. Da es sich nach meiner Meinung um einen Umgehungstatbestand handelt, ist die Förderung zurückzufordern und eine Teilrückforderung unter Anwendung der von mir oben hergeleiteten Rationalisierungsgröße nicht zulässig“.
Es wurden jedoch keine Konsequenzen aus dieser förderrechtlichen Bewertung gezogen. Vielmehr wurde von der Regierung festgestellt, dass es in diesem Förderfall zu keiner Erhöhung der Produktionskapazität gekommen sei. Diese hatte die Bearbeitung des Förderfalls durch den Landwirtschaftsdirektor als nicht vertretbar eingestuft. Das Staatsministerium akzeptiert diese Haltung.
Fall B
In einem Förderfall wurde die Rückforderung im Widerspruchsverfahren deutlich reduziert. Dennoch hat der Zuwendungsempfänger Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Gericht hielt die ursprüngliche vollständige Rückforderung für sachlich richtig, konnte prozessrechtlich aber nur über die angefochtene Teilrückforderung entscheiden. In der Urteilsbegründung führt das Gericht u.a. aus:
„Der ursprüngliche Bescheid des Landwirtschaftsamts vom 1.8.2003, mit dem der Zuwendungsbescheid rückwirkend und in vollem Umfang zurückgenommen wurde, war inhaltlich rechtmäßig. ... Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen, denn nach Überzeugung des Gerichts kannte er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts (Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 BayVwVfG). Der Kläger ist keineswegs der ahnungslose Schweinemäster, der keine Kenntnis von Förderrichtlinien hatte, wie ihn sein Bevollmächtigter darzustellen versucht. Er hat die landwirtschaftliche Meisterprüfung abgelegt und der Verfahrensablauf zeigt, dass er informiert war über die Förderrichtlinien; insbesondere beweist der Zeitpunkt der Antragstellung am 28.12.1990, dass hierdurch versucht wurde, die günstigeren Möglichkeiten sich zu erhalten. ... Dem Kläger kann allenfalls zugute gehalten werden, dass das Landwirtschaftsamt bzw. der Sachbearbeiter sich bereitwillig zeigte, die Pläne zu unterstützen und 'mitspielte'.“
Das Staatsministerium wendet ein, das Gericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend gewürdigt.
30.3.4 Zusammenfassung zur Investitionsförderung in der Schweinehaltung
30.3.4.1 Haltung des Staatsministeriums
Die neuen Berechnungen im Jahr 2004 werden vom Staatsministerium u.a. darauf zurückgeführt, dass grundlegende Auffassungsunterschiede bei der Beurteilung der zulässigen Produktionskapazität auch innerhalb der Landwirtschaftsverwaltung bestanden. Im Hinblick auf die z.T. über zehn Jahre zurückliegenden Vorgänge seien die Sachverhalte auch kaum mehr mit hinreichender Sicherheit zu klären. In einzelnen Fällen kommt das Staatsministerium zum Ergebnis, dass insgesamt gesehen auch restriktivere Ermessensentscheidungen vertretbar gewesen wären. Im Rahmen eines mehrstufigen Verwaltungsaufbaus, bei dem Ermessensentscheidungen auf nachgeordnete Behörden delegiert sind, müssten aber die vor Ort getroffenen Abwägungen respektiert werden.
Aufgrund der vom Staatsministerium in den genannten Einzelfällen vorgenommenen Überprüfungen sei einzuräumen, dass die Fördervorhaben vor Ort im Hinblick auf Datenerhebung, Dokumentation, Plausibilitätsprüfungen und Nachvollziehbarkeit erhebliche Defizite aufweisen. Insoweit könne dem Vorwurf einer unzureichenden Überwachung nicht mit überzeugenden Argumenten begegnet werden. Aus heutiger Sicht mit einem zeitlichen Abstand von z.T. über zehn Jahren ließen sich keine verlässlichen (gerichtsfesten) Nachweise über ein entsprechendes Fehlverhalten von damaligen Vorgesetzten führen. Das Staatsministerium räumt ein, dass es bei der Förderberatung und Begleitung der Investitionsmaßnahmen in dem vom ORH überprüften Berichtszeitraum zu rechtswidrigen Bewilligungen gekommen ist, deren Aufhebung unter Berücksichtigung der Mitverantwortung der Behörde nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu Vollrückforderungen führen konnte. Das Staatsministerium ist allerdings nicht der Meinung, dass durch die im Rahmen der sachgerechten Ermessensausübung beschränkten Rückforderungsmöglichkeiten ein Schaden in Millionenhöhe entstanden sei. Die Fördergelder seien entsprechend ihrer Zweckbestimmung in Strukturverbesserungsmaßnahmen eingesetzt worden. Das Staatsministerium müsse jedoch ebenfalls einräumen, dass der zu wenig koordinierte Verwaltungsvollzug eine echte Gleichbehandlung aller an Investitionsvorhaben interessierten Landwirte nicht sichergestellt hat. Es sollte dabei aber nicht übersehen werden, dass bei der Vielschichtigkeit der unterschiedlichen Betriebssituationen eine durchgängige Gleichbehandlung kaum erreicht werden könne.
30.3.4.2 Haltung des ORH
Das Staatsministerium ist seiner Rolle als oberste Dienstbehörde nicht gerecht geworden. Dem Staat ist durch zu viel gewährte Fördermittel und unterlassene Rückforderungen ein Schaden in Millionenhöhe entstanden. Zugleich werden durch den mangelhaften Verwaltungsvollzug Landwirte, die sich korrekt verhalten haben, benachteiligt.
Die selbstkritischen Äußerungen des Staatsministeriums bleiben bei allgemeinen Eingeständnissen stehen, sie führen jedoch in keinem konkreten Fall zu Konsequenzen.
30.4 Investitionsförderung in der Milchviehhaltung
Der ORH hat in seinem Jahresbericht 2003 aus einer Stichprobe von 190 Fällen 53 Fälle beanstandet. Nach dem Prüfergebnis wären Zuschüsse in Höhe von über 440.000 € zurückzufordern und zinsverbilligte Darlehen um 1,7 Mio € zu reduzieren gewesen. In 33 Fällen wurde keine Korrektur, in 20 Fällen wurde eine geringfügige Korrektur der zu Unrecht gewährten Fördermittel vorgenommen. Es wurden Zuschüsse von rd. 93.000 € zurückgefordert und zinsverbilligte Darlehen in einem Umfang von 596.000 € reduziert. Damit ist das Staatsministerium deutlich hinter den nach Auffassung des ORH notwendigen Rückforderungen zurückgeblieben.
30.5 Berücksichtigung der eigenen Leistungskraft bei den Förderungen nach dem Agrarinvestitionsförderprogramm
In allen Förderbereichen hat der ORH festgestellt, dass die Zuwendungsempfänger z.T. über erhebliches außerlandwirtschaftliches Vermögen verfügten. Nach Art. 44 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 23 BayHO dürfen staatliche Stellen nur dann Zuwendungen gewähren, wenn das hinter der Verwirklichung des Vorhabens stehende erhebliche staatliche Interesse ohne die Zuwendung nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden könnte. Das Subsidiaritätsprinzip verlangt, dass das Eigeninteresse und die Möglichkeit des Geförderten, angemessene Eigenmittel einzubringen, berücksichtigt werden. Es ist deshalb erforderlich, dass die Bewilligungsbehörden das Vermögen des Zuwendungsempfängers vollständig ermitteln. Erst dann können sie abwägen, in welcher Höhe Vermögenswerte zur Finanzierung des geförderten Projekts herangezogen werden müssen und in welcher Höhe Rückbehalte als finanzielle Reserven angemessen sind.
30.5.1 Ergebnis der Nachschau
In der Nachschau wurde festgestellt, dass die Zuwendungsempfänger z.T. über erheblichen außerlandwirtschaftlichen Grundbesitz (z.B. Mietobjekte) oder Kapitalvermögen (z.B. Bankguthaben, Wertpapiere) verfügten.
In 26 Fällen wurden Zuschüsse in Höhe von 296.000 € zurückgefordert und ausgereichte zinsverbilligte Darlehen um rd. 2,8 Mio € gekürzt. Bei weiteren 33 geförderten Maßnahmen wurden aber das festgestellte Vermögen von über 3,3 Mio € sowie Zins- und Mieteinnahmen nicht ausreichend berücksichtigt. Die Eigenmittel wurden für Geldanlagen oder für private Investitionen im Antragszeitraum verwendet (z.B. für Kauf oder Errichtung von Mietobjekten).
Nach unseren überschlägigen Berechnungen wären trotz angemessener Rückbehalte weitere Korrekturen bei den zinsverbilligten Darlehen in einem Umfang von rd. 2,5 Mio € erforderlich gewesen. Auf drei Fälle wird beispielhaft hingewiesen:
Fall A
Der Antragsteller hat im Förderantrag zu seinen Vermögensverhältnissen falsche Auskünfte erteilt. Ein Amtsgericht hat den Tatbestand des Subventionsbetrugs bestätigt und das Verfahren gegen Zahlung von 1.500 € eingestellt. Der Antragsteller verfügte tatsächlich über ein Kapitalvermögen von umgerechnet 60.000 € und ein vermietetes Reiheneckhaus. Nach Auffassung des Landwirtschaftsamts sei es nicht zumutbar, „die zur Antragstellung vorhandenen Finanzmittel voll in die Finanzierung einzustellen“. Die gewährten Fördermittel werden „somit nicht gekürzt“. Das Landwirtschaftsamt hatte der Rechnungsprüfung mitgeteilt, dass nach Aussage des Zuwendungsempfängers das Landwirtschaftsamt gewusst habe, dass ein Barguthaben von umgerechnet 60.000 € zur Verfügung stehe.
Die zuständige Regierung stimmte dem Vorgehen zu und erklärte den von der Rechnungsprüfung vorgelegten Fall kurzerhand für abgeschlossen.
Trotz der erheblichen Vermögenswerte und der falschen Angaben des Zuwendungsempfängers haben weder das Landwirtschaftsamt noch die Regierung eine Korrektur der Förderbeträge für erforderlich gehalten.
Fall B
Für Investitionen im Milchviehbereich sind Aufwendungen von 222.000 € angefallen. Das Landwirtschaftsamt gewährte Zuschüsse von 42.000 € und zinsverbilligte Darlehen von 104.000 €. Zum Zeitpunkt der Antragstellung verfügte der Zuwendungsempfänger über ein Kapitalvermögen von 274.000 €, das aber im Förderantrag verschwiegen wurde. Über die noch vor der Bewilligung gemachte Erbschaft mit einem Vermögenswert von 100.000 € wurde das Landwirtschaftsamt ebenfalls nicht informiert. Schließlich verfügte der Zuwendungsempfänger noch über ein Mehrfamilienhaus (Verkehrswert: 307.000 €).
Bei einem tatsächlich vorhandenen Kapitalvermögen von 274.000 € und einem Immobilienvermögen von über 400.000 € wäre der Zuwendungsempfänger in der Lage gewesen, die Investition ohne staatliche Förderung zu tätigen. Obwohl der Zuwendungsbescheid trotz falscher Antragsangaben erfolgte, nahm das Landwirtschaftsamt die Zuwendung nicht in vollem Umfang zurück, sondern kürzte lediglich das zinsverbilligte Darlehen um 37.800 €. Im Widerspruchsverfahren reduzierte die Regierung von Oberbayern die Kürzung auf 25.300 €. Auf Vertrauensschutz kann sich der Zuwendungsempfänger wegen unrichtiger Angaben bei der Antragstellung nicht berufen (Art. 48 Abs. 2 VwVfG). Die Staatsanwaltschaft stellte ein Vergehen des Subventionsbetrugs fest und beantragte beim zuständigen Amtsgericht eine Geldstrafe.
Fall C
Neben offen gelegten 46.016 € wurde ein Kapitalvermögen von 182.726 € verschwiegen. Vom Amtsgericht wurden die Angeklagten wegen Subventionsbetrugs jeweils zu einer Geldstrafe von 8.400 € (120 Tagessätze zu je 70 €) verurteilt. Zur Strafzumessung wurde vom Gericht u.a. ausgeführt: „Zugunsten der Angeklagten wurde jedoch vom Gericht gewertet, dass das Landwirtschaftsamt [...] zumindest gegenüber den Angeklagten nach Auffassung des Gerichts in grob fahrlässiger Weise die Vermögensverhältnisse der Angeklagten nicht aufklärte. Zunächst ist zu sehen, dass schon aus dem vom Angeklagten [...] vorgelegten Einkommensteuerbescheid für die Jahre 1995 und 1996 ersichtlich ist, dass Kapitalvermögen bei beiden Angeklagten vorhanden sein muss.“
30.5.2 Haltung des Staatsministeriums
Die allgemeinen Ausführungen des ORH zur eigenen Leistungsfähigkeit des Zuwendungsempfängers und zum Subsidiaritätsprinzip werden in rechtlicher Hinsicht nicht in Zweifel gezogen. Bei den vom ORH angeführten Beispielfällen akzeptiert das Staatsministerium jedoch die von den Regierungen vertretene Auffassung. Danach seien die Vermögensverhältnisse den Behörden zwar rechtzeitig bekannt gewesen; aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt gegebenen unsicheren Vorgaben über die Obergrenze für betriebsnotwendige Rückbehalte hätten die seinerzeit getroffenen Entscheidungen aber hinsichtlich der notwendigen Einbeziehung in die Finanzierung nicht aufsichtlich beanstandet werden können.
30.5.3 Haltung des ORH
Der ORH hat festgestellt, dass die Verwaltung die Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit häufig gar nicht geprüft hat. Wie in solchen Fällen das pflichtgemäße Ermessen ohne sorgfältige Einzelfallprüfung ausgeübt worden sein soll, ist für den ORH nicht nachvollziehbar. Weil die Leistungsfähigkeit des Zuwendungsempfängers nicht hinreichend berücksichtigt worden ist, sind erhebliche Fördermittel fehlgeleitet worden. Soweit dies auf „unsicheren Vorgaben“ beruht, trägt das Staatsministerium dafür die Verantwortung.
30.6 Vorsteuerabzug nach § 15 UStG
55 (15 %) der 2002 geprüften 365 landwirtschaftlichen Betriebe hatten den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen. Bei 49 Fällen wurde beanstandet, dass nur knapp 10 % (213.500 €) der vom Finanzamt erstatteten Vorsteuer (2,2 Mio €) in die Finanzierung der Förderprojekte einbezogen wurden. Im Übrigen blieb die erstattete Vorsteuer bei der Finanzierung der Projekte vollständig unberücksichtigt.
Im Rahmen der Nachschau wurde festgestellt, dass die Verwaltung bei der Bearbeitung der beanstandeten Fälle von den erzielten Vorsteuererstattungen (rd. 2,2 Mio €) lediglich weitere 350.000 € (insgesamt 570.000 €) als zusätzliche Deckungsmittel in die Finanzierung der geförderten Projekte einbezogen hat.
Die finanzielle Bedeutung dieser Frage zeigt folgende Hochrechnung:
In der Förderperiode 1995 bis 2001 wurden 8.191 Förderfälle mit Zuschüssen von 330 Mio € und mit auf 20 Jahre verteilten Zinsverbilligungen im Wert von 530 Mio € gefördert. Bei Hochrechnung der Stichprobe des ORH kann von rd. 1.200 Fällen mit Vorsteuererstattung ausgegangen werden. Bei einer erstatteten Vorsteuer von 40.000 € je Förderfall (= Durchschnitt der geprüften Fälle) ergeben sich zusätzliche Deckungsmittel von rd. 48 Mio €. Bei einem konsequenten Vollzug haushaltsrechtlicher Bestimmungen hätten erhebliche Fördermittel eingespart werden können.
30.6.1 Haltung des Staatsministeriums
Das Staatsministerium vertritt die Auffassung, dass es sich um eine sehr komplexe und unsichere Rechtslage handele. Die Notwendigkeit für Rückforderungen sah es zunächst nur in geringem Umfang. Im August 2005 wurde nunmehr die Bayerische Führungsakademie für Landwirtschaft (FüAK) beauftragt, die Geltendmachung von weiteren Erstattungsansprüchen zu überprüfen.
30.6.2 Haltung des ORH
An welche Fälle das Staatsministerium denkt, ist unklar. Nach Ansicht des ORH war die Frage der Umsatzsteuerrückerstattung weder kompliziert noch rechtlich unsicher. Die Vorsteuererstattung ist in die Förderprojekte einzubringen und bei der Förderung anzurechnen. Diese Haltung vertritt auch das StMF. Der ORH hält es für erforderlich, entsprechende Rückforderungen einzuleiten.
30.7 Zusammenfassung
30.7.1 Haltung des Staatsministeriums
Das Staatsministerium räumt ein, dass die Bearbeitungsfehler der Bewilligungsbehörden aus heutiger Sicht auf unzureichende Vollzugsvorgaben der Aufsichtsbehörden zurückzuführen sind. Es habe sich gezeigt, dass zunehmend Unklarheiten bei der Ermittlung der Produktionskapazität, der Bewertung der förderrechtlichen Prosperität und deren Auswirkungen auf die Einzelfallentscheidungen entstanden. Das Staatsministerium kann daher nicht ausschließen, dass es zu ungleichen Bewertungen kommen konnte und sich solche Ungleichbewertungen auch in der Abarbeitung der beanstandeten Prüfungsfälle fortsetzten.
Das Staatsministerium räumt auch ein, dass es zu rechtswidrigen Bewilligungen gekommen ist. Unter Berücksichtigung der Mitverantwortung der Behörde hätten diese nicht zu Vollrückforderungen führen können. Da auch die zu viel ausgereichten Fördergelder entsprechend ihrer Zweckbestimmung für Strukturverbesserungsmaßnahmen eingesetzt worden seien und die Teilrückforderungen in Höhe der zu viel errichteten Plätze den Zuwendungsempfänger so stellen, wie er ohne fehlerhafte Beratung stehen würde, könne durch die beschränkten Rückforderungsmöglichkeiten kein Schaden in Millionenhöhe entstanden sein.
Das Staatsministerium teilt auch wesentliche Teile der Kritik des ORH an der Förderpraxis und an der Abarbeitung der beanstandeten Fälle. Seit 1. Juli 2005 ist die FüAK zentral für die Bewilligung von Fördermitteln nach dem Agrarinvestitionsförderprogramm zuständig. Davon erhofft sich das Staatsministerium einen verbesserten Fördervollzug. Darüber hinaus sagt es zu, die Mitarbeiter entsprechend zu schulen.
Zu den konkreten Forderungen des ORH nach Konsequenzen in den Einzelfällen führt das Staatsministerium jedoch aus, dass bei einem mehrstufigen Verwaltungsaufbau mit delegierten Entscheidungsbefugnissen im Ermessensbereich die Bescheide der beauftragten Behörden akzeptiert werden müssen, solange sie sich im Rahmen einer sachgerechten Abwägung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientieren. Dies gelte insbesondere dann, wenn sich die nachträgliche Sachverhaltsermittlung sowohl in der Sache als auch in der rechtlichen Bewertung nicht als eindeutig erweise. Daraus folgert das Staatsministerium:
„Hiervon ausgehend lassen sich die Ergebnisse der Abarbeitungsfälle nicht pauschal mit dem Hinweis, dass die Aufsichtsbehörden ggf. auch eine andere Abwägung vorgenommen hätten, als rechtswidrig qualifizieren. Insoweit erscheint die Haltung des ORH, den mit der Abarbeitung der Prüffälle betrauten Bediensteten das Bemühen um einen angemessenen und rechtlich vertretbaren Interessenausgleich abzusprechen und zusätzlich dienst- und haftungsrechtliche Konsequenzen zu fordern, wenig verständlich.“
30.7.2 Haltung des ORH
Von einem „angemessenen“ Interessenausgleich zwischen den Interessen des Staates und der Zuwendungsempfänger bei der Abarbeitung der Prüfungsfälle zu sprechen, stellt die vorgefundenen Zustände auf den Kopf. Der ORH hat festgestellt, dass die Verwaltung auf allen Ebenen vor allem bestrebt war, erforderliche Rückforderungen zu vermeiden, die Zuwendungsempfänger zu entschuldigen und dabei die Verantwortung so weit zu übernehmen, wie es rechtlich gerade noch ohne Konsequenzen möglich erschien.
Bei der Förderung der Landwirtschaft muss ein ordnungsgemäßer, wirtschaftlicher und sparsamer Umgang mit Haushaltsmitteln sichergestellt werden. Dazu ist eine geänderte Einstellung insbesondere des Staatsministeriums zum Haushaltsrecht erforderlich. Der Hinweis des Staatsministeriums auf die Verantwortung nachgeordneter Behörden geht deshalb an der Sache vorbei.
Zuwendungsempfänger, die aufgrund von Falschangaben nicht mit Sanktionen, ja nicht einmal mit der vollständigen Rückforderung der zu Unrecht erhaltenen Förderung rechnen müssen, werden auch in Zukunft in ihren Anträgen nur die Angaben machen, die ihnen die höchstmögliche Förderung sichern. Damit verschaffen sie sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den ehrlichen Landwirten.