TNr. 31: Qualifizierungsmaßnahmen für Landwirte und deren Familienangehörige

31.1 Grundlage der Förderung
Die Entwicklung des ländlichen Raums wird u.a. mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Dafür hat die EU für den Zeitraum 2000 bis 2006 u.a. ein Förderprogramm aufgelegt, das national kofinanziert werden muss und dessen Ziel es ist, Landwirte und deren Familienangehörige so zu qualifizieren, dass sie sich zusätzliche Einkommensmöglichkeiten schaffen können. Auf diese Weise soll ein Verbleib in der Land und Forstwirtschaft ermöglicht und gleichzeitig der Arbeitsmarkt entlastet werden. Schwerpunkte der Qualifizierungsmaßnahmen sollen die Bereiche Betriebsmanagement und neue Erwerbsfelder durch Diversifizierung und Angebot von Dienstleistung sein.
31.2 Feststellungen
Im Jahr 2003 wurden für das Förderprogramm 949 960 € (633 015 € EUMittel, 316 945 € Landesmittel) ausgegeben. Für die Organisation, Durchführung und Abrechnung der ESF-Qualifizierungsmaßnahmen wurden 13,4 Bedienstete eingesetzt (5,4 höherer Dienst, 3,6 gehobener Dienst, 4,4 Verwaltungskräfte und mittlerer Dienst). Damit kostet die Programmabwicklung den Staat mindestens weitere 995 000 € an Personalkosten.1 Um also rd. 633 000 € an EU-Mitteln zu binden, sind 1,3 Mio € aus dem Staatshaushalt erforderlich.
Im Jahr 2003 wurden insgesamt 1 189 Kurse abgerechnet. Schwerpunkte waren:
- Internetqualifizierungsoffensive (677 Kurse; 493 600 € Förderung)
- Freizeit und Erholung (131 Kurse; 149 300 € Förderung)
- Natur- und Umweltschutz (13 Kurse; 27 311 € Förderung)
- Direktvermarktung (125 Kurse; 85 103 € Förderung)
- Betriebsmanagement, Unternehmerschulung (113 Kurse; 90 600 € Förderung)
- Dienstleistung (54 Kurse; 65 639 € Förderung)
Die Internetqualifizierungsoffensive bestand überwiegend aus Kursen, die Grundlagenwissen (Betriebssystem, Internet) oder die Anwendung von Textverarbeitungs- und Kalkulationsprogrammen aus dem MS-Office-Paket vermittelten.
Im Bereich Freizeit und Erholung wurden u.a. die Kurse „Frau sein heute“, „Frau zeigt Profil“, „Gutes Benehmen“, „Integrale Entspannungstherapie“, „Märchenstunde für Gästekinder“, „Stress Workshop“, „Pferd-Mensch-Kommunikation“ und „Open Space - Blühender Tourismus in der Oberpfalz“ gefördert. Auch eine Radl-Tour wurde als Qualifizierungsmaßnahme mit 1 624 € bezuschusst.
Im Bereich Natur- und Umweltschutz wurde vor allem die Ausbildung zur „Kräuterpädagogin“ unterstützt. Ein Landwirtschaftsamt hat lt. Statistik 226 Kräuterpädagoginnen ausgebildet. Tatsächlich wurden 41 Frauen geschult. An der Abschlussprüfung nahmen nur 16 Frauen teil. Die hohe Teilnehmerzahl in der Statistik erklärt sich daraus, dass hier jeder einzelne Kurstag als eigene Maßnahme abgerechnet wurde.
Die Kurse für Direktvermarkter hatten nur wenig mit der Direktvermarktung als Einkommensalternative oder der Verbesserung der Unternehmensführung zu tun. Vielmehr erhielten langjährige Direktvermarkter Informationen und Anregungen zu Themen wie „Dekoration und Produktpräsentation“, „Veranstaltung von Festen“, „Brot backen“ oder „Kuchen und Torten verzieren“. Mit dem Programmteil „Direktvermarktung“ wurde auch die Persönlichkeitsschulung von Weinprinzessinnen gefördert.
Als Betriebsmanagement- und Unternehmerschulung wurden Einführungsseminare für den ökologischen Landbau durchgeführt. Auch wurden zahlreiche Vortragsveranstaltungen mit produktionstechnischen Themen (z.B. Homöopathische Tierbehandlung, Fortbildungstage für Rinderhalter, Schweinehalter, Bienenhalter) bezuschusst.
Im Rahmen der Fortbildung für spezielle Dienstleistungen wurden Mitarbeiterinnen des Hauswirtschaftlichen Fachservices (z.T. Meisterinnen) hauswirtschaftlich und allgemein geschult. Ihnen wurde z.B. gezeigt, wie man kalte Platten „top stylt“ und wie das „Frauenprofil“ gestärkt werden kann.
31.3 Haltung des Staatsministeriums
Grundsätzliches
Die Förderung trage dazu bei, den Strukturwandel sozialverträglich abzufedern. Die Einstellung der Förderung würde die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe und die Position Bayerns schwächen. Nach Ansicht des Staatsministeriums könne die Wirkung einer Qualifizierungsmaßnahme nicht an den Kosten gemessen werden, sondern würde erst später im Erhalt des Arbeitsplatzes oder im zusätzlichen Einkommen sichtbar.
Die Haltung des Staatsministeriums dürfe jedoch nicht als Festlegung auf das aktuelle Spektrum der Qualifizierungsmaßnahmen verstanden werden. Die Fortsetzung der Förderung in der Programmperiode 2007 bis 2013 würde das Ergebnis einer bedarfsgerechten Weiterentwicklung sein.
Internetqualifizierung
Ziel der Qualifizierung im Bereich IuK sei es, den Rückstand der Teilnehmer gegenüber anderen Berufsgruppen und insbesondere gegenüber den Ballungsgebieten abzubauen. Dieses Ziel würde weitgehend erreicht, so dass dieser Programmteil in der nächsten Förderperiode deutlich zurückgefahren werden kann.
Freizeit und Erholung
Kurse wie „Frau sein heute“, „Frau zeigt Profil“ und „Gutes Benehmen“ würden zur Bildung der Unternehmerpersönlichkeit bei den Bäuerinnen beitragen. Dies sei unabdingbar für Einstieg und Entwicklung von Erwerbskombinationen. Der Erfolg für einen Betrieb hänge davon ab, wie sich der Bauer oder die Bäuerin als unternehmerische Persönlichkeit präsentiert. Kurse wie „Märchenstunde für Gästekinder“ und „Pferd-Mensch-Kommunikation“ würden der treffgenauen Ausrichtung der Angebotsgestaltung auf bestimmte Gästezielgruppen dienen. Die Radl-Tour sei ein praktisches Beispiel einer Qualifizierungsveranstaltung gewesen, bei der die Teilnehmer alle Stufen der Durchführung gemeinsam erarbeitet hätten.
Natur- und Umweltschutz
Die Anzahl der Teilnehmer, deren Erhebung von der EU gefordert wird, sei eine rein statistische Größe und habe keine finanziellen Auswirkungen. Die Zählweise gehe auf die verschiedenen Bausteine zur Ausbildung zur Kräuterpädagogin zurück. Ursprünglich seien diese Bausteine als eigenständige Einheiten gewertet worden. Die Zusammenfassung zu einem Ausbildungslehrgang habe sich erst während der laufenden Maßnahme herauskristallisiert.
Direktvermarktung
Alle vom ORH kritisierten Kurse hätten sehr wohl mit der Direktvermarktung zu tun. So könnten Produkte nur bei entsprechender Dekoration ansprechend für die Kunden präsentiert werden. Brot backen sowie Kuchen und Torten verzieren gehörten zur bäuerlichen Backtradition (Stichworte: Bauernbrot, Zwetschgendatschi, Schmalzgebäck). Weinprinzessinnen seien wichtige Multiplikatoren zur Förderung des Absatzes von Frankenwein und könnten nur mit entsprechendem persönlichen Auftreten ihr Produkt und ihre Region erfolgreich vermarkten.
Betriebsmanagement, Unternehmerschulung
Die Maßnahmen würden nicht in Konkurrenz zum staatlichen Beratungsangebot stehen, sondern würden dieses ergänzen und vertiefen.
Spezielle Dienstleistung
Neben der fachlichen Weiterbildung der Mitarbeiterinnen des Hauswirtschaftlichen Fachservices habe die Maßnahme der Weiterbildung zur Unternehmerpersönlichkeit gedient.
Personaleinsatz
Die breite Palette und konkrete Ausrichtung der Fortbildungsveranstaltungen auf die Anforderungen der Zielgruppen würden bei der Planung, Koordinierung und Umsetzung den gehobenen und höheren Dienst erfordern. Die Aufgaben könnten nur in einem sehr eingeschränkten Maß delegiert werden.
31.4 Haltung des ORH
Der ORH sieht in den geprüften Maßnahmen überwiegend keine zielgerichtete Qualifizierung zur Unterstützung der Landwirte und deren Familienangehörigen im Betriebsmanagement bzw. beim Erschließen neuer Einkommensquellen. Die Schulung allgemeiner EDV-Kenntnisse ist mit den speziellen Förderzielen des ESF nicht vereinbar, zumal viele andere Bildungsträger solche Kurse anbieten. Die Inhalte zahlreicher Seminare hatten überwiegend allgemein bildenden Charakter und vor allem einen starken Bezug zur Freizeitgestaltung. Dafür bedarf es keiner staatlichen Förderung. Eine Qualifizierung im Betriebsmanagement oder zur Hinführung in neue Erwerbsfelder wurde kaum vorgefunden.
Die hohe Zahl von Bediensteten des höheren und gehobenen Dienstes für reine Verwaltungs- und Organisationsaufgaben ist nicht akzeptabel.
Unabhängig von diesem Förderprogramm gewährt der Staat durch sein Personal in der Landwirtschaftsverwaltung den Landwirten flächendeckend und kostenlos eine fachliche Beratung.
Vor dem Hintergrund des zweifelhaften Nutzens des Programms empfiehlt der ORH trotz der Möglichkeit, Mittel der EU abzurufen, auf die weitere Teilnahme an diesem Programm zu verzichten, um Landesmittel zu sparen und das staatliche Personal abzubauen. Denn letztlich kostet ein „europäischer“ Euro den Staat mindestens 2 € aus seinem Haushalt.
Die grundsätzliche Haltung des Staatsministeriums lässt nicht erkennen, dass die schwierige Situation des Staatshaushalts dort zur Kenntnis genommen wird. Ebenso wie im Bereich der FIAF-Förderung (s. TNr. 32) wird mit unverhältnismäßig hohem finanziellen und personellen Aufwand nahezu jede nur denkbare Maßnahme im ländlichen Umfeld gefördert.