Jahresbericht 2005

TNr. 22: Staatliche Baupflicht an kirchlichen Gebäuden

Theatinerkirche München

Für die staatliche Baupflicht an kirchlichen Gebäuden gibt der Staat jährlich 22 Mio € aus. Die Verfahrensabläufe sind äußerst kompliziert und arbeitsaufwendig und binden zu viel staatliches Personal. Kurzfristig könnte die Baupflicht für die Pfarrhöfe durch die jährliche Zahlung einer Pauschalsumme erfüllt werden. Langfristig hält der ORH eine Ablösung der gesamten staatlichen Baupflicht für die beste Lösung.

22.1 Grundlagen der staatlichen Baupflicht

 

Der Staat hat die Baulast an Kirchen und sonstigen kirchlichen Gebäuden (Pfarrgebäude etc.)1 infolge der Säkularisierung 1803 übernommen. Die maßgeblichen Festlegungen gehen zum Teil zurück auf das Konzil von Trient (1545 bis 1563), auf die Ansbacher Konsistorialordnung von 1594, auf das Bayerische Landesrecht oder das Preußische Allgemeine Landrecht. Zum Teil sind örtliches Gewohnheitsrecht (Observanzen), gerichtliche Vergleiche/Entscheidungen oder spezielle Regelungen früherer Landesherren zu beachten.2

In den überwiegenden Fällen hat der Staat für die Kosten der Baumaßnahmen unmittelbar aufzukommen (primäre Baupflicht). In allen anderen Fällen wird er zur Übernahme der Kosten nur bei Leistungsunfähigkeit (sog. Insuffizienz) des primär baupflichtigen (kirchlichen) Rechtsträgers, z.B. Pfarrpfründestiftung herangezogen (subsidiäre Baupflicht).

Grundlage für die staatliche Baupflicht an Pfarrgebäuden ist die 1963 zwischen dem Freistaat und den sieben katholischen Diözesen sowie der evangelisch-lutherischen Landeskirche geschlossene Baupflichtvereinbarung mit den hierzu gültigen Richtlinien (für den Bereich der evangelisch-lutherischen Landeskirche im Jahr 1994 neu vereinbart). Vieles ist nicht eindeutig geregelt, über 700 Schreiben und Erlasse sind deshalb bisher ergangen.

22.2 Prüfung des ORH

 

Der ORH hat zusammen mit den Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern in einer Querschnittsuntersuchung die Ausgaben des Staates für kirchliche Gebäude (ohne Klöster) und die Verfahrensabwicklung geprüft. Die Prüfung fand bei den Erzdiözesen, der evangelisch-lutherischen Landeskirche und den Pfarrämtern statt und schloss alle mit der Baupflicht betrauten Bauämter, Regierungen, Bezirksfinanzdirektionen (jetzt Dienststellen des Landesamtes für Finanzen) und Staatsministerien ein. Sie ergab Folgendes:

22.2.1 Umfang der staatlichen Baupflicht

 

Insgesamt unterliegen 1.783 kirchen- und 126 staatseigene Gebäude der staatlichen Baupflicht. Darunter sind 649 Kirchen, 648 Pfarrhöfe sowie sonstige kirchliche Gebäude wie Mesnerhäuser, Dekanatsgebäude, Nebengebäude und Garagen einschließlich Einfriedungen. Die Gebäude umfassen eine Nutzfläche von rd. 600.000 m² und einen umbauten Raum von rd. 7.000.000 m³.

22.2.2 Ausgaben

 

Die bisherigen Ausgaben für die staatliche Baupflicht bewegen sich seit 1995 in einer Bandbreite zwischen 20,4 und 24,1 Mio € jährlich.

Zahlenübersicht

22.2.3 Personalaufwand des Staates

 

Mit Aufgaben der staatlichen Baupflicht waren 2001 bei den Bauämtern 358, den Regierungen 35 und den Bezirksfinanzdirektionen 7 Bedienstete (ohne die Mitarbeiter an den kirchlichen Stellen) befasst. Der Arbeitsumfang entspricht insgesamt 78 Vollzeitkräften und ist deutlich höher als bei den sonstigen staatlichen Baumaßnahmen. Eine Vollzeitkraft betreut durchschnittlich 380.000 € an Bauausgaben3 gegenüber 500.000 € im sonstigen staatlichen Bereich.

Ursächlich für die hohen Personalkosten sind vor allem die komplexe Materie sowie die aufwendigen Verfahrensabläufe mit vielen Beteiligten. Bei seiner Prüfung hat der ORH Folgendes festgestellt:

  • Rechtspositionen über Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen und über die Kostenaufteilung zwischen Staat und Kirche sind strittig. Maßgeblich sind hier die Kirchengesetze, das Bayerische bzw. Preußische Landrecht, das Gemeine Recht, das BGB, die Kirchengemeindeverordnung und Diözesanobservanzen, die Baupflichtrichtlinien, Vorschriften, Verordnungen und Empfehlungen zum Vollzug.
  • Planungen werden auf kirchlichen Wunsch häufig geändert oder kommen aufgrund mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten gar nicht zur Ausführung.
  • Baumaßnahmen werden wegen fehlender Mittel oftmals gestückelt, zurückgestellt oder aufgrund der lang hingezogenen Bauzeit mehrmals überplant. Aus kleinen Sanierungen werden oft Generalsanierungen. Dadurch wird zu viel Personal gebunden und es entstehen höhere Kosten.
  • Bei Planung, Ausführung und Abrechnung sind viele Beteiligte zu hören:

auf kirchlicher Seite

  • Diözese, Bistum
  • Kirchenstiftung
  • sonstige Beauftragte
  • Pfarrer auf staatlicher Seite
  • vorgesetzte Dienstbehörden (Regierungen, Landesamt für Finanzen, Oberste Baubehörde, Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Staatsministerium der Finanzen)
  • Kommunen
  • Landesamt für Denkmalpflege
  • sonstige Gutachter, Ingenieure und Restauratoren

22.2.4 Problembereiche der Baupflicht

22.2.4.1 Ablösung der staatlichen Baupflicht

 

Nach § 2 der Vereinbarungen von 1963 und 1994 ist die Ablösung der staatlichen Baupflicht insbesondere bei leerstehenden Pfarrgebäuden (Vakanzen) möglich. Dies ist auch angezeigt, weil sich bei diesen Gebäuden die Bausubstanz stärker verschlechtert als bei bewohnten Gebäuden und bei Wiederbesetzung der Pfarrstellen erhöhte Sanierungskosten auf den Staat zukommen würden. Trotz vorhandener Haushaltsmittel konnte der Staat von der Ablösung bisher nur wenig Gebrauch machen. Verantwortlich hierfür dürften vor allem die Schwierigkeiten bei den Verhandlungen mit den Kirchen zu den ermittelten Ablösebeträgen sein sowie bei Sanierungen die unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu Fragen der Kostentragung.

22.2.4.2 Prüfung der Leistungsunfähigkeit

 

Sofern ein kirchlicher Rechtsträger leistungsunfähig (insuffizient) wird, übernimmt der Staat die Kosten der Baumaßnahmen (subsidiäre Baupflicht). Die Prüfung der Leistungsunfähigkeit ist sehr arbeitsaufwendig.4Ungeklärt ist insbesondere, inwieweit bei der Feststellung der Leistungsunfähigkeit die Einnahmen der Kirche (Mieteinnahmen, Einnahmen aus Kirchenkonzerten, Spenden usw.) sowie die vereinnahmten Kirchensteuern zu berücksichtigen sind.

22.2.4.3 Baupflicht für kirchliche Nebengebäude

 

Die Fachdatenbank Hochbau der Bauverwaltung weist noch 184 sog. Nebengebäude auf, die früher als Waschhäuser, Stallungen, Holzlegen usw. dienten. Sie werden heute als Lagerräume genutzt. Obwohl sie für die Nutzung als Pfarrdienststelle entbehrlich sind, weil ihre früheren Funktionen bereits in den Pfarrhäusern vorhanden sind, werden die Nebengebäude teilweise noch vom Staat unterhalten.

22.2.4.4 Hand- und Spanndienste

 

Nach den Baupflichtrichtlinien besteht bei kirchlichen Rechtsträgern die Verpflichtung, z.T. Hand- und Spanndienste zu erbringen. Zur Abgeltung dieser Verpflichtung tragen die Kirchen 5 % der Baukosten selbst. Auf staatlicher Seite ist teilweise nicht bekannt, bei welchen Objekten diese Verpflichtung besteht. Unnötige Ausgaben für den Staat sind die Folge.

22.2.4.5 Besondere Leistungen des Staates

 

Neben den Ausgaben für die rein baulichen Leistungen entstehen dem Staat aufgrund von Vereinbarungen auch noch Versicherungsprämien, Kaminkehrergebühren, Wassergeld, Kanalgebühren usw. Der ORH hat festgestellt, dass in diesem Bereich besondere Unsicherheit über die Kostentragung besteht. Zum Beispiel wurden häufig Zahlungen für Sturmschäden vom Staat getätigt, die von der Versicherung des kirchlichen Rechtsträgers zu übernehmen gewesen wären. Die Kirchen haben in diesen Fällen allerdings oftmals eine gegenteilige Auffassung.

22.3 Folgerungen des ORH

 

Ursachen für die vorgenannten Feststellungen sind im Wesentlichen veraltete Richtlinien, unklare Regelungen für einzelne Gebäude, uneinheitliche Vorgehensweisen und unterschiedlicher Kenntnisstand von Beteiligten. Da das Baulastrecht zu den verwickeltsten und bestrittensten Rechtsgebieten gehört, hat der ORH angeregt, zusammen mit den kirchlichen Rechtsträgern nachhaltige Vereinfachungen zu erarbeiten.

Die weitreichendste Vereinfachung wäre die Ablösung der gesamten staatlichen Baupflicht. Hierfür spräche die klare Aufgabentrennung und die daraus resultierende Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwands.

Wenn eine derartige Lösung nicht oder jedenfalls nicht kurzfristig erreichbar ist, so sollte sich die Tätigkeit des Staates im Einzelfall nur noch auf die 649 Kirchen erstrecken. Die dafür notwendigen Verfahren gilt es dann grundlegend zu vereinfachen.

Zumindest für die 648 Pfarrhöfe einschließlich der sonstigen kirchlichen Gebäude sollte eine Ablösung der staatlichen Baupflicht angestrebt und als Übergangsregelung ggf. die Zahlung einer jährlichen Pauschale zur Erfüllung der staatlichen Baupflicht5 vereinbart werden.

Die Verwaltung hat bereits damit begonnen, zusammen mit Vertretern der kirchlichen Rechtsträger die Anregungen des ORH aufzugreifen. Unter dem Thema „Deregulierung und Verwaltungsvereinfachung auf dem Gebiet der Staatsbaulast“ finden mit den Kirchen seit Herbst 2004 Erörterungen statt.


1) Kirchenbaulast bedeutet "die rechtliche Verpflichtung einer natürlichen oder juristischen Person, ein zum Gottesdienst gewidmetes Gebäude oder ein sonstiges, kirchlichen Zwecken dienendes Gebäude (insbesondere Pfarrhaus) zu erbauen oder zu erhalten" (Dr. Zängl, BayVBl 1988, S. 609).

2) Baulasten haben sich auch im Zusammenhang mit der Neuorganisation der Pfarreien nach der Säkularisierung ergeben. Weil eine einheitliche Kodifizierung des Baulastrechts nicht erfolgte, bestehen die unterschiedlichen alten Baulastvorschriften nach wie vor fort (Art. 132 EGBGB, Art. 1 AGBGB).

3) staatlicher Anteil einschließlich kirchlichem Anteil und Zuschuss für Denkmalpflege.

4) Im Bereich der evangelisch-lutherischen Landeskirche besteht eine Generalregelung (Pauschalabzug).

5) sog. "Baukanon" gemäß § 2 der Verordnung vom 5., 6. und 28.02.1963

 



Umsetzung dieses Prüfungsergebnisses