Jahresbericht 2009

TNr. 27: Zukunft des Automobiltechnikums Bayern

Schwarzes Modellauto

Der staatliche Zuschuss für das Automobiltechnikum von 10 Mio. € wird in Kürze vollständig verbraucht sein. Der ORH hat erhebliche Zweifel, ob das Unternehmen wirtschaftlich überlebensfähig ist. Der Staat sollte sich aus dem Projekt zurückziehen, wenn auch ein neues Konzept nicht erfolgreich ist.

Der ORH hat die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Automobiltechnikums Bay­ern GmbH (ATB) geprüft. Einbezogen wurde auch die staatliche Zuwendung von 10 Mio. €.

27.1             Ausgangslage

Das ATB wurde im September 2003 mit einem Stammkapital von 1 Mio. € gegründet. Gesellschafter des ATB sind die LfA Förderbank Bayern (40%), drei kommunale Gebietskörperschaften (30%) und örtliche Sparkassen (30%). Die LfA hat die Betei­ligung auf Bitte des Wirtschaftsministeriums übernommen, das auch weitestgehend die Gesellschafterrechte wahrnimmt. Aufsichtsratsvorsitzender ist ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums.

Das ATB bildet den Kern eines 156 ha großen Zulieferparks in Hof-Haidt/Gattendorf, der von dem kommunalen Zweckverband "Pole Position Hochfranken" vermarktet wird. Dort werden Unternehmen der Automobilzulieferbranche Produktionsflächen, Infrastruktur und Dienstleistungen angeboten. Das ATB sollte kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu Testanlagen ermöglichen. Sie sollten dort die Möglich­keit haben, mit eigenem Personal und unter voller Gewährleistung der Geheimhaltung zu forschen. Das ATB sollte kein Dienstleistungsunternehmen im eigentlichen Sinn sein, das selbstständig Forschungen und Untersuchungen im Auftrag der Kunden durchführt.

Das Wirtschaftsministerium hat im Mai 2004 dem ATB einen Zuschuss von 10 Mio. € gewährt. 8,3 Mio. € hiervon waren für Bau und Erstausstattung vorgesehen, weitere 1,7 Mio. € für den laufenden Betrieb. Der Zuschuss wird nach Bedarf abgerufen. Der Zuwendungsbescheid schließt eine darüber hinausgehende Förderung, eine An­schlussförderung oder eine Nachfinanzierung des ATB explizit aus.

Die Grundidee der Förderung war, die Region Hof/Wunsiedel durch die Schaffung von Arbeitsplätzen bei mittelständischen Unternehmen zu unterstützen.

27.2             Prüfungsfeststellungen

27.2.1          Planung des ATB

2001 entschied die BMW AG, ihr neues Automobilwerk nicht in Hof, sondern bei Leipzig zu errichten. Daraufhin hat das Wirtschaftsministerium Überlegungen ange­stellt, ob die Region Hof durch die Ansiedlung von Unternehmen der Automobilzulie­ferindustrie gefördert werden könnte. Dazu hat das Ministerium Anfang 2002 ein Gut­achten in Auftrag gegeben.

Dieses kam zu einem differenzierten Ergebnis: Die Region verfüge über ein breites automobilrelevantes Know-how, entsprechendes Arbeitskräftepotenzial und günstige Immobilienpreise. Es gäbe jedoch kein Automobilwerk in unmittelbarer Nähe. Zudem läge das Niedriglohnland Tschechien in der Nachbarschaft und in den angrenzenden neuen Ländern wäre die öffentliche Förderung attraktiver.

Bei der Entscheidungsfindung hat das Ministerium nur die Ergebnisse des Gutach­tens berücksichtigt, die die Standortvorteile bestätigen. Standortnachteile wurden nicht thematisiert.

Die LfA hat hierzu angemerkt, die Standortnachteile der Region seien allen Beteiligten ohnehin bekannt gewesen. Außerdem gäbe es zwar kein Automobilwerk in unmittel­barer Nähe, aber zahlreiche Werke im mittelbaren Umfeld. Das Wirtschaftsministe­rium verwies darauf, die Staatsregierung habe nach der Entscheidung der BMW AG sofort handeln müssen.

27.2.2          Realisierung des ATB

27.2.2.1       Bauausführung

Ohne klare Vereinbarungen zu Inhalt und Steuerung der Aufträge sind Ressourcen in großem Umfang gebunden und erhebliche Zeitverzögerungen verursacht worden: Beispielsweise hatte bereits im Dezember 2002 eine Projektentwicklungsgesellschaft Kenntnis von dem Vorhaben erhalten und Planungskonzepte bis zur Baueingabe ent­worfen. Eine konkrete Auftragserteilung an diese Gesellschaft ist jedoch nie erfolgt. Erst Ende 2003 wurden die Aktivitäten des Unternehmens hinterfragt. Mitte 2004 konnte die Angelegenheit schließlich mit einem Vergleich beendet werden. Das ATB musste einen Teil der Leistungen begleichen.

Auch die Auswahl des Generalunternehmers führte zu Verzögerungen. Beim zunächst vorgesehenen Unternehmer wurden erhebliche Überschreitungen der Baukosten be­fürchtet. Die Frage der Auftragserteilung war unklar. Diese musste erst gerichtlich ge­klärt werden. Der finanzielle Rahmen für die Errichtung des Technikums wurde nach Einschaltung eines neuen Generalunternehmers unterschritten. Gleichwohl sind allein im Zusammenhang mit der unklaren Auftragserteilung Beratungskosten in erhebli­chem Umfang angefallen.

Das Technikum konnte aufgrund der Fehler in der Auftragssteuerung erst im Juni 2005, und damit rund ein Jahr später als geplant, fertiggestellt werden. Das Wirt­schaftsministerium verweist hinsichtlich der Verzögerungen auf den Pilotcharakter des Projekts.

27.2.2.2       Geschäftsführer

Die Berufung des ersten ordentlichen Geschäftsführers hat die Umsetzung des Kon­zepts für das ATB wesentlich erschwert. Dies war in der Gründungsphase des Unter­nehmens besonders nachteilig.

Der zum 1. November 2004 bestellte Geschäftsführer hat bereits im ersten Strategie­gespräch Ende November ein neues Geschäftsmodell vertreten: Das Technikum sollte nach seinen Vorstellungen nicht mehr nur reines Gebäude- und Anlagenmana­gement betreiben, sondern selbst Entwicklungsdienstleister werden und eigenständig Forschung betreiben. Hierfür wären anstatt der ursprünglich geplanten maximal 10 Mitarbeiter nun annähernd 50 Angestellte, schwerpunktmäßig Ingenieure, erforderlich gewesen.

Nach Diskussionen zur Konzeptionsanpassung hat der Aufsichtsrat hierzu erst im Oktober 2005 klar Stellung bezogen und das neue Konzept an das Einwerben trag­fähiger Aufträge geknüpft.

Nachdem die wirtschaftlichen Ergebnisse weit hinter den Erwartungen zurückblieben, beschlossen die Gesellschafter, den Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer auf­zuheben. Gegen Zahlung einer Abfindung wurde er im November 2006 freigestellt.

27.2.3          Geschäftsentwicklung

Die Geschäftsentwicklung des ATB verlief äußerst unbefriedigend:

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Im Ergebnis war das ATB seit seiner Gründung jährlich auf hohe Zuschüsse ange­wiesen. Es hat in keinem Jahr auch nur annähernd ein ausgeglichenes Betriebs­ergebnis erreicht.

Eine wesentliche Ursache für das schlechte Betriebsergebnis liegt in einer unzurei­chenden Kalkulation der Preise für die Leistungen des ATB. Personalkosten wurden in der Vergangenheit nur eingerechnet, wenn sie unmittelbar mit der Bedienung einer Maschine in Zusammenhang standen. Personalgemeinkosten blieben unberücksich­tigt. Auch die Gebäudekosten wurden nur eingeschränkt umgelegt. Lediglich die Grundfläche, die eine Maschine tatsächlich belegt, wurde mit der Gebäudeabschrei­bung berücksichtigt. Ein Gewinnaufschlag wurde nicht kalkuliert.

So ermittelte das ATB z. B. die Selbstkosten zur Nutzung einer bestimmten Maschine mit knapp 5 €/Std. Frühere Kalkulationen des ATB kamen dagegen für dieselbe Ma­schine auf 20 €/Std. Tatsächlich überlässt das ATB ihren Kunden die Maschine für 4,90 €/Std.

Das Ministerium räumt ein, dass in der Anfangsphase die Preiskalkulation nicht opti­mal gewesen sei. Mittlerweile seien die Kalkulationen schrittweise verbessert worden. Personalgemeinkosten würden nunmehr in die Berechnungen einbezogen.

27.2.4          Zukunftsfähigkeit des Technikums

Das Wirtschaftsministerium plant nun, sich nicht mehr auf den Automobilzulieferbe­reich zu beschränken, sondern zusätzliche Geschäftsfelder im Umwelt- und Energie­bereich zu erschließen. Es geht davon aus, dass die Mittel für das ATB bis Ende 2012 verbraucht sein werden. Spätestens ab 2010 soll allerdings die Gewinnschwelle er­reicht werden, das ATB stabil auf eigenen Beinen stehen und keine weiteren staat­lichen Zuschüsse mehr benötigen. Die Wirtschaftlichkeitsplanungen seien nunmehr deutlich realistischer.

Die Betriebsergebnisse seit 2005 lagen selbst im wirtschaftlich erfolgreichsten Jahr bei einem Verlust von rund einer halben Million Euro. Die Zukunftsfähigkeit des ATB erscheint zweifelhaft, wenn nicht kurzfristig ausgeglichene Jahresergebnisse erzielt und Mittel für Ersatzinvestitionen erwirtschaftet werden.

In der Vergangenheit haben sich die Prognosen zumeist als deutlich zu optimistisch erwiesen. Sie schienen eher auf das angestrebte Ergebnis hin ausgelegt als auf Fak­ten zu basieren. So lag z. B. 2006 der Ist-Umsatz bei 227.000 €, während die höchste Prognose in der Wirtschaftsplanung von 1,79 Mio. € ausging; eine Differenz von nahe­zu dem Achtfachen!

27.3             Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums

Die Entscheidung über Standort und Ausrichtung des ATB sei unter Abwägung aller relevanten Vor- und Nachteile getroffen worden. Im Übrigen seien durch die Anstren­gungen der Staatsregierung in Oberfranken in den letzten Jahren eine Vielzahl von Investitionsvorhaben abgeschlossen worden. Neue Arbeitsplätze seien entstanden, auch durch die am Automobilzulieferpark in Hof angesiedelten Unternehmen. Die Region Hof zähle laut jüngsten Studien zu den dynamischsten Aufsteigerregionen Deutschlands. Die Entscheidung, das Automobiltechnikum in Hof zu errichten, sei da­her konsequent und sachgerecht gewesen.

Hinsichtlich der geplanten Neuausrichtung hätte der Aufsichtsrat der Konzeption des ersten Geschäftsführers unmittelbar eine deutliche Absage erteilt und somit erheb­lichen Schaden vom Technikum abgewandt.

Die tatsächliche Nutzungsdauer der Testanlagen werde wesentlich über den Ab­schreibungszeitraum hinausgehen, da die Abnutzung nicht mit der in einem Produk­tionsbetrieb zu vergleichen sei. Zukünftige Abschreibungen würden somit geringer ausfallen.

Die vom ORH zitierten höchsten Prognosen der Wirtschaftsplanung von 1,79 Mio. € basierten auf einer Wirtschaftlichkeitsrechnung des ersten Geschäftsführers. Nach Freistellung dieses Geschäftsführers sei eine neue, realistischere Wirtschaftlichkeits­planung erfolgt. Deren wesentliche Eckpunkte hätten sich bisher als zutreffend er­wiesen.

Derzeit werde mit Nachdruck an der Entwicklung eines neuen Konzepts gearbeitet. Dieses Konzept solle eine dauerhafte Wirtschaftlichkeit des Technikums ohne staat­liche Zuschüsse sicherstellen. Bereits in den letzten Jahren seien die staatlichen Zu­schüsse für den laufenden Geschäftsbetrieb deutlich reduziert worden.

Die noch zur Verfügung stehenden Fördermittel würden ausreichen, um den künftigen Umsatzanstieg abzudecken und die geplanten neuen Geschäftsfelder zu erschließen.

27.4             Schlussbemerkung des ORH

Aus Sicht des ORH blieben beim Entscheidungsprozess über Standort und Ausrich­tung des ATB wesentliche Aspekte unberücksichtigt. Trotz der kritischen Anmerkun­gen des Gutachtens wurde die Standortwahl und die Fokussierung auf den Automo­bilsektor nicht hinterfragt.

Der ORH verkennt nicht die im ATB unternommenen Anstrengungen seit Bestellung des neuen Geschäftsführers. Insbesondere die Wirtschaftsplanungen sind deutlich realistischer geworden.

Dennoch hat der ORH angesichts der vorliegenden Planungszahlen und des negati­ven Betriebsergebnisses im Jahr 2008 Zweifel, ob das ATB im Jahr 2010 die Ge­winnschwelle erreichen kann. Die deutliche Steigerung des Umsatzes im Jahr 2008 führte wegen der ebenfalls gestiegenen Aufwendungen nicht zu einer wesentlichen Verbesserung des Betriebsergebnisses.

Im Übrigen ist es für den ORH nicht erkennbar, wie die geplanten neuen Geschäfts­felder mit den relativ geringen noch verbliebenen Fördermitteln erschlossen werden sollen und gleichzeitig den defizitären Automobilbereich auszugleichen. Unklar ist zu­dem, aus welchen Mitteln zukünftige Investitionen getätigt werden sollen. Zweifelhaft ist auch, ob ein auf Forschung ausgerichtetes Technikum für potenzielle Kunden und Nutzer ausreichend attraktiv ist, wenn die Testanlagen zunehmend veralten. Das derzeit schwierige wirtschaftliche Umfeld wird die Akquisitionsbemühungen nicht erleichtern.

Auch wenn die Zuschüsse für den laufenden Geschäftsbetrieb in den letzten Jahren rückläufig waren, ist fraglich, ob das ATB nach Verbrauch des Zuschusses wirtschaft­lich eigenständig überlebensfähig sein wird. Von den ursprünglich zugesagten staatli­chen Mitteln von 10 Mio. € stehen noch ca. 2,2 Mio. € für Investitionen und den laufen­den Betrieb bis 2012 zur Verfügung.

Der ORH ist der Auffassung, dass der Staat sich aus dem Projekt zurückziehen sollte, wenn auch das neue Konzept nicht erfolgreich ist. Der Zuwendungsbescheid schließt eine Anschlussförderung oder eine Nachfinanzierung des ATB aus.