Jahresbericht 2009

TNr. 24: Mangelhafte Besteuerungsverfahren bei Personengesellschaften

Ein-Euro-Münze aus der ein Stück bricht

Bei der Feststellung der Gewinne oder Verluste großer Personen­gesellschaften verlassen sich die Finanzämter zu weitgehend auf deren freiwillige Mitarbeit. Ein maschineller Abgleich zwischen dem erklärten Gewinn und der Gewinnverteilung auf die Gesell­schafter unterbleibt wegen der unzureichenden IT‑Unterstützung. Die Angaben der Gesellschaften werden deshalb häufig ungeprüft übernommen. Die Abhängigkeit der Finanzämter von der Mitwir­kung der Gesellschaften und deren Steuerberater birgt angesichts der hohen Verlustzuweisungen und der daraus resultierenden Steuervorteile unvertretbar hohe Risiken für die Steuereinnahmen des Staates. Es muss dringend Abhilfe geschaffen werden.

Der ORH hat zusammen mit einem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt die Verfah­rensabläufe des Besteuerungsverfahrens bei Personengesellschaften mit mehr als 500 Beteiligten geprüft. Er hat dazu örtliche Erhebungen an fünf größeren Finanz­ämtern durchgeführt. In 2004 mit 2006 waren an den geprüften Finanzämtern 300 derartige Gesellschaften mit Gewinnen in Höhe von 1,5 Mrd. € und Verlusten in Höhe von 1,3 Mrd. € erfasst. 42 dieser Fälle hat der ORH näher untersucht.

24.1             Ausgangslage

Viele Verlustzuweisungsgesellschaften, geschlossene Immobilienfonds, Film- oder Schiffsfonds sind als Personengesellschaften mit z. T. tausenden Beteiligten organi­siert. Der Gewinn oder Verlust dieser Gesellschaften wird zunächst gesondert und einheitlich für die Gesellschaft mit einem Grundlagenbescheid festgestellt. Hierfür ist das Finanzamt am Sitz der Gesellschaft zuständig (Feststellungsfinanzamt). Die­ses teilt das Ergebnis auf alle Gesellschafter auf und schickt entsprechende Mitteilun­gen an deren Wohnsitzfinanzämter. Dort wird es von Amts wegen in den Steuerbe­scheiden der Gesellschafter verwertet. Diese Gesellschaften werden durchgängig von der Betriebsprüfung geprüft.

24.2             Prüfungsfeststellungen

24.2.1          Fehlende elektronische Bearbeitung

Es gibt ein IT-Programm (FEIN‑Verfahren), das die im Grundlagenbescheid festge­stellten Gewinne und Verluste auf die Gesellschafter verteilt, einen Gesamtabgleich durchführt und die Mitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter automatisch generiert. Bei nachträglichen Änderungen im Grundlagenbescheid (z. B. aufgrund einer Be­triebsprüfung) werden die Anteile der Gesellschafter automatisch neu berechnet und - ebenfalls automatisch - neue Mitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter erstellt.

Dieses Verfahren wurde bei großen Personengesellschaften kaum genutzt. Nur ein einziger Sachbearbeiter hat drei Gesellschaften mithilfe dieses elektronischen Ver­fahrens abgewickelt. Da er die Daten selbst eingeben musste, zog sich dies jeweils über mehrere Wochen hin.

Ein elektronischer Import von Daten, z. B. über Excel-Tabellen auf CD-ROM oder online, ist beim FEIN-Verfahren nicht möglich. Die Daten werden fast ausschließlich in Papierform angeliefert und müssen manuell erfasst werden. Erst ab 2011 gibt es eine gesetzliche Verpflichtung, die Daten elektronisch zu übermitteln.

24.2.2          Folgen der fehlenden elektronischen Bearbeitung

Die fehlende elektronische Bearbeitung der Daten hat gravierende Auswirkungen auf das Besteuerungsverfahren und führt zu einer Abhängigkeit der Finanzämter von der freiwilligen Mitwirkung der Gesellschaften.

An sich ist es Aufgabe des Feststellungsfinanzamts, das Ergebnis auf alle Gesell­schafter aufzuteilen und entsprechende Mitteilungen an deren Wohnsitzfinanzämter zu schicken. Die Praxis ist eine andere: Bei den geprüften Gesellschaften haben die Feststellungsfinanzämter diese Aufgaben nicht erfüllt. Vielmehr erstellten die Perso­nengesellschaften bzw. ihre Steuerberater die Mitteilungen für die Wohnsitzfinanz­ämter und übersandten sie den Feststellungsfinanzämtern. Die Feststellungsfinanz­ämter übernahmen diese in der Regel ungeprüft und leiteten die Mitteilungen den Wohnsitzfinanzämtern zu. Allenfalls fanden vereinzelte Stichproben statt. Die Perso­nengesellschaften unterstützten damit weit über ihre gesetzlichen Mitwirkungspflich­ten hinaus die Finanzämter. Solange die Finanzämter die erklärten Werte unverän­dert übernahmen, wirkten die Gesellschaften in der Regel bereitwillig mit. Sie waren daran interessiert, dass die Mitteilungen bald und unverändert an die Wohnsitzfinanz­ämter versandt wurden.

24.2.2.1       Fehlende Möglichkeit eines Datenabgleichs

Da die Daten nicht IT-gestützt verwaltet und verarbeitet werden, kann kein Gesamt­abgleich zwischen Feststellungsbescheid, Ergebnisverteilung und Mitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter vorgenommen werden.

Damit sind folgende Probleme verbunden:

  • Es bleibt - abgesehen von vereinzelten Stichproben - ungeprüft, ob die Ergebnisse des Feststellungsbescheids mit dem Inhalt der Mitteilungen für die einzelnen Ge­sellschafter übereinstimmen.
  • Plausibilitätsprüfungen der Daten sind in den Finanzämtern nicht möglich.
  • Es lässt sich nicht überprüfen, ob Sonderbetriebsausgaben mehrfach geltend ge­macht wurden.
  • Es hängt von Zufällen ab, ob die Sachbearbeiter im Feststellungsfinanzamt Mit­teilungen mit unrichtigen oder unvollständigen Angaben erkennen.

24.2.2.2       Abweichungen von der Feststellungserklärung

Die Gesellschaft reicht beim Feststellungsfinanzamt eine Steuererklärung ein. Wenn dieses bei seinem Grundlagenbescheid von der Erklärung abweichen will, ist das Finanzamt faktisch gezwungen, sich mit der Gesellschaft zu einigen. Ohne Mitwir­kung der Gesellschaft ist es praktisch nicht in der Lage, die Mitteilungen an die Wohn­sitzfinanzämter zu fertigen.

Bei einem Münchner Finanzamt konnten mehrere zusammenhängende Gesellschaf­ten für 2006 nicht zeitnah veranlagt werden, da 4.800 Mitteilungen neu erstellt wer­den mussten. Das Finanzamt hatte bemerkt, dass ein das Jahr 2007 betreffender Verlustanteil von 4 Mio. € unzutreffend bereits 2006 berücksichtigt worden war.

24.2.2.3       Fehlende Mitwirkung der Gesellschaften bei den Mitteilungen

Erhebliche Schwierigkeiten ergaben sich, wenn Personengesellschaften nicht mehr kooperierten und keine Mitteilungen mehr erstellten.

Ein Finanzamt führte z. B. bei sieben Gesellschaften für 1999 bis 2002 Betriebsprü­fungen durch. Sie wurden Ende 2005 mit Gewinnkorrekturen von 25 Mio. € abge­schlossen. 2006 wurden die Gesellschaften insolvent. Deswegen musste das Finanz­amt die Gewinnverteilungen und die Mitteilungen anhand der Prüfberichte selbst er­stellen; dies dauerte bis 2008. Von den 40.000 Mitteilungen an die Wohnsitzfinanz­ämter kamen 25% wieder zurück, da der Datenbestand veraltet war.

Bei zwei Medienfonds konnte das Feststellungsfinanzamt die notwendigen Änderun­gen der Feststellungsbescheide für die Jahre 2002 bis 2004 und die entsprechenden Mitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter der Gesellschafter nur mit den Daten der Steuerfahndung erstellen. Wegen der Fahndungsprüfung haben die beiden Fonds jegliche Kooperation mit dem Finanzamt verweigert.

Ein Finanzamt schätzte in zwei ähnlich gelagerten Fällen die Besteuerungsgrund­lagen für 2006. In den Feststellungsbescheiden wurden die anteiligen Einkünfte der Gesellschafter jeweils mit 0 € angesetzt. Das Finanzamt hat es allerdings unterlas­sen, die entsprechenden Mitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter zu übersenden, weil die Gesellschaften nicht mehr kooperierten und die Mitteilungen deswegen vom Finanzamt selbst hätten erstellt werden müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass bei den Wohnsitzfinanzämtern für die Gesellschafter Verlustanteile berücksichtigt worden waren.

Ein Münchener Finanzamt konnte einen Betriebsprüfungsbericht mit Steuernach­zahlungen von 3,6 Mio. € monatelang nicht auswerten. Der neue Steuerberater der Gesellschaft hat die Gesellschafterlisten und die geänderte Ergebnisverteilung nicht vorgelegt.

24.2.2.4       Schwächung der Verhandlungsposition der Finanzämter

Bei der Berichtsauswertung nach Betriebsprüfungen wurde häufig wie bei der Bear­beitung der Feststellungserklärung verfahren: Die geänderten Ergebnisverteilungen und die entsprechenden Mitteilungen wurden nach Absprache von der Personenge­sellschaft bzw. ihrem Steuerberater erstellt. In vier Fällen hat dies die Berichtsaus­wertung erheblich verzögert.

Das Bemühen, gerade auch bei Betriebsprüfungen, die Kooperationsbereitschaft der Gesellschaften zu erhalten, schwächte die Verhandlungsposition der Finanzverwaltung.

Ein Finanzamt hat nach einer Betriebsprüfung mit den beiden geprüften Gesellschaf­ten Folgendes vereinbart: Die Feststellungen der Betriebsprüfer werden erst in der nächsten, von der Gesellschaft noch abzugebenden Feststellungserklärung berück­sichtigt. Tatsächlich betrafen die Feststellungen aber vergangene Jahre, so dass die bereits bestehenden Grundlagenbescheide samt den entsprechenden Mitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter hätten geändert werden müssen. Hier ging es z. B. um AfA‑Minderungen von insgesamt 3 Mio. €. Vermutlich hätten sich die Gesellschaften andernfalls geweigert, bei der Umsetzung der Feststellungen der Betriebsprüfung frei­willig mitzuwirken.

24.3             Wertung des ORH

Die Abhängigkeit der Finanzämter von der Mitwirkung der Gesellschaften und deren Steuerberater bergen angesichts der hohen Verlustzuweisungen und der daraus resultierenden Steuervorteile unvertretbar hohe Risiken für die Steuereinnahmen des Staates.

Für einen rechnerischen Gesamtabgleich von Feststellungsbescheid, Ergebnisver­teilung und Mitteilungen bei Personengesellschaften mit vielen Gesellschaftern ist eine geeignete IT‑Unterstützung dringend notwendig.

Es besteht zwar bereits ein IT‑Verfahren (FEIN‑Verfahren), welches eine systema­tische Datenverarbeitung ermöglichen und die obigen Probleme beseitigen würde. Allerdings wird es in diesem Bereich derzeit so gut wie nicht eingesetzt. Dies liegt daran, dass die Daten beim Feststellungsfinanzamt manuell eingegeben werden müssten. Das ist extrem arbeitsaufwendig. Die Finanzverwaltung muss dringend eine Schnittstelle zum Datenimport in das FEIN-Verfahren schaffen.

Hinzu kommt: Ab dem Veranlagungszeitraum 2011 müssen die Gesellschaften alle Daten elektronisch übermitteln. Bis zu diesem Zeitpunkt muss eine funktionierende Schnittstelle vorhanden sein. Sonst läuft die Regelung zum Abbau der Steuerbürokratie ins Leere.

24.4             Auffassung der Verwaltung

Die Finanzverwaltung teilt die Ansicht des ORH hinsichtlich der Nachteile durch die Abhängigkeit von den Steuerpflichtigen bzw. deren Beratern. Die Bearbeiter seien allerdings angewiesen, das FEIN‑Verfahren anzuwenden. Dieses maschinelle Ver­fahren sei auch grundsätzlich für die Bearbeitung der Feststellungserklärungen von großen Personengesellschaften geeignet. Es bestehe aber auch ein gewisser Ver­besserungsbedarf. Die Weiterentwicklung sei derzeit in Bearbeitung.

Als Sofortmaßnahme werde eine vom Finanzamt München I entwickelte IT‑Lösung allen Betriebsprüfungsstellen zur Verfügung gestellt. Sie enthalte eine Berechnungs­vorlage und eine Seriendruckfunktionalität für die Feststellungsmitteilungen.

Ab August 2009 werde mit der Pilotierung der elektronischen Übermittlung von Origi­nal-Feststellungserklärungen begonnen. Man beschränke sich zunächst allerdings auf Erklärungen mit bis zu fünf Beteiligten. Weitere Module zum elektronischen Ab­gleich der Stammdaten der Gesellschaft und der Gesellschafter sollten in 2010 zum Flächeneinsatz kommen. Alle Feststellungserklärungen sollten ohne Beschränkung der Zahl der Beteiligten für das Erklärungsjahr 2011 ab 2012 elektronisch übermit­telt werden.

24.5             Schlussbemerkung des ORH

Die über Jahre geduldete Praxis des Besteuerungsverfahrens von großen Personen­gesellschaften ist angesichts des erheblichen steuerlichen Risikopotenzials nicht län­ger akzeptabel. Der ORH hält es für dringlich, Abhilfe zu schaffen.