TNr. 14: Mieten ist nicht immer günstiger als bauen

Die Hochschulen decken ihren räumlichen Mehrbedarf u. a. durch die Anmietung sog. Bestellbauten. Die Verwaltung hat im Vorfeld auf Vergleichsrechnungen zwischen Anmieten und Bauen verzichtet. Nach den Feststellungen des ORH sind vier von fünf dieser Bestellbauten teurer als staatliche Neubauten.
Der ORH hält auch bei Entscheidungen über Bestellbauten methodische Wirtschaftlichkeitsberechnungen für unverzichtbar.
Das Staatliche Rechnungsprüfungsamt Ansbach hat im Jahr 2010 die befristete Anmietung von Bestellbauten für die Hochschulstandorte Bamberg, Coburg, Kempten, München und Schweinfurt geprüft. Dabei wurde untersucht, ob diese Art der Anmietung im Vergleich zu staatlichen Neubauten wirtschaftlich ist.
14.1 Ausgangslage
Im Schuljahr 2010/2011 erlangte sowohl der letzte Jahrgang des vormaligen neunstufigen Gymnasiums (G9) als auch der erste Abiturienten-Jahrgang des achtjährigen Gymnasiums (G8)[1] die Hochschulreife. Zusammen mit der demographischen Entwicklung und einer erhöhten Studierneigung führt dies bei den bayerischen Hochschulen in der Folgezeit zu einem deutlichen Anstieg der Studierendenzahlen und gleichzeitig zu einem zusätzlichen Raumbedarf.
Vor dem Hintergrund einerseits knapper Ressourcen für den Hochbau und andererseits der zeitlich begrenzten Auswirkungen des doppelten Abiturjahrgangs entwickelte das Wissenschaftsministerium ein Gesamtkonzept für die Deckung des Mehrbedarfs von 96.000 m² Hauptnutzfläche (HNF). Dieser sollte überwiegend durch Anmietung von 59.000 m² am Immobilienmarkt, aber auch durch staatliche Neubauten von 37.000 m² HNF gedeckt werden (Ministerratsbeschlüsse vom 03.07.2007 und 15.07.2008). Baumaßnahmen sollten nur in Betracht kommen, wenn es sich nicht nur um einen vorübergehenden Bedarf handelt und die Baumaßnahme im Vergleich zur Anmietung eine wirtschaftlichere Lösung darstellt.
Aufgabe der IMBY ist das Immobilienmanagement der staatseigenen und staatlich genutzten Liegenschaften und in diesem Zusammenhang die Anmietung der benötigten Flächen. Gemeinsam mit dem Wissenschafts- und dem Finanzministerium suchte sie nach Lösungen für die Deckung des künftigen Raumbedarfs. Da an einigen Hochschulstandorten am freien Immobilienmarkt keine geeigneten Mietobjekte verfügbar waren, haben sich die Ministerien auf den alternativen Weg einer Beschaffung in Form sog. „Bestellbauten" verständigt. Dabei handelt es sich um Bauvorhaben, die nach den Vorgaben des künftigen Mieters bei einem privaten Investor bestellt und dann auf bestimmte Zeit zu vorher vertraglich festgelegten Konditionen angemietet werden.
14.2 Feststellungen
Bestellbauten mit einer HNF von insgesamt 15.510 m² wurden an den Standorten Coburg, Kempten, München und Schweinfurt errichtet.
Darüber hinaus entsteht auch für die Universität Bamberg ein Bestellbau mit 9.290 m² HNF. Hier sollen bisherige Anmietungen in Streulagen an einem Standort zusammengeführt werden. In diesem Fall ist ein längerfristiger Bedarf zu erwarten.
14.2.1 Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen der Verwaltung
Bei der Beauftragung und Anmietung von Bestellbauten handelt es sich um Maßnahmen von erheblicher finanzieller Bedeutung. Zur Vorbereitung und Absicherung derartiger Entscheidungen bedarf es gem. Art. 7 BayHO eingehender Wirtschaftlichkeitsberechnungen.
Der ORH hat festgestellt, dass weder die Ministerien noch die IMBY methodisch anerkannte Vergleichsberechnungen für die Grundsatzentscheidung angestellt haben, ob es sich bei den Bestellbauten um die gegenüber Neubauten wirtschaftlichere Lösung handelt.
Auch hat die IMBY weder vor dieser Entscheidung eine eingehende Markterkundung durchgeführt noch hat sie die von der Hochschulverwaltung erhobenen ortsüblichen Mieten für vergleichbare Objekte verifiziert. Sie hat im Verfahren vielmehr darauf hingewiesen, dass sie lediglich „kursorische Plausibilitätsprüfungen" vorgenommen und keine förmliche Empfehlung im Rahmen des Flächenmanagements ausgesprochen habe. Erst bei ihrer Suche nach geeigneten Investoren im Rahmen der erforderlichen europaweiten Ausschreibungen hat die IMBY festgestellt, dass zu den veranschlagten Konditionen keine Investoren zu gewinnen waren. In Einzelverhandlungen musste die Verwaltung dann ungünstigere Konditionen akzeptieren: Verlängerung der Mietzeit, Reduzierung der Nutzfläche unter Anhebung des Mietzinses und höhere Instandhaltungspauschalen.
Die in der Folge deutlich höheren Mietzahlungen und sonstigen zusätzlichen Leistungen haben die IMBY nicht veranlasst, Untersuchungen durchzuführen, ob nicht ein staatlicher Neubau wirtschaftlicher wäre. Lediglich in einem Fall begründete die IMBY die Wirtschaftlichkeit des Bestellbaus. Dabei stellte sie dem vom Bauamtermittelten Kostenrahmen für einen staatlichen Neubau von 10,5 Mio. € die Summe der in zwölf Jahren zu leistenden Mietzahlungen von 8,3 Mio. € gegenüber mit der Bemerkung, dass „die Anmietung deshalb günstiger sein dürfte". Bei dieser Betrachtung bleibt der Restwert des Gebäudes unberücksichtigt.
14.2.2 Wirtschaftlichkeitsuntersuchung des ORH
Um die Vertragsgestaltung und Wirtschaftlichkeit der Anmietungen beurteilen zu können, stellte der ORH selbst Vergleichsrechnungen an. Grundlage hierfür waren die abgeschlossenen Mietverträge. Dabei ist der ORH wie folgt vorgegangen:
Zuerst wurden für jeden Hochschulstandort die für eine Veranschlagung im Staatshaushalt relevanten Kosten eines fiktiven staatlichen Neubaus zuzüglich der Grundstückswerte ermittelt.[2] Diese Kosten und die laufenden Bauunterhaltskosten wurden mit den Kosten für die Anmietungen der Bestellbauten anhand der Kapitalwertmethode bzw. Barwertberechnung verglichen. Nach diesem Verfahren werden die für den Staat über die gesamte Laufzeit hinweg anfallenden Ausgaben bzw. Kosten in beiden Varianten nach Entstehungsjahr erfasst und anschließend auf den Zeitpunkt des Projektbeginns (Basisjahr) diskontiert. Für die Berechnung dieses sog. Gegenwarts- oder Barwerts wurde der Zinssatz zugrunde gelegt, zu dem der Staat Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen konnte. Entsprechend wurde zur Finanzierung der Variante „Neubau" eine Kreditaufnahme unterstellt. Bei den staatlichen Maßnahmen ist der ORH außerdem von einem Nutzungszeitraum analog der Mietdauer der Bestellbauten und einer anschließenden Veräußerung ausgegangen.
Um derartige Vergleichsrechnungen durchführen zu können, müssen bestimmte Annahmen getroffen werden, u. a. über die Höhe der jährlichen Bauunterhaltsleistungen oder die Wertminderung des Gebäudes. So wurden beispielsweise hinsichtlich des Restwertes nach Beendigung der Nutzung die für die Wertermittlung von Gebäuden üblichen pauschalen Abschläge vom Neubauwert[3] vorgenommen.
Unter diesen Voraussetzungen wäre es für den Staat bei vier von fünf der untersuchten Objekte wirtschaftlicher gewesen, wenn er sich für eigene Baumaßnahmen entschieden hätte. Je nach vertraglicher Nutzungsdauer ergibt sich ein Vorteil von 13 bzw. 26 Mio. €. Lediglich am Standort Kempten erweist sich der Bestellbau bei einer Mietdauer von 10 Jahren um 1,8 Mio. € und einer von 20 Jahren um 2,2 Mio. € als günstiger.
14.2.3 Vertragskonditionen
Zwei der Verträge verpflichten den Staat außerdem zu Entschädigungsleistungen bis zu 5,6 Mio. € (Zeitwert), wenn der Mietvertrag bereits nach der regulären Mietzeit endet, der Staat also von seiner Verlängerungsoption nicht Gebrauch macht. Diese Ausgleichszahlungen von bis zu 30 Nettomonatskaltmieten fallen an, wenn die Objekte anschließend nicht oder nur zu ungünstigeren Bedingungen weitervermietet werden können. Dann verschiebt sich die Wirtschaftlichkeit noch weiter zuungunsten der Bestellbaulösung.
14.3 Würdigung
Die Berechnungen des ORH zeigen, dass auch bei zeitlich begrenzter Nutzungsdauer staatliche Neubauten wirtschaftlicher sein können als die Anmietung von Bestellbauten. Im Übrigen wäre die Vorstellung, Risiken hinsichtlich der Nachnutzung der errichteten Gebäude im Wege von Bestellbauten vom Staat auf private Investoren verlagern zu können, unrealistisch. Diese Risiken werden nämlich in aller Regel in die Mietkonditionen einkalkuliert. Nur mithilfe einer gründlichen Markterkundung und einer anschließenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung kann die wirtschaftlichste Lösung gefunden werden.[4]
Nach Haushaltsrecht sind Entscheidungen zur Unterbringung staatlicher Behörden und Einrichtungen in jedem Fall auf methodische Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu stützen. Mögliche Risiken sollten dabei realistisch betrachtet werden.
14.4 Stellungnahme der Verwaltung
Nach Auffassung der IMBY habe mit den Bestellbauten nach den Feststellungen des Wissenschaftsministeriums nur ein vorübergehender Bedarf von 10 bis 12 Jahren gedeckt werden sollen. Die Errichtung eines staatlichen Gebäudes mit einer (nominalen) Lebenserwartung von 60 Jahren wäre dafür unverhältnismäßig gewesen.
In einer gemeinsamen Stellungnahme weisen die Staatsministerien ergänzend darauf hin, die IMBY würde vor Anmietungen im Rahmen von Unterbringungsempfehlungen grundsätzlich eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchführen. Bei den Bestellbauten sei dafür jedoch kein Raum mehr gewesen, da die Staatsregierung die Bedarfsdeckung ausdrücklich durch Anmietungen vorgegeben habe.
Im Übrigen läge den Berechnungen des Staatlichen Rechnungsprüfungsamts eine idealisierte Kalkulation zugunsten des staatlichen Hochbaus zugrunde. Insbesondere der angenommene Restwert von 90% der Neubaukosten nach zehn Jahren sei völlig unrealistisch, gehe an den Marktgegebenheiten vorbei und verfälsche das Ergebnis zulasten der Bestellbauten.
14.5 Schlussbemerkung des ORH
Die gemäß Wertermittlungs-Verordnung zu treffenden Annahmen dienen als Grundlage für derartige Berechnungen und finden allgemein Anwendung. Die Staatsministerien kritisieren das Vorgehen des ORH bei der Ermittlung des Restwerts, ohne ihrerseits eine gebotene Erkundung des Marktwertes vorgenommen zu haben. Die Standorte lassen unterschiedliche Entwicklungen erwarten (München, Coburg, Bamberg) und erfordern eine differenzierte Betrachtung.
Die Ministerien haben als Grundlage der politischen Entscheidung angeführt, dass die Errichtung eines staatlichen Gebäudes wegen des nur vorübergehenden Bedarfs unverhältnismäßig wäre. Die Vergleichsrechnung des ORH hat dagegen gezeigt, dass diese Vermutung keineswegs eindeutig ist und eine Entscheidung zugunsten von Bestellbauten nicht ohne Weiteres stützen kann. Wie in den Richtlinien der IMBY vorgesehen, sind daher in jedem Einzelfall vergleichende Wirtschaftlichkeitsberechnungen erforderlich.
Auch muss der Ministerrat erwarten können, dass die Ministerien dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit bereits bei ihrem Entscheidungsvorschlag ausreichend Rechnung tragen.
[1]Beschluss des Landtags vom 26.07.2004.
[2]In Anlehnung an den 35. Rahmenplan für den Hochschulbau 2006 bis 2009.
[3]Entsprechend der Wertermittlungs-Verordnung.
[4]Siehe auch ORH-Bericht 1999 TNr. 19 und 2006 TNr. 18 zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften sowieErfahrungsbericht der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder zur Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten vom 14.09.2011.
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