TNr. 17: Akkreditierung von Studiengängen - Gütesiegel und Geschäftsmodell?

Die Akkreditierung von Studiengängen ist zu aufwendig und verursacht Kosten in Millionenhöhe. Der ORH fordert, das Verfahren zu vereinfachen und den Aufwand für die Hochschulen zu reduzieren.
Der ORH hat 2010 den Aufwand für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen untersucht. Dazu wurden an den neun bayerischen Universitäten, der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, den17 Fachhochschulen[1] und den sechs Kunsthochschulen Erhebungen mittels Fragebögen durchgeführt. Zusätzlich wurden bei sechs Hochschulen Interviews geführt.
17.1 Ausgangslage
17.1.1 Ziele der Akkreditierung
Aufgrund europäischer Vereinbarungen (Bologna-Prozess) werden in Deutschland seit den späten 90er Jahren die bisherigen Diplom- und Magister-Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt. Im Rahmen dieser Umstellung sollen die Bachelor- und Masterstudiengänge bestimmten europäischen Qualitätsstandards genügen. Diese Standards werden in einem Akkreditierungsverfahren überprüft; jeder Studiengang erhält mit der Akkreditierung eine Art Gütesiegel.Ziele der Akkreditierung sind
- Qualität von Lehre und Studium zu sichern,
- Mobilität der Studierenden zu steigern,
- europaweit vergleichbare Studiengänge zu schaffen und
- verlässliche Orientierung für Studierende und Arbeitgeber bereitzustellen.
17.1.2 Akkreditierungsverfahren
Ein Akkreditierungsrat legt die Verfahrensregeln und Kriterien für die Akkreditierung fest. Als übergeordnete Einrichtung zertifiziert er einzelne Agenturen, die ihrerseits dann die verschiedenen Verfahren zur Akkreditierung durchführen. Rechtsgrundlage ist ein nordrhein-westfälisches Landesgesetz, durch das der Akkreditierungsrat als Stiftung des öffentlichen Rechts errichtet wurde. Unter den 17 stimmberechtigten Mitgliedern befindet sich auch ein Vertreter des Freistaats Bayern. Nach dem bayerischen Hochschulrecht[2] soll die Akkreditierung durch anerkannte Einrichtungen (Agenturen) erfolgen.
Deutschlandweit sind derzeit zehn Agenturen berechtigt, das Qualitätssiegel zu vergeben. Die Hochschulen können unter diesen Agenturen frei wählen. Um die Akkreditierung zu erhalten, müssen sie der Agentur eine Selbstdokumentation mit umfangreichen Angaben zur Hochschule, zum Studiengang, zum Prüfsystem, zur Qualitätssicherung etc. vorlegen. Eine von der Agentur bestellte Gutachtergruppe, die i. d. R. aus drei Professoren, einem Berufspraktiker und einem Studenten besteht, prüft die Selbstdokumentation, führt die Vor-Ort-Begehung durch, erstellt einen Gutachterbericht und gibt eine Empfehlung ab. Die Hochschule kann dazu Stellung nehmen, bevor die Agentur ihren Beschluss über die Akkreditierung fasst. Sie kann mit oder ohne Auflagen ausgesprochen, ausgesetzt oder abgelehnt werden. Für das Verfahren müssen die Universitäten Entgelte an die Agenturen entrichten.
Die Agenturen führen die Verfahren entweder als Programmakkreditierung mit der Sonderform der Bündelakkreditierung oder als Systemakkreditierung durch.
Bei der Programmakkreditierung vergibt die beauftragte Agentur nach erfolgreicher Überprüfung das Gütesiegel für einen einzelnen Studiengang.
Die Bündelakkreditierung ist eine Sonderform der Programmakkreditierung; hier werden fachlich verwandte Studiengänge von der Agentur zwar einzeln bewertet, aber in einem gemeinsamen Verfahren behandelt.
Bei der Systemakkreditierung überprüft die Agentur nicht mehr die einzelnen Studiengänge, sondern die gesamten hochschulinternen Steuerungs- und Qualitätssicherungssysteme. Bei einer positiven Entscheidung erhalten damit automatisch alle Studiengänge der Hochschule das Gütesiegel.
Die Geltungsdauer der Programmakkreditierung ist zeitlich begrenzt. Nach fünf Jahren findet erstmals eine Reakkreditierung statt. Weitere Verfahren sind nach jeweils sieben Jahren fällig.
Für die Geltungsdauer der Systemakkreditierung gelten andere Zeiträume. Die erstmalige Systemakkreditierung gilt für sechs Jahre. Im Jahr 2011 wurden die Universität Mainz und die Fachhochschule Münster als die beiden ersten deutschen Hochschulen systemakkreditiert. In Bayern wurde noch keine Systemakkreditierung abschließend durchgeführt. Die Universität Bayreuth befindet sich in einem solchen Verfahren.
17.2 Feststellungen des ORH
17.2.1 Stand der Akkreditierung
Bis zum Sommersemester 2010 wurden 21% der 1.224 Bachelor- und Master-Studiengänge akkreditiert. Weitere 10% befanden sich im Verfahren.
17.2.2 Entgeltzahlungen an die Agenturen
Die an die Agenturen zu zahlenden Entgelte für ein Akkreditierungsverfahren setzen sich zusammen aus den Honoraren und Reisekosten für die Gutachter sowie den Personalkosten der jeweiligen Agenturen. Für einen einzelnen Studiengang liegen die Entgelte i. d.R. bei 10.000 bis 15.000 €.
Die Kosten je Studiengang können bei einer Bündelakkreditierung gesenkt werden. An den bayerischen Hochschulen sind bis zum Erhebungszeitpunkt 95 Bündelakkreditierungen durchgeführt worden.
Für alle bis zum Sommersemester 2010 durchgeführten und sich im Antragsverfahren befindenden Akkreditierungen wurden 2,6 Mio. € an die Agenturen bezahlt.
Hochgerechnet nur auf die Erstakkreditierung aller Studiengänge werden nach dem jetzigen Verfahren Entgelte in Höhe von rd. 8 Mio. € fällig. Bei der Reakkreditierung fallen weitere Zahlungen an die Agenturen an.
17.2.3 Personal- und Sachaufwand
Neben den externen Kosten, die die Agenturen in Rechnung stellen, fallen für die Hochschulen auch erhebliche interne Kosten an. So ist z. B. die für eine Programmakkreditierung erforderliche Anfertigung einer umfassenden Selbstdokumentation der Hochschule zeit- und personalintensiv. Sie kann für einen einzelnen Studiengang den Umfang von mehreren hundert Seiten erreichen. Das gesamte Verfahren der Programmakkreditierung dauert i. d. R. eineinhalb Jahre. Der exakte Arbeitszeitaufwand konnte von den Hochschulen nicht vollständig angegeben werden, da einige der betroffenen Personen zwischenzeitlich im Ruhestand oder ausgeschieden sind. Darüber hinaus wurden nicht immer Aufzeichnungen über den Zeitaufwand geführt. Die Hochschulen gaben folgenden Zeitaufwand für alle Akkreditierungen bis zum Sommersemester 2010 an:
Als Ursachen des hohen Zeitaufwands wurden von den Hochschulen u. a. genannt:
- die Erstellung und Änderung der Modulhandbücher für die Studiengänge,
- die Anforderung von z. T. überflüssigen Daten und Informationen, wie z. B. Personalhandbücher und deren Erstellung,
- die an der Hochschule bereits vorhandenen Daten müssen für die Agenturen umgeschrieben und neu aufbereitet werden.
Aus diesem von den Hochschulen angegebenen Arbeitszeitaufwand errechnen sich Personalkosten in Höhe von 9,7 Mio. €.[3] Beim Sachaufwand konnten keine vollständigen Angaben gemacht werden, da nur in wenigen Fällen separate Aufzeichnungen, z. B. bei Dienstreisen, geführt wurden. Die von den Hochschulen mitgeteilten Kosten für Unterlagen, Telefon, Porto, Transporte und Sonstiges betragen insgesamt rd. 123.000 €. Die Kosten für die zu erstellenden Unterlagen bilden den größten Anteil mit 48% der Sachkosten.
17.2.4 Gesamtkosten der Akkreditierung
Bis zum Sommersemester 2010 sind an die Agenturen für rd. ein Drittel der zu akkreditierenden Studiengänge 2,6 Mio. € gezahlt worden. Rechnet man zu diesen direkten Kosten die Personal- und Sachkosten für die abgeschlossenen sowie die laufenden Akkreditierungsverfahren hinzu, betragen die Gesamtkosten schon jetzt rd. 12,4 Mio. €.
17.2.5 Auswahl der Agenturen durch die Hochschulen
Die bayerischen Hochschulen haben bis zum Sommersemester 2010 mit fünf der zehn Agenturen Verträge für die Akkreditierung von Studiengängen abgeschlossen.
Die verschiedenen Agenturen legen nach Ansicht der Hochschulen unterschiedliche Maßstäbe an. Dies führt dazu, dass sich die Hochschulen aus ihrer Sicht „geeignete" Agenturen empfehlen, bei denen sie glauben, die Akkreditierung eines Studiengangs mit den geringsten Problemen zu erreichen.
17.2.6 Position der Hochschulen
Die Hochschulen sehen das derzeitige Akkreditierungsverfahren als zu personal- und zeitintensiv an. Zum Teil fühlen sich die Hochschulen vom Wissenschaftsministerium allein gelassen. Auf Kritik stoßen Auflagen der Agenturen, die sich auf die inhaltliche Struktur der Studiengänge und sogar auf einzelne Module eines Studiengangs beziehen. Dies führt aus Sicht der Hochschulen zu einem Konflikt zwischen der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit von Forschung und Lehre und den Forderungen der Agenturen. Aufgrund eines Vorlagebeschlusses ist beim Bundesverfassungsgericht ein Normenkontrollverfahren[4] zur verfassungsrechtlichen Klärung dieser und weiterer Fragen anhängig.
Die Qualität der Studiengänge habe sich durch die Arbeit der Agenturen nicht spürbar verbessert. Regelmäßige Reakkreditierungen nach fünf bzw. sieben Jahren halten nicht alle Befragten für notwendig. Zum Teil werden auch die hochschulinternen Qualitätssicherungsmaßnahmen als völlig ausreichend gesehen, so dass auf Reakkreditierungen verzichtet werden könne. Der Verfahrensaufwand zur Weiterführung der Akkreditierungsspirale bei den Programmakkreditierungen führe zu keinem entsprechend hohen Erkenntnisgewinn im Vergleich zum dafür erforderlichen Mitteleinsatz.
17.3 Würdigung des ORH
Das Akkreditierungsverfahren wurde eingeführt, ohne den Aufwand zu hinterfragen. Es verursacht bereits jetzt für die bayerischen Hochschulen erhebliche Kosten, die in Zukunft noch weiter steigen werden. Hochgerechnet nur auf die Erstakkreditierung aller Studiengänge würden nach dem jetzigen Verfahren Entgelte an die Agenturen in Höhe von rd. 8 Mio. € fällig. Rechnet man den Personal- und Sachaufwand an den Hochschulen hinzu, so entstünden bezogen auf alle umstellungspflichtigen Studiengänge Gesamtkosten in Höhe von rd. 37 Mio. €. Für Reakkreditierungen kämen weitere Kosten hinzu.
Zudem ist es nach Auffassung des ORH bedenklich, dass die Agenturen unterschiedliche Maßstäbe an die Selbstdokumentation der Hochschulen anlegen. Dies führt zum einen dazu, dass die an den Hochschulen bereits vorhandenen Daten für die verschiedenen Agenturen jeweils umgeschrieben und neu aufbereitet werden müssen. Zum anderen beauftragen die Hochschulen oftmals diejenigen Agenturen mit der Akkreditierung, bei denen aus ihrer Sicht mit einem reibungslosen Ablauf zu rechnen ist.
17.4 Stellungnahme des Wissenschaftsministeriums
Der von den Hochschulen veranschlagte Arbeitszeitaufwand sei nicht nachvollziehbar und lasse nur einen bedingten Rückschluss auf die tatsächlichen Kosten der Akkreditierung zu. Die Hochschulen hätten das Akkreditierungsverfahren zum Anlass genommen, ihre Studienkonzepte sachgerecht aufzubereiten. Deshalb seien bei der Berechnung der Verfahrenskosten zu großen Teilen Aufgaben einbezogen worden, die aufgrund geltenden Hochschulrechts ohnehin hätten erfüllt werden müssen. Dies gelte insbesondere für die Erstellung der Modulhandbücher. Die errechneten Personal- und Sachkosten seien aufgrund ihres Bezuges zum Umstellungsprozess auf Bachelor und Master jedoch nur bedingt geeignet, Aussagen zu den tatsächlichen internen Kosten der Akkreditierung zu ermöglichen.
Darüber hinaus sei zu bedenken, dass das deutsche Akkreditierungssystem als Ausfluss der eingegangenen politischen Verpflichtung von 46 Bologna-Teilnahmestaaten anzusehen sei, ein System externer Qualitätssicherung einzuführen. Die vereinbarten internationalen Standards erforderten für die externe Qualitätssicherung unabhängige Agenturen. Bei der konkreten Ausgestaltung des Akkreditierungssystems bestünden daher nur eingeschränkte Spielräume. Bereits kurz nach der Gründung des Akkreditierungsrats 2005 habe sich das Wissenschaftsministerium in der Kultusministerkonferenz für die Weiterentwicklung hin zur Systemakkreditierung eingesetzt. Mehrere bayerische Hochschulen befänden sich derzeit in Vorbereitung zur Systemakkreditierung.
17.5 Schlussbemerkung des ORH
Die hochgerechneten Kosten beruhen auf den Angaben der Hochschulen. Das Wissenschaftsministerium hält deren Angaben nur für bedingt geeignet, um daraus die Gesamtkosten der Akkreditierung einschätzen zu können. Nach Ansicht des ORH wird ein erheblicher Teil der Kosten durch die Akkreditierung verursacht, selbst wenn man berücksichtigt, dass die Hochschulen Modulhandbücher und andere Unterlagen bereits wegen der Umstellung auf die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge erstellen müssen. Wenn die Belastungen durch den Akkreditierungsprozess zurückgingen, stünden mehr Kapazitäten für die originären Aufgaben der Hochschulen zur Verfügung. Gerade vor der gegenwärtigen Überlast durch den doppelten Abiturientenjahrgang und die wegfallende Wehrpflicht erscheint dies dem ORH dringend notwendig.
Durch die fehlende Standardisierung der Anforderungen ist der Aufwand für die Hochschulen zu hoch.
Der ORH hält eine Änderung des Verfahrens mit dem Ziel, die Kosten zu reduzieren, für dringend erforderlich. Dazu sollte der Einfluss Bayerns in der Kultusministerkonferenz und im Akkreditierungsrat genutzt werden, um
- die Anforderungen der Agenturen zu standardisieren,
- den Umfang der Selbstdokumentation zu beschränken,
- die Zeiträume bis zur Reakkreditierung großzügiger zu bemessen und
- so den Verfahrensaufwand deutlich zu verringern.
Solange es keine umfassende Neuordnung des Akkreditierungsverfahrens gibt, sollten die Hochschulen, soweit möglich, Systemakkreditierungen anstreben. Das Beispiel der Universität Mainz zeigt, dass bei der dortigen Systemakkreditierung für die Agentur nur 410 € pro Studiengang angefallen sind.
[1]Zur besseren Lesbarkeit werden die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften bzw. Universities of Applied Sciences als Fachhochschulen bezeichnet.
[2]Art. 10 Abs. 4 Bayerisches Hochschulgesetz.
[3]Die Personalkosten wurden anhand der Personaldurchschnittskosten ermittelt.
[4]Az. 1 BvL 8/10.