Jahresbericht 2016

TNr. 35: Keine gleichmäßige Besteuerung von Renteneinkünften

Stempel "'Rente" auf Steuerformular; Bild: Wolfilser - Fotolia.com
Die gleichmäßige Besteuerung der Renteneinkünfte ist nicht gewährleistet. Die Steuerverwaltung wertet die ihr vorliegenden Rentenbezugsmitteilungen unvollständig aus und nutzt vorhandene Informationen unzureichend. Der ORH sieht darin ein erhebliches Steuerausfallrisiko.

Der ORH fordert, vor allem die IT-Unterstützung effizienter zu gestalten und die Bearbeitungsqualität deutlich zu verbessern.

Der ORH hat 2014 und 2015 zusammen mit dem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt Ansbach die Auswertung der Rentenbezugsmitteilungen für 2005 bis 2011 bei den FÄ Schwandorf, Neu-Ulm, Straubing, Garmisch-Partenkirchen sowie der Bearbeitungsstelle Eichstätt für das FA München, Abteilung V, untersucht.

35.1 Ausgangslage

Bis 2004 unterlagen gesetzliche Altersrenten mit einem Anteil zwischen 25 und 30% der Besteuerung. Das Alterseinkünftegesetz vom 05.07.2004 führte zu einer nachhaltigen Änderung der Besteuerung. Danach sind Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei Rentenbeginn 2005 oder früher nunmehr mit einem Besteuerungsanteil von 50% anzusetzen. Dieser Anteil steigt mit späterem Rentenbeginn jährlich an. Bei Renteneintritt im Jahr 2015 beläuft er sich auf 70%, bis im Jahr 2040 die vollständige Besteuerung erreicht wird. Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen und privaten Rentenversicherungen sind ebenfalls anteilig zu versteuern.

Zur Sicherung des Steueranspruchs hat der Gesetzgeber das sog. Rentenbezugsmitteilungsverfahren eingeführt. Gemäß § 22a EStG sind die Versicherungsträger alljährlich zur Datenübermittlung an die zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) verpflichtet. Dieser Datensatz beinhaltet neben den persönlichen Angaben zur Identifikation der Betroffenen den Betrag und den Zeitraum der jeweiligen (Renten-)Leistung sowie gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherungsaufwendungen. Die ZfA übermittelt die ihr übersandten Daten an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt). Nach einem maschinellen Abgleich beim BZSt mit den dort verfügbaren steuerlichen Informationen werden die Rentenbezugsmitteilungen (RBM) anschließend an die Länder verteilt. Auf Bayern entfielen für 2005 knapp 4,1 Mio. RBM. Die Anzahl erhöhte sich in den folgenden Jahren regelmäßig und lag 2013 bei über 5 Mio. RBM.

35.2 Feststellungen

Bei steuerlich erfassten Personen werden die übermittelten RBM zeitnah im Rahmen der Steuerfestsetzungen einbezogen.

Bei steuerlich nicht erfassten Personen, auf die über die Hälfte[1] der RBM entfielen, nahm das LfSt eine EDV-gestützte Auswertung der RBM (Relevanzlauf) mit einer von KONSENS[2] bereitgestellten Software vor. Als bundeseinheitliche Vorgehensweise der Referatsleiter AO der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder war aus verwaltungsökonomischen Gründen vorgegeben,
  • nur Fälle aufzulisten, deren prognostizierte steuerliche Nachzahlung mindestens 200 € jährlich beträgt und
  • zunächst nur den Veranlagungszeitraum 2010 für die Auswertungen zugrunde zu legen.
Die FÄ erhielten dazu im Oktober 2012 vom LfSt umfangreiche elektronische Listen mit einer Vielzahl von Datensätzen für 2005 bis 2010, die manuell auszuwerten waren. Für 2010 waren rd. 74.000 Datensätze von den FÄ einzelfallbezogen zu überprüfen. Für 2011 erhielten die FÄ im März 2015 rd. 27.000 Datensätze zur Auswertung. Nicht mehr einbezogen wurden die 2010 als erledigt gekennzeichneten Fälle. Die personelle Auswertung der RBM musste in den Veranlagungsstellen neben der alltäglichen Arbeit sowie weiteren Aufgaben ohne zusätzliches Personal geleistet werden.

Für jeden Datensatz war - soweit möglich - das Ergebnis einer Probeberechnung zur steuerlichen Auswirkung ausgewiesen. Diese erfolgte auf der Grundlage der RBM sowie evtl. vorhandener Lohndaten.

35.2.1 Fehlerhafte Probeberechnungen

Grundlage für die Auswertung durch die FÄ waren die Probeberechnungen des LfSt. Der ORH stellte in rd. 33% der geprüften Fälle Mängel fest. Dies betraf im Wesentlichen die unzureichende Berücksichtigung vorliegender Daten. Insbesondere wurden die steuermindernden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sowie weitere Sonderausgaben nur mit Pauschbeträgen berücksichtigt, obwohl sie elektronisch vorlagen. Häufig lagen Lohndaten oder Versorgungsbezüge mit einem Steuerabzug für Verheiratete nach der Steuerklasse III vor. Bei der Steuerberechnung wurde trotzdem die Grundtabelle für Alleinstehende angewandt.

Die Mängel in den Probeberechnungen führten zu einer erheblichen Mehrarbeit. Die Auswertung in den FÄ erfolgte nur lückenhaft und nicht mit der gebotenen Sorgfalt.

35.2.2 Prüfung einer Besteuerung unterblieb

Um die außerordentliche Arbeitsbelastung bei der Auswertung zu reduzieren, verständigten sich etliche FÄ darauf, Ermittlungen erst ab einem prognostizierten steuerlichen Ergebnis von mehr als 500 € bzw. mehr als 1.000 € durchzuführen. Das LfSt akzeptierte diese "verwaltungsökonomische" Vorgehensweise und räumte dem Veranlagungsfortgang Vorrang ein. Dies hatte zur Folge, dass die Rentner in diesen Fällen nicht zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert wurden.

Des Weiteren gestand das LfSt den FÄ zu, Steuererklärungen für 2005 bis 2009 nur anzufordern, wenn für 2010 eine Einkommensteuer festzusetzen war.

Bei seinen örtlichen Erhebungen stellte der ORH fest, dass selbst bei zutreffenden Probeberechnungen in rd. 50% der Fälle die Bearbeitung fehlerhaft war. Obwohl nach Aktenlage die Voraussetzungen für eine Steuerfestsetzung gegeben waren, forderten die FÄ keine Steuererklärungen an. Einkommensteuerfestsetzungen wurden weder für 2010 noch für die Vorjahre vorgenommen. Auch die Folgejahre blieben einer Überprüfung entzogen.

35.2.3 Unzureichende Bearbeitung

Der ORH hat in einer Reihe von Fällen festgestellt, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen außer Acht gelassen wurden. Vielfach lagen neben den Renten zusätzlich Versorgungsbezüge oder andere nichtselbstständige Einkünfte vor. In diesen Fällen reichte der vorgenommene Lohnsteuerabzug zur Deckung der Steuerschuld nicht aus.

35.2.4 Ehrliche Steuerzahler

Im Gegensatz dazu standen Steuerpflichtige, die aufgrund der geänderten Rechtslage ihren steuerlichen Verpflichtungen nachkamen:

Ein bis dahin steuerlich nicht erfasster Steuerpflichtiger reichte z. B. im Mai 2006 seine Einkommensteuererklärung für 2005 ein. Die Einkommensteuer betrug 212 €. Für 2006 bis 2009 ergingen regelmäßig Steuerbescheide, für 2010 wurde eine Einkommensteuer von 122 € festgesetzt. Dieser Fall wäre nach der "200 €-Mindestgrenze" im Relevanzlauf nicht enthalten gewesen.

Wäre der Steuerpflichtige seiner gesetzlichen Pflicht zur Erklärungsabgabe nicht nachgekommen, hätte das FA von dem Steuerfall nichts erfahren, obwohl den Steuerbehörden eine RBM vorlag. Eine Besteuerung hätte über Jahre hinweg nicht stattgefunden.

35.2.5 Späte Festsetzungen

Durch die erheblich zeitlich verzögerten Auswertungen war für 2005 vielfach die Festsetzungsverjährung eingetreten.

Die zeitliche Abwicklung der steuerlich nicht geführten Fälle im Oktober 2012 betreffend die Jahre 2005 bis 2010 wurde sowohl von FÄ als auch von Steuerbürgern fast als Zumutung betrachtet. Bei den aufzugreifenden Fällen waren oftmals Steuererklärungen für bis zu sechs Jahre anzufordern und umfangreiche Ermittlungen für Jahre zurückliegende Sachverhalte auch von den Steuerbürgern veranlasst. Durch die deutlich verspäteten Festsetzungen mussten diejenigen Steuerbürger, die nunmehr von den FÄ erfasst wurden, erhebliche Zinsbeträge nach § 233a AO entrichten. Zusammen mit den Steuerbeträgen für mehrere Jahre ergab dies erhebliche Steuerforderungen "auf einen Schlag", die vor allem bei weniger gut bemittelten Steuerbürgern zu Problemen führten.

Die gesamte Auswertungsaktion bis zu einer Einkommensteuerfestsetzung rief bei den Steuerpflichtigen Unverständnis hervor. In der Folge entstand den FÄ insbesondere durch umfangreiche telefonische Beanspruchung sowie erhöhten Besucherandrang ein erheblicher Mehraufwand.

35.3 Würdigung

Die Rentenbesteuerung hat sich ab 2005 grundlegend geändert. Sowohl der nunmehr höhere steuerpflichtige Anteil als auch die demografische Entwicklung führen zu einer wesentlich größeren Bedeutung dieser Einkünfte.

35.3.1 IT-Unterstützung verbessern

Die manuell nachzuprüfenden Steuerfälle könnten durch einen verstärkten IT-Einsatz deutlich verringert werden. Hierzu sollten alle bei der Steuerverwaltung verfügbaren Informationen maschinell in die Probeberechnung einbezogen werden. Zeitnähere Auswertungen und Steuerfestsetzungen sind dringend geboten und würden das Verständnis für die Maßnahmen erhöhen. Um die Auswertungsarbeiten wesentlich früher zu beginnen, sollte der Relevanzlauf so bald wie möglich durchgeführt werden.

35.3.2 Bearbeitung optimieren

Die festgestellte Beanstandungsquote von 50% ist deutlich zu hoch. Bearbeitungsfehler entfalten auch Wirkung für die Zukunft, da die Ergebnisse der Überprüfung Grundlage für die Folgejahre darstellen können. Dauerhafte Steuerausfälle, die durch Mängel in der Bearbeitung entstehen, sind nicht hinnehmbar.

35.3.3 Gleichmäßigkeit der Besteuerung herstellen

Die FÄ haben die Steuern gem. § 85 AO gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Die lückenhafte Überprüfung und mangelnde Prüfungsdichte führt im Ergebnis dazu, dass der Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung nicht beachtet wurde. Von diesem Rechtsgrundsatz wird hier nach Auffassung des ORH abgewichen. Es liegt eine Ungleichbehandlung zu denjenigen Rentnern vor, die ihrer Verpflichtung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung von selbst nachkommen und regelmäßig Einkommensteuer zahlen.

35.4 Stellungnahme der Verwaltung

Das Finanzministerium trägt vor, dass die anfangs noch mangelhafte Qualität und Unvollständigkeit der elektronisch übermittelten Datensätze eine effektive Bearbeitung erschwert habe. Bei einem Systemwechsel und der Einführung neuer Verfahren bestünden regelmäßig Schwierigkeiten bei allen Beteiligten.

Eine umfassende Untersuchung der Steuerpflicht im Einzelfall erachtet auch das LfSt für notwendig. Eine entsprechende Arbeitsanweisung zur Gesamtfallbearbeitung für 2011 sei an die FÄ ergangen.

Es betont, dass die in KONSENS enthaltenen Schwellenwerte bundeseinheitlich abgestimmt seien und landesintern nicht geändert werden könnten. Die "200 €-Mindestgrenze" habe auf einer Entscheidung der AO-Referenten des Bundes und der Länder beruht. Die von verschiedenen FÄ eingeräumten Nichtaufgriffsgrenzen seien keine organisatorische Vorgabe des LfSt gewesen. Auch hält es daran fest, dass dem Veranlagungsfortgang Vorrang einzuräumen sei. Verjährungsfälle seien in Kauf genommen worden.

Als Verbesserung bei der IT-Auswertung seien bei den Probeberechnungen 2011 bereits die tatsächlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge einbezogen worden. Weitere Optimierungen würden angestrebt, seien aber aufgrund der bundeseinheitlichen Abstimmungen in KONSENS kurzfristig nicht umsetzbar. Im Übrigen fänden regelmäßig Restantenläufe statt, die eine Auswertung der bislang unberücksichtigt gebliebenen RBM gewährleisten sollen.

35.5 Schlussbemerkung

Bei der Rentenbesteuerung handelt es sich um Dauersachverhalte. Das Steuerausfallrisiko ist erheblich und wirkt auch in der Zukunft fort.

Die o. a. Veränderung bei der IT-Unterstützung reicht noch nicht aus. Es müssen alle der Steuerverwaltung zur Verfügung stehenden Informationsquellen einbezogen werden, um zeitnah und differenziert Steuererklärungen anfordern und Steueransprüche realisieren zu können.

Der ORH hält an seiner Forderung fest, die bisherigen Ungleichheiten zu beseitigen, die durch eine unzureichende Auswertung der RBM entstanden sind. Dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist im Hinblick auf die ehrlichen Steuerzahler Priorität einzuräumen.

[1] Schätzung des Landes Nordrhein-Westfalen: 57%.
[2] Koordinierte neue Softwareentwicklung der Steuerverwaltung.

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