Jahresbericht 2018

TNr. 53: Hochwasserschutz in Deggendorf

Hochwasserschutz aus Sandsäcken; Bild: PhotographyByMK - stock.adobe.com
Vom Hochwasser im Juni 2013 waren die Deggendorfer Ortsteile Fischerdorf und Natternberg besonders betroffen. Bei mindestens 150 der betroffenen Häuser war insbesondere wegen Ölschäden ein Abriss erforderlich. Entgegen den rechtlichen Vorgaben waren Heizöltanks nicht auf ihre Hochwassersicherheit kontrolliert worden.


Das Umweltministerium sollte die neuen Möglichkeiten des Hochwasserschutzgesetzes II konsequent nutzen.

Der ORH hat unter Beteiligung der Staatlichen Rechnungsprüfungsämter Augsburg und Regensburg den Hochwasserschutz im Raum Deggendorf geprüft. Ausgelöst, aber auch örtlich begrenzt, war die Prüfung durch das Juni-Hochwasser 2013, bei der das Siedlungsgebiet Fischerdorf/Natternberg um bis zu 4 m überflutet wurde. Prüfungsschwerpunkt war angesichts des haushaltsrechtlichen Gebotes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, ob die gebotene Schadensvorsorge durch die staatlichen Stellen betrieben worden war.


53.1 Ausgangslage


53.1.1 Sachverhalt

Durch anhaltenden starken Regen hatte sich im Juni 2013 in weiten Teilen Bayerns die Hochwasserlage immer mehr verschärft und auch im Donauraum, speziell aber im Landkreis Deggendorf für Überschwemmungen gesorgt. Der Donau-Pegel erreichte am 4. Juni einen Höchststand von 8,08 m. Die Höchstwasserstände wurden für alle Hochwasserschutzanlagen überschritten. Wegen eines Deichbruchs an der Isarmündung wurden die Deggendorfer Ortsteile Fischerdorf und Natternberg überflutet.

Die Folgen des Hochwassers waren für die betroffenen Siedlungsgebiete besonders gravierend, weil sich Öltanks aus ihrer Verankerung rissen, Öl auslief und sich im Mauerwerk und im Estrich der betroffenen Häuser festsetzte. Insbesondere im Bereich Fischerdorf waren die Belastungen aufgrund ausgetretenen Heizöls besonders hoch. Mindestens 150 Häuser hatten so schwere Ölschäden davongetragen, dass deren Sanierung ausschied und ihr Abriss erforderlich war. Ohne Ölschäden wäre ein Abbruch in den meisten Fällen nicht erforderlich gewesen. Eine nähere behördliche Untersuchung zur Schadensentstehung erfolgte nicht. Die Staatsregierung sagte zu, die entstandenen Schäden weitestgehend auszugleichen.[1] Ende 2014 rechnete allein der Landkreis Deggendorf mit Schäden von über 500 Mio. €.[2]

Nach Beseitigung der Hochwasserschäden erfolgte der Wiederaufbau einer Vielzahl von Häusern an gleicher Stelle ohne Änderung der Bebauungspläne. Mittlerweile verbesserte der Staat den Hochwasserschutz im betroffenen Gebiet, insbesondere durch eine zweite Deichlinie an der Isar. Das hat zum Ziel, Fischerdorf und Natternberg vor einem Hochwasser mit einer Abflussmenge, die im statistischen Mittel einmal alle 100 Jahre erreicht oder überschritten wird (hundertjährliches Hochwasser -  HQ100) zu schützen. Die im September 2016 fertiggestellte zweite Deichlinie hat eine Gesamtlänge von 3,5 km und verläuft parallel zum bereits bestehenden Hochwasserdeich. Dafür haben der Freistaat, der Bund und die Europäische Union insgesamt 27 Mio. € investiert.


53.1.2 Änderung der Rechtslage durch das Hochwasserschutzgesetz II

Im Rahmen der Prüfung wurde auch auf Regelungslücken für weitergehende Hochwasserschutzmaßnahmen hingewiesen. Mittlerweile hat der Bund das Hochwasserschutzgesetz II erlassen. Damit wurde in das WHG eine Regelung aufgenommen, die auch für Hochwasserrisikogebiete außerhalb von Überschwemmungsgebieten Einschränkungen bei der Ausweisung neuer Baugebiete und der Errichtung baulicher Anlagen zulässt. Zudem wurde das BauGB dahingehend ergänzt, dass in Bebauungsplänen auch Gebiete festgesetzt werden können, in denen bei der Errichtung baulicher Anlagen bestimmte bauliche oder technische Maßnahmen getroffen werden müssen, die der Vermeidung oder Verringerung von Hochwasserschäden dienen.

Der Vollzug des WHG und des BauGB obliegt in erster Linie den zuständigen Landesbehörden, insbesondere den Wasserwirtschaftsämtern und Landratsämtern sowie denjenigen Kommunen, denen staatliche Aufgaben übertragen wurden.


53.1.3 Anlagenverordnung

In Überschwemmungsgebieten und in vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebieten galten zum Zeitpunkt der Prüfung die besonderen Regelungen der Anlagenverordnung (VAwS)[3] für Heizöllager. Diese sind bis zur Fertigstellung eines Hochwasserschutzes uneingeschränkt und unmittelbar anzuwenden.

Als Grundsatzforderung legt die VAwS neben einer behördlichen Kontrollpflicht fest, dass Anlagen so beschaffen sein und betrieben werden müssen, dass wassergefährdende Stoffe nicht austreten können. Die Anlagen müssen dicht, standsicher und gegen die zu erwartenden mechanischen, thermischen und chemischen Einflüsse hinreichend widerstandsfähig sein. Außerdem müssen Anlagen und Anlagenteile in Überschwemmungsgebieten so gesichert sein, dass sie bei Hochwasser nicht aufschwimmen oder ihre Lage verändern. Entsprechend sind auch alle unterirdischen Heizöltanks sowie oberirdische Anlagen mit einem Volumen von mehr als 1.000 bis 10.000 Litern (dies entspricht den üblichen Öltanks in Wohngebäuden) von Sachverständigen zu überprüfen, die ihren Bericht unverzüglich der zuständigen Behörde vorzulegen haben.


53.2 Feststellungen

Die vom Hochwasser 2013 besonders betroffenen Deggendorfer Ortsteile Fischerdorf und Natternberg galten bereits seit 01.01.2008 als vorläufig gesichertes Überschwemmungsgebiet.[4] Zuständige Behörde für die Kontrolle nach der VAwS ist die Große Kreisstadt Deggendorf, der diese staatlichen Aufgaben übertragen sind.[5]

Für die dortigen Öltanks lagen bis zum Hochwasser jedoch keine Prüfbescheinigungen vor. Deren Vorlage forderte die Stadt Deggendorf von den betroffenen Hauseigentümern erstmals mit Schreiben vom 07.04.2014, also fast ein Jahr nach dem Hochwasser.

Das Unterlassen der vorherigen Prüfung dieser Öltanks beruht nach Angaben der Stadt Deggendorf auf der Ergebnisniederschrift vom 09.12.2008 über eine Besprechung am 01.12.2008 im Landratsamt Deggendorf. Daran nahmen teil das Umweltministerium, die Regierung von Niederbayern, das Landratsamt Deggendorf, Bürgermeister später betroffener Gemeinden und das Wasserwirtschaftsamt Deggendorf. Thematisch ging es um die Klärung von Sach- und Rechtsfragen für das Bauen im Überschwemmungsgebiet der Donau zwischen Straubing und Vilshofen.

Aussagen zur Lagerung wassergefährdender Flüssigkeiten wurden im Rahmen der Besprechung am 01.12.2008 nicht getroffen. Im genannten Besprechungsvermerk vom 09.12.2008 wurden dazu aber "aus Gründen des Sachzusammenhangs“ ergänzende Hinweise gegeben. So wurde insbesondere dargelegt, dass Heizölanlagen in Überschwemmungsgebieten hochwassersicher nachzurüsten seien und die zweijährige Frist für die Überprüfung dieser Anlagen zum 31.12.2010 ablaufe. Dass die hochwassersichere Nachrüstung und die Überwachungspflicht von Heizöltanks im Bereich von Flächen, die künftig auf Dauer durch bauliche Anlagen vor einem HQ100 geschützt werden sollen, ausgesetzt worden wären, kann aus dem Text dieser Niederschrift aber nicht entnommen werden.

Gleichwohl legte man anschließend den Besprechungsvermerk dahingehend aus, dass der Vollzug der geltenden Regelung ausgesetzt werden solle. Beleg für diese Auslegung ist eine knapp formulierte E-Mail des Umweltministeriums vom 03.12.2009. Mit dieser E-Mail antwortete es auf eine Anfrage der Regierung von Niederbayern.

Vorausgegangen waren schon Ende 2008 kommunale Schreiben an die Staatsregierung, die sich für eine solche Aussetzung der Überprüfung der Heizöltanks im Übergangszeitraum bis zur Fertigstellung des Hochwasserschutzes eingesetzt hatten. Die Sicherung der Heizöltanks treffe bis zur Fertigstellung des Hochwasserschutzes zahllose Privathaushalte und bedeute eine erhebliche Belastung der Bevölkerung.

Im Rahmen des Prüfungsschriftwechsels des ORH mit dem Umweltministerium hat dieses den o. g. E-Mail-Austausch inhaltlich als "Missverständnis“ bezeichnet. Dies könne aber auch nach Befragungen der seinerzeit handelnden Beamten nicht mehr aufgeklärt werden.


53.3 Würdigung

Die VAwS war zum Zeitpunkt des Hochwassers 2013 im vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet Fischerdorf/Natternberg uneingeschränkt anwendbar. Eine Rechtsgrundlage, die erlaubt, von diesen Bestimmungen abzuweichen, besteht nicht. Die Tatsache, dass die VAwS nicht vollzogen wurde, kommt als eine der Ursachen für die durch ausgelaufenes Heizöl entstandenen, ungewöhnlich massiven Schäden in Betracht, auch wenn dazu eine nähere Untersuchung der Schadensursachen unterblieb.

Der Vollzug der einschlägigen Bestimmungen oblag zwar der Stadt Deggendorf als Großer Kreisstadt; sie hatte insoweit die staatlichen Aufgaben der Kreisverwaltungsbehörde wahrzunehmen. Das Umweltministerium hätte im Rahmen der Fachaufsicht aber zeitlich schon weit vor dem Hochwasser sicherstellen müssen, dass die erforderlichen Prüfbescheinigungen nach der VAwS landesweit vollständig vorliegen und keine ungeprüften Heizölanlagen in Überschwemmungsgebieten mehr betrieben werden. Außerdem haben Umweltministerium und die Regierung von Niederbayern durch ihre Formulierungen erst Anlass für einen fehlerhaften Rechtsvollzug gesetzt. Insbesondere im Kontext der damaligen Gespräche und des vorherigen Schriftwechsels hätte aber gerade das für den Hochwasserschutz zuständige Ministerium Formulierungen, die zum fehlerhaften Vollzug Anlass geben, vermeiden müssen.


53.4 Empfehlungen

Nach abschließender Fertigstellung des HQ100-Schutzes ist davon auszugehen, dass für den Bereich Fischerdorf/Natternberg die Festsetzung als Überschwemmungsgebiet zulässigerweise aufgehoben wird, es aber Risikogebiet im Sinne des Hochwasserschutzgesetzes II bleibt.

Der ORH empfiehlt dringend, die bisherigen Möglichkeiten und die seit Januar 2018 für Risikogebiete geltenden wasserrechtlichen und bauplanungsrechtlichen Instrumentarien aus dem Hochwasserschutzgesetz II auf allen Verwaltungsebenen konsequent zu nutzen. Dazu zählt auch eine hochwasserangepasste Bauweise. Dies gilt insbesondere im Bereich des unteren Donautals auch nach Fertigstellung des technischen HQ100-Schutzes.


53.5 Stellungnahme der Verwaltung

Das Umweltministerium räumt ein, dass es sich bei der E-Mail vom 03.12.2009 um eine missverständliche Formulierung gehandelt habe. Es weist darauf hin, dass seine E-Mail die nachgeordneten Behörden nicht von ihrer Verantwortung für einen ordnungsgemäßen, rechtskonformen Vollzug entbinde.

Das Innenministerium verweist auf die Zuständigkeit des Umweltministeriums für den Hochwasserschutz und hat inhaltlich nicht zum Jahresbericht Stellung genommen.


53.6 Schlussbemerkung

Der Hinweis des Umweltministeriums auf die Eigenverantwortung nachgeordneter Behörden beim Vollzug ministerieller Schreiben ist im Hinblick auf die besondere Verantwortung, die eine Oberste Dienstbehörde für den Verwaltungsvollzug hat, problematisch. Aufgabe jeden Ministeriums ist es, Auskünfte an nachgeordnete Behörden in rechtskonformer und eindeutiger Weise zu geben und für ordnungsgemäßen Vollzug zu sorgen.

Der ORH empfiehlt dringend, die Überwachungspflicht von Heizölanlagen in Überschwemmungsgebieten und Risikogebieten zu kontrollieren.

Insgesamt zeigt die Prüfung des ORH, dass der Vollzug des Hochwasserschutzes nach Maßgabe des früher geltenden Rechts Mängel aufwies und dies nach Ansicht des ORH dazu beitrug, dass erhebliche Schäden zulasten von Umwelt, öffentlicher Infrastruktur und von Privaten nicht verringert oder zumindest teilweise nicht vermieden wurden.

Das Umweltministerium sollte die neuen Möglichkeiten des Hochwasserschutzgesetzes II konsequent nutzen.

 


[1] Vgl. TNr. 2 der Pressemitteilung der Staatskanzlei vom 07.08.2013.
[2] https://regiowiki.pnp.de/wiki/Hochwasser_2013_(Deggendorf) (abgerufen am 23.10.2017).
[3] Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährlichen Stoffen und über Fachbetriebe (Anlagenverordnung - VAwS) vom 18.01.2006 (GVBl. S. 63), ohne Änderung der Rechtslage mittlerweile in eine Bundesverordnung überführt: Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) vom 18.04.2017(BGBl. I S. 905).
[4] § 76 Abs. 3 WHG.
[5] Verordnung über Aufgaben der Großen Kreisstädte (GrKrV) in der Fassung der Bek. vom 25.03.1991 (GVBl. S. 123).