TNr. 14: Einsatz der Polizei an Bayerns Grenzen und Flughäfen

Seit dem Wegfall der Grenzkontrollen zur Republik Österreich und zur Tschechischen Republik bekämpft die Landespolizei mit spezialisierten Fahndungskräften (Schleierfahndung) gezielt die grenzüberschreitende Kriminalität. Ein effizienter Einsatz dieser Beamten wird dadurch eingeschränkt, dass sie z. B. zur Aufrechterhaltung des Schichtdienstes in Kleinstdienststellen für allgemeine polizeiliche Aufgaben herangezogen werden.
Die grenzpolizeilichen Aufgaben an den bayerischen Flughäfen sind Bundesaufgaben. Der Freistaat nimmt diese Aufgaben (außer am Flughafen München Franz-Josef-Strauß) ohne Kostenausgleich wahr und setzt dafür rd. 80 Vollzugsbeamte ein. Dies verursacht Kosten von 6 Mio. € jährlich.
2011 hat der ORH zusammen mit den Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern Bayreuth, Ansbach und Regensburg die Organisation und den Dienstbetrieb der Fahndungsdienststellen der Bayerischen Polizeigeprüft.
14.1 Ausgangslage
Bis 1998 war die Bayerische Grenzpolizei für Passkontrollen und die Überwachung des Grenzverkehrs zuständig. Infolge des Schengen-Abkommens wurden 1998 die Grenzkontrollen zu Österreich abgebaut und die Bayerische Grenzpolizei als selbstständiger Verband aufgelöst. An der Grenze zu Tschechien wurden die grenzpolizeilichen Aufgaben noch bis zu deren Wegfall Ende 2007 durch die Bayerische Landespolizei wahrgenommen.
Zum Ausgleich für den Wegfall der Grenzkontrollen wurden besondere polizeiliche Befugnisse in Grenznähe gesetzlich geschaffen (Schleierfahndung[1] ) und besondere Fahndungsdienststellen eingerichtet. Dadurch kann die Polizei in Bayern die Identität einer Person in einem 30 km breiten Gürtel entlang der Grenze ohne konkreten Verdacht feststellen.
Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeigesetzes (BPolG) am 01.03.2008 wurden die grenzpolizeilichen Aufgaben in Bayern auf die Bundespolizei rückübertragen. Die Organisation der Schleierfahndung durch die Bayerische Polizei blieb davon unberührt. Wie die Landespolizei betreibt auch die Bundespolizei im Grenzraum die Schleierfahndung.
Für die Abwicklung der grenzpolizeilichen Aufgaben an Flughäfen wurde die Aufgabenverteilung in einemVerwaltungsabkommen vom 17.04.2008 zwischen dem Bund und dem Freistaat gesondert geregelt. Danach nimmt die Landespolizei die grenzpolizeilichen Aufgaben an den bayerischen Flughäfen mit Ausnahme des Flughafens München - Franz-Josef-Strauß wahr. Für den Freistaat handelte bei dem Abschluss des Verwaltungsabkommens das Innenministerium.
14.2 Feststellungen
14.2.1 Entwicklung an den Grenzen
Um nach dem Wegfall der Grenzkontrollen eine Verschlechterung der objektiven Sicherheitslage zu verhindern, wurden unterschiedliche Maßnahmen ergriffen.
In einem 30 km breiten Gürtel entlang der Grenzen zu Österreich und Tschechien wurde ein besonderer Fahndungs- und Kontrollraum ("erster Fahndungsschleier") eingerichtet.
An der Grenze zu Österreich wurden von den ursprünglich 1.510 Stellen der Grenzpolizei 250 eingespart. Für die Errichtung der neuen Fahndungsdienststellen wurde ein Bedarf von 445 Stellen zugrunde gelegt.
An der Grenze zu Tschechien wurden von den ursprünglich 854 Beamten der Grenzpolizeidienststellen rd. 570 Stellen für die Errichtung der neuen Dienststellen verwendet. Die übrigen Stellen wurden anderweitig eingesetzt. Von Stelleneinsparungen wurde abgesehen.
14.2.2 Aufbauorganisation der Schleierfahndung
Zur Erledigung der Fahndungsaufgaben wurden Fahndungsdienststellen, Kontaktstellen Grenze und Kommissariate Grenze als Einheiten neu geschaffen.
14.2.2.1 Fahndungsdienststellen
Das Personal der Fahndungsdienststellen rekrutiert sich überwiegend aus ehemaligen Beamten der Grenzpolizei, die mit der speziellen Aufgabenstellung an den Grenzen bestens vertraut sind. Landesweit vergleichbare Belastungswerte oder Durchschnittszeiten speziell für die Tätigkeiten der Fahnder wurden nicht festgelegt. Die besonderen Aufgabenstellungen und Abläufe der Schleierfahndung lassen sich mit der verfügbarenKriminalstatistik nicht aussagekräftig bewerten.
An der Grenze zu Österreich wurden fünf eigenständige "Polizeiinspektionen Fahndung" sowie vier nachgeordnete "Polizeistationen Fahndung" errichtet.
An der Grenze zu Tschechien wurde nur eine eigenständige "Polizeiinspektion Fahndung" (Waidhaus) gegründet. Die übrigen fünf unselbstständigen Fahndungsgruppen (Freyung, Furth i. W., Schirnding, Waldsassen und Zwiesel) wurden an die örtlichen Polizeiinspektionen angebunden.
Innerhalb des ersten Fahndungsschleiers wurden folgende, rund um die Uhr Schichtdienst leistende Polizeiinspektionen und -stationen für den allgemeinpolizeilichen Dienst neu errichtet:
Die Beamten der Fahndungsgruppen werden auch dazu eingesetzt, den normalen Schichtdienst - z. T. sogar dienststellenübergreifend - aufrechtzuerhalten. Sie stehen für die eigentliche Aufgabe - Schleierfahndung - in erheblichem Umfang nicht zur Verfügung.
14.2.2.2 Kontaktstellen Grenze (KontG)
Insgesamt wurden an der Grenze zu Österreich fünf Kontaktstellen Grenze eingerichtet. Sie haben die Aufgabe, die Fahnder bei grenzüberschreitenden Fahndungs- , Ermittlungs- und Verkehrsmaßnahmen zu unterstützen und Kontakte mit den Dienststellen des Nachbarstaates herzustellen. Die Sollstärken wurden mangels vorliegender Erfahrungswerte einheitlich auf fünf Stellen festgelegt. Zum 01.03.2008 wurden die Schub- und Auslieferungsaufgaben auf den Bund übertragen und sind damit für die Kontaktstellen entfallen. Soll- und Iststärken blieben weitgehend unverändert.
An der Grenze zu Tschechien wurde auf die Einrichtung von Kontaktstellen verzichtet. Deren Aufgaben, einschließlich der Dolmetscherdienste, wurden bei dem Gemeinsamen Zentrum in Schwandorf gebündelt. Das Gemeinsame Zentrum ist eine Einrichtung des Bundes, der Länder Bayern und Sachsen sowie der Tschechischen Republik zur Koordination und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.
14.2.2.3 Kommissariate Grenze
Bei den Kriminalpolizeidienststellen wurden Kommissariate Grenze errichtet. Sie bearbeiten die grenzbezogenen Delikte, ohne die grenzüberschreitende Betäubungsmittelkriminalität, deren Bearbeitung Fachkommissariaten zugewiesen ist. Die Fahndungsdienststellen geben die Verfahren zur weiteren Sachbehandlung an diese ab.
Bei den Kriminalpolizeiinspektionen Kempten und Amberg wurde auf die Einrichtung der Kommissariate Grenze verzichtet. Die Sachbearbeitung wird dort von den zuständigen Fachkommissariaten übernommen.
Die Anzahl der an die Kommissariate Grenze von den einzelnen Fahndungsdienststellen abgegebenen Verfahren variiert sehr stark. Sie reichte von 4 bis 355 Verfahren im Jahr 2010. Das in den Kommissariaten Grenze eingesetzte Personal wird zu seiner Auslastung daher auch für Aufgaben in anderen Kommissariaten eingesetzt.
14.2.3 Die polizeiliche Kontrolle des Flugverkehrs
Nach § 2 BPolG obliegt der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes grundsätzlich der Bundespolizei, soweit nicht ein Land im Einvernehmen mit dem Bund solche Aufgaben mit eigenen Kräften wahrnimmt. Bayern hat mit dem Bund ein entsprechendes Abkommen getroffen. Eine Kostenregelung enthält diese Vereinbarung nicht. Das Verwaltungsabkommen kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ablauf eines Kalenderjahres gekündigt werden.
Die Landespolizei übernimmt entsprechend dem Abkommen die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs an bayerischen Flughäfen mit Ausnahme des Flughafens München - Franz-Josef- Strauß.[2] Sie setzt dafür 80 Beamte ein, davon 62 Beamte am Flughafen Nürnberg, 10 Beamte am Flughafen Memmingen und 8 Beamte bei kleineren Verkehrslandeplätzen. Das verursacht Personalkosten von 6 Mio. € jährlich.
Am "Allgäu Airport" in Memmingen ist die örtliche Polizeiinspektion für die Wahrnehmung der grenzpolizeilichen Aufgaben für die "Non-Schengen-Flüge" zuständig. Seit Einrichtung des "Allgäu Airports" unterstützen Beamte der Fahndungsdienststellen Lindau und Pfronten die Kräfte der Verfügungsgruppe Flughafen. Deren Inanspruchnahme ist im Zeitraum 2008 bis 2010 stark gestiegen. Während in 2008 noch 1.213 Stunden geleistet wurden, fielen im Folgejahr bereits 6.091 Stunden und 2010 11.481 Stunden an. Insgesamt hat sich die zeitliche Inanspruchnahme der beiden Fahndungsdienststellen innerhalb dieser drei Jahre auf nahezu das Zehnfache erhöht. Besonders personal- und zeitintensiv sind dabei die langen Anfahrtswege (70 km einfache Fahrtstrecke) von der Dienststelle zum Flughafen und zurück.
14.3 Bewertung durch den ORH
Die Schleierfahndung wurde bisher vom Innenministerium stets als unverzichtbarer Teil der Kriminalitätsbekämpfung angesehen. Sofern dies aus polizeitaktischen Gründen weiterhin für erforderlich gehalten wird, muss nach Auffassung des ORH sichergestellt sein, dass die dafür spezialisierten Beamten nicht für andere Aufgaben - insbesondere im normalen Schichtbetrieb - herangezogen werden. Dies muss auch organisatorisch gewährleistet sein.
Damit ist es nicht vereinbar, spezialisierte Fahndungseinheiten vorzuhalten, diese aber in kleinen Dienststellen zur Aufrechterhaltung der Schichtdienstfähigkeit nicht aufgabengerecht einzusetzen. Personelle Probleme im allgemeinpolizeilichen Schichtdienst, die insbesondere durch die kleinteilige Organisation an den Grenzen entstanden sind, müssen auch dort und nicht auf Kosten der Fahndungsgruppen gelöst werden.
Nach der Kriminalstatistik hat sich die allgemeine Kriminalitätslage nach dem Wegfall der Grenzkontrollen nicht verschlechtert.[3] Das führt dazu, dass bei einigen allgemeinen Polizeidienststellen in grenznahen Gebieten die Belastung weniger als 50 % des durchschnittlichen Wertes erreicht.
Der ORH spricht sich mit Nachdruck erneut für die Zusammenlegung von räumlich nahen und personalschwachen Dienststellen zu größeren und leistungsstarken Einheiten aus.[4] Die dadurch frei werdenden Stellen stünden für eine belastungsgerechtere Verteilung zur Verfügung.
Bei den Kommissariaten Grenze und den Kontaktstellen Grenze sind Personaleinsatz und Aufbauorganisation stark unterschiedlich, ohne dass nachvollziehbare Gründe festgestellt werden konnten. Dies lässt bei gleicher Aufgabenstellung und unterschiedlichen Belastungszahlen eine Überprüfung notwendig erscheinen.
Das gilt vor allem für eine Neubewertung der Aufgaben der Kontaktstellen Grenze, nachdem seit 01.03.2008 die Schub- und Auslieferungsaufgaben von der Bundespolizei wahrgenommen werden.
Bei den Kommissariaten Grenze ist nach Ansicht des ORH konkret zu prüfen, ob die "grenzspezifische" Sachbearbeitung nicht unmittelbar auf die Ermittler der Fahndungsdienststellen vor Ort verlagert werden könnte. In diesen Dienststellen befinden sich viele ehemalige Grenzpolizisten, die mit der "grenzspezifischen" Materie bestens vertraut sind.
Im Bereich der grenzpolizeilichen Aufgaben an den bayerischen Flughäfen handelt es sich um eindeutige Bundesaufgaben, die vom Freistaat ohne Kostenausgleich übernommen wurden. Ein weitgehend gleichlautendes Verwaltungsabkommen zur Übernahme von Bundesaufgaben durch den Freistaat auf den Bundeswasserstraßen hat der ORH bereits im Jahresbericht 2011 aufgegriffen.[5] Der ORH fordert, die Verhandlungen mit dem Bund zur Rückübertragung dieser Aufgaben rasch abzuschließen oder ersatzweise eine Regelung zur Kostenübernahme herbeizuführen.
14.4 Stellungnahme der Verwaltung
Zur kleinteiligen Organisation der Dienststellen in den östlichen Grenzregionen und zur fehlenden Bemessung der Fahndungstätigkeiten stellt das Innenministerium fest, dass die Angliederung von unselbstständigen Fahndungseinheiten bei den Polizeiinspektionen dem Erfordernis der Präsenz in der Fläche und einer schnellen und flexiblen Einsatzbereitschaft vor Ort entspreche. Die Feststellungen der Belastung der Dienststellen dürften nach Ansicht des Innenministeriums nicht allein auf die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik beschränkt werden. Dementsprechend sei den Fahndungseinheiten auch wegen ihrer besonderen Aufgabenstellung ein grundsätzlich niedrigerer Stundenansatz pro Beamten als Basis zugrunde gelegt worden, da es bei den Fahndungsdienststellen so gut wie keine fremdbestimmte Arbeit gebe und somit das "eigeninitiative" Handeln mit angerechnet werden müsse. Im Übrigen bleibe es den Polizeipräsidien mit Fahndungsdienststellen unbenommen, eine verbandsinterne spezifische Sollstärkenberechnung durchzuführen.
Das Innenministerium unterstreicht, dass die vom ORH festgestellte unterschiedliche Aufbauorganisation an den Grenzabschnitten zu Österreich und Tschechien, etwa bei den Kommissariaten und den Kontaktstellen Grenze, bereits seit längerer Zeit diskutiert werde. Mit der Übernahme der Aufgaben für das Schub- und Auslieferungswesen durch die Bundespolizei zum 01.03.2008 seien die Tätigkeiten bzw. Belastungen der einzelnen Kontaktstellen Grenze neu zu bewerten. Gleiches gelte für die Kommissariate Grenze, nachdem das Innenministerium auch hier zahlenmäßige Rückgänge festgestellt habe. Eine Festlegung könne aber erst nach einer eingehenden Gesamtschau aller relevanten Zahlen erfolgen.
Hinsichtlich des Einsatzes bayerischer Polizisten an den Flughäfen verweist das Innenministerium auf die uneinheitliche Entwicklung im Flugverkehr. Es wolle deshalb zunächst die weitere Entwicklung abwarten. Sofern sich aber die rückläufigen Prognosen bestätigen sollten, würden auch die organisatorischen Auswirkungen hier einer neuen Bewertung unterzogen. Darüber hinaus habe das Innenministerium bereits im März 2012 mit dem Bund die Übernahme der noch bei der Bayerischen Polizei verbliebenen grenzpolizeilichen Aufgaben durch die Bundespolizei erörtert. Der Bund habe zugesagt, die Angelegenheit zu prüfen.
In seiner Stellungnahme vom 05.12.2012 zum Entwurf des Jahresberichts legt das Innenministerium Wert auf die Feststellung, dass die Schleierfahndung der Bayerischen Polizei ein unverzichtbarer Bestandteil der Inneren Sicherheit in Bayern und Deutschland sei. Da Bayern ein Flächenland sei, sei auch im Bereich der Fahndung eine entsprechende Präsenz in der Fläche notwendig. Bei der Organisation von Dienststellen dürften aber nicht nur definierte Messgrößen eine vorherrschende Rolle spielen, sondern seien auch polizei und einsatztaktische Gesichtspunkte sowie Bürgerbedürfnisse angemessen zu berücksichtigen. Schließlich sei das Thema "Fahndungsdienststellen" und die Ergebnisse der Prüfung des ORH im Kontext zum Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Evaluation Grenzreform zu sehen. Die Anregungen des ORH würden bei der Umsetzung hier auch miteinfließen.
14.5 Schlussbemerkung des ORH
Der ORH bleibt bei seiner Auffassung, dass auch für eine effiziente Schleierfahndung eine Neuorganisation der grenznahen Dienststellen notwendig ist. Die Prüfung hat erneut bestätigt, dass die Aufrechterhaltung von Kleinstdienststellen unnötig viel Personal bindet. Die kleinteilige Organisation ist unwirtschaftlich. Auf die Ankündigung des Innenministeriums, wonach die Prüfungserkenntnisse des ORH in die künftigen Überlegungen miteinbezogen werden, müssen auch entsprechende Taten folgen.
Die Verhandlungen mit dem Bund über die Wahrnehmung der grenzpolizeilichen Aufgaben an den Flughäfen sollten rasch abgeschlossen werden.
[1] § 13 Abs. 1 Nr. 5 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz.
[2] § 1 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsabkommens über die Wahrnehmung von Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes in Bayern.
[3] Polizeiliche Kriminalstatistik Bayern (PKS) 2010.
[4] Vgl. ORH-Bericht 2002 TNr. 18 und ORH-Bericht 2009 TNr. 16.
[5] ORH-Bericht 2011, TNr. 13.