TNr. 30: Bayerische Gewebebank - Bavarian Tissue Banking GmbH

Die Beteiligung des Klinikums der Universität München (KUM) an einer im Oktober 2008 gegründeten GmbH zur Be- und Verar-beitung menschlichen Gewebes ist eine Fehlinvestition. Das Klinikum musste der GmbH bislang zusätzliche Finanzmittel von 600.000 € bereitstellen. Sollte sich ein ausgeglichenes Betriebs-ergebnis nicht realisieren lassen, ist die Beteiligung zu beenden.
Der ORH hat 2010/2011 im Rahmen der Prüfung des KUM u. a. die Beteiligung des Klinikums an der Bayerische Gewebebank - Bavarian Tissue Banking GmbH (Gewebebank) untersucht.
30.1 Gründung und Unternehmensgegenstand
Das KUM ist seit 01.06.2006 eine Anstalt des öffentlichen Rechts und damit rechtlich selbstständig. Nach Art. 2 Abs. 2 Bayerisches Universitätsklinikagesetz (BayUniKlinG) darf sich ein Universitätsklinikum zur Erfüllung seiner Aufgaben an Unternehmen beteiligen und Unternehmen gründen. Der Aufsichtsrat hat hierzu die erforderliche Zustimmung zu erteilen.[1]
Das KUM hat diese Gestaltungsmöglichkeit genutzt und am 02.10.2008 zusammen mit dem Deutschen Herzzentrum München (DHM) die Gewebebank gegründet.
Anlass für die Gründung der Gewebebank war das Inkrafttreten des Gewebegesetzes zum 01.08.2007, das dieEU-Richtlinie 2004/23/EG umsetzt. Die Be- oder Verarbeitung menschlichen Gewebes wurde den strengen Regelungen des Arzneimittelrechts unterworfen; hierfür ist die Herstellungserlaubnis der zuständigen Regierung als Aufsichtsbehörde erforderlich. Das Gewebe muss unter GMP-Bedingungen (Good-Manufacturing-Practice - Gute Herstellungspraxis) produziert werden. Außerdem ist eine Zulassung des Paul-Ehrlich-Instituts erforderlich. Dieses ist eine Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland und entscheidet u. a. über die Genehmigung von Gewebezubereitungen.
Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt 25.000 € und wurde durch die Gesellschafter KUM mit 13.000 € (52 %) und DHM mit 12.000 € (48 %) erbracht. Die Gewebebank hat ihren Sitz im Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie IZB Martinsried. Gegenstand des Unternehmens ist die Bearbeitung und Weitergabe von humanen Gewebepräparaten (Herzklappen/herznahe Gefäße, Augenhornhäute und Knochen).
30.2 Businessplan
Der Aufsichtsrat des KUM hatte am 16.11.2007 der Gründung der Gewebebank zugestimmt. Dem neunköpfigen Aufsichtsrat gehören fünf staatliche Aufsichtsratsmitglieder an, unter ihnen der Wissenschaftsminister als Vorsitzender. Dieser Entscheidung des Aufsichtsrats lag ein Businessplan vom Oktober 2007 zugrunde. Dieser wurde u. a. von zwei Professoren des KUM erstellt und vom Vorstand des KUM mitgetragen. Er ging von 1.600 Gewebepräparaten (je 400 Herzklappen und Knochen, 800 Augenhornhäute) und einer Umsatzprognose von 2,2 Mio. € im ersten Jahr der Tätigkeit aus.
Diese Zahlen wurden mit dem damaligen deutschlandweiten Bedarf an Gewebetransplantaten gerechtfertigt; eine auf die geplante Beteiligung des KUM bezogene Marktanalyse wurde nicht durchgeführt.
30.3 Finanzielle Ausstattung und Verwendung der Mittel
Die Gewebebank kalkulierte ab 2010 mit jährlichen Einnahmen in Höhe von 1,1 Mio. €. Dafür sollten jeweils 200 Knochenpräparate und Herzklappen sowie 400 Hornhäute verkauft werden. Diese Einnahmen ließen sich allerdings nicht realisieren.
Die Gesellschafter mussten bis Anfang 2012 zusätzliche Finanzmittel von 865.000 € aufbringen, um die aufgelaufenen Defizite ausgleichen und die Investitionen finanzieren zu können. Davon zahlte das KUM 595.000 €.
30.4 Geschäftsentwicklung
Durch die Sanierungsmaßnahmen der angemieteten Räume und die erforderlichen Genehmigungsverfahren zur Erlangung der Herstellerlaubnis verzögerte sich die Aufnahme des laufenden Betriebs. Mit der Aufbereitung und Konservierung kardiovaskulären Gewebes (Herzklappen und herznahe Gefäße) konnte erst im Oktober 2010 begonnen werden. Erste Gewebepräparate wurden ab Februar 2011 verkauft.
Dem Businessplan lag die Annahme einer deutschlandweiten Nachfrage zugrunde. Primär sollte der eigene Bedarf der Gesellschafter sowie der Kliniken in München und Umgebung abgedeckt werden.
Tatsächlich war das DHM einziger Abnehmer der kardiovaskulären Gewebepräparate zu Preisen von 2.200 € für die Herzklappe und 960 € für das herznahe Gefäß.
Die Herzchirurgie des KUM hatte insgesamt kaum Bedarf an humanen Herzklappen. In den drei Jahren vor Gründung der Gewebebank wurden 11 menschliche Herzklappen implantiert. Von den 2009 bis 2011 insgesamt 2.184 eingesetzten Herzklappen waren lediglich 9 humane Herzklappen (0,4 %). 99,6 % waren Xenotransplantate und künstliche Herzklappen. Von den 2011 verwendeten 4 menschlichen Herzklappen wurde keine von der Gewebebank bezogen.
Mit der Aufbereitung von Knochengewebe wurde nicht begonnen.
Die Augenklinik betrieb am Campus Innenstadt eine Hornhautbank. Diese Hornhautbank wurde Mitte 2011 nach Martinsried verlagert und in die Gewebebank integriert.
Ab Eingliederung der Hornhautbank in die Gewebebank wurden von August 2011 bis Mai 2012 92 Hornhäute bearbeitet. Davor wurden z. B. 2009 von der bisherigen Hornhautbank 179 verwertbare Hornhäute aufbereitet, die hauptsächlich für eigene Transplantationen der Augenklinik verwendet wurden; 54 Hornhäute wurden an Externe verkauft.
30.5 Wertung ORH
Der ORH betrachtet die Beteiligung an der Gewebebank als Fehlinvestition.
Der Businessplan ging von einer unrealistischen Planung des Projekts aus. Im KUM bestand seit Jahren de facto kein Bedarf an humanen Herzklappen. Um eine darüber hinausgehende und deutschlandweite Nachfrage abschätzen zu können, wäre eine Marktanalyse erforderlich gewesen.
Der Aufsichtsrat hätte im Rahmen seiner Aufsichts- und Kontrollpflichten vor Zustimmung zur Gründung einer Gewebebank die prognostizierten Verkaufszahlen wesentlich genauer hinterfragen müssen, inwieweit diese plausibel sind. Allein eine Nachfrage zu den bisherigen Verbrauchszahlen für das eigene Universitätsklinikum und den Mitgesellschafter hätte gereicht um festzustellen, dass die Prognose im Businessplan völlig unrealistisch ist.
Auch die laufende Geschäftsentwicklung der Gewebebank, die mehrfach Gegenstand von Aufsichtsratssitzungen war, hätte Anlass sein müssen, der Gewebebank klare Zielvorgaben zu setzen und bei Nichterfüllung die Beendigung der Gesellschaft zu fordern.
30.6 Stellungnahmen der Verwaltung
Das Wissenschaftsministerium bemerkt, dass auf die Änderungen durch das Gewebegesetz habe reagiert werden müssen, um die Versorgung mit humanem Gewebe sicherzustellen. Zu diesem Zweck erschien es sinnvoll, zusammen mit dem DHM eine GmbH zu gründen. Diese Rechtsform sei gewählt worden, um dem Klinikum rechts der Isar oder anderen bayerischen Universitätsklinika die Möglichkeit eines Beitritts offenzuhalten. Die Defizite von 600.000 € seien nicht auf die Neugründung der GmbH, sondern auf die Anforderungen durch das neue Gewebegesetz zurückzuführen. Dadurch sei die Herstellung menschlichen Gewebes aufwendiger und damit teurer geworden. Zum ursprünglichen Businessplan aus 2007 räumte das Wissenschaftsministerium ein, dass die geplanten Gewebezahlen unzutreffend gewesen seien.
Die geringen Verkaufszahlen begründete das Wissenschaftsministerium mit der hohen Ausschussquote bei den kardiovaskulären Geweben aufgrund der strengen gesetzlichen Vorgaben. Nur 35 % der bearbeiteten Gewebe kämen zur Freigabe. Die restlichen Gewebe seien nicht verloren, sondern würden für Forschungszwecke aufbewahrt.
Zu den Aufsichts- und Kontrollpflichten des Aufsichtsrats führte das Ministerium aus, dass sich dieser regelmäßig mit der Gewebebank und ihrer Geschäftsentwicklung befasst habe. Der Aufsichtsrat habe bislang keine Veranlassung gesehen, die Beendigung der Gesellschaft zu fordern, da die von ihr betriebene Gewebebank für die Herstellung der vom KUM und dem DHM verwendeten Gewebe notwendig sei. Die Beendigung der Gesellschaft hätte vielmehr dazu geführt, dass erhebliche Investitionen in die Reinräume und letztlich auch erhebliche immaterielle Werte vernichtet worden wären. 2012 zeichne sich durch die Hinzunahme der Augenhornhäute und der Knochengewebe ein ausgeglichenes Betriebsergebnis ab. Ferner liefen Bestrebungen, die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) zu beteiligen, um an deren bundesweitem Netzwerk zu partizipieren.
30.7 Schlussbemerkung des ORH
er Business- und Finanzplan von 2007 war Grundlage für die Gründung der Gewebebank. Mit deutlich reduzierten Gewebezahlen wurde erst ab dem Wirtschaftsplan 2010 kalkuliert. Auch diese Zahlen (400 Augenhornhäute und je 200 Herzklappen und Knochenpräparate) waren weit entfernt von realistischen Annahmen.
Um den eigenen Bedarf des KUM und des DHM an kardiovaskulärem Gewebe decken zu können, war nach Ansicht des ORH die Gründung einer eigenen Gewebebank nicht erforderlich bzw. in ihrer Dimension völlig überzogen. Die Investitionen und die laufenden Betriebskosten stehen in keinem Verhältnis zum erzielten und erzielbaren Nutzen. Eine Leistungsausweitung konnte bislang nicht erreicht werden, da sich weder das Klinikum rechts der Isar - nach eigener Wirtschaftlichkeitsberechnung - noch die nordbayerischen Universitätsklinika an der Gewebebank beteiligt haben. Einnahmen wurden im Wesentlichen durch die Hinzunahme der Augenhornhäute erzielt, die ausschließlich an die eigene Augenklinik abgegeben wurden.
Die Versorgung mit kardiovaskulärem Gewebe hätte auch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Gewebegesetzes durch eine Beteiligung an der DGFG sichergestellt werden können. Die DGFG hatte bereits damals eine 10-jährige Erfahrung in der Koordination der Gewebespenden und -transplantationen in einem bundesweiten Netzwerk, in dem u. a. die Universitätsklinika Erlangen und Würzburg vertreten sind.
Der ORH hat erhebliche Zweifel, dass ab 2012 ein ausgeglichenes Betriebsergebnis erzielt werden kann. Den Erlösen aus der Abgabe der Augenhornhäute werden entsprechende Personal- und Sachkosten der Augenklinik gegenüberstehen, die zu verrechnen sind. Weitere Einnahmequellen, wie aus der Aufbereitung von Knochen oder der Untervermietung eines Reinraumes, konnten bislang nicht erschlossen werden. Zu einer ähnlichen Beurteilung kamen die Wirtschaftsprüfer im Jahresabschlussbericht 2011 der KUM, in dem sie auf die Beteiligung Gewebebank eine beinahe vollständige außerordentliche Abschreibung (84 %) vorgenommen haben.
Das Wissenschaftsministerium sollte stärker die finanziellen Interessen des Staates wahrnehmen und über den Aufsichtsrat die Entwicklung der Gewebebank künftig wesentlich enger begleiten. Lässt sich z. B. durch Kooperationen kein ausgeglichenes Betriebsergebnis erzielen, ist die Beteiligung an der Gewebebank zu beenden.
[1]Art. 8 Abs. 3 Nr. 4 BayUniKlinG.