TNr. 22: S-Bahn-Förderung: Mangelhafte Prüfung führt zu überhöhter Förderung

Eine Regierung hat erhebliche Mängel in der Planung beim Bau von S-Bahn-Gleisen auf nicht tragfähigen Moorböden nicht erkannt und das Vorhaben dennoch gefördert. Die fehlerhafte Planung hat beträchtliche Mehrkosten ausgelöst.
Der ORH hat weitere Fehler im Zuwendungsverfahren festgestellt. Er sieht insgesamt einen Rückforderungsbedarf in zweistelliger Millionenhöhe.
Der ORH und das Staatliche Rechnungsprüfungsamt Augsburg haben 2011 die Abwicklung eines Zuwendungsverfahrens für den Bau von S-Bahn-Gleisen durch eine Regierung und die bestimmungsgemäße und wirtschaftliche Verwendung dieser Mittel geprüft.
22.1 Ausgangslage
Nach der Rechtslage[1] dürfen nur Vorhaben gefördert werden, die bau- und verkehrstechnisch einwandfrei unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geplant wurden. Die Zuwendungsempfängerin hat der Regierung unverzüglich wesentliche Planänderungen und Kostensteigerungen anzuzeigen. Diese bedürfen vor ihrer Ausführung der Zustimmung durch die Bewilligungsbehörde.
Mit Bewilligungsbescheid vom 27.11.1995 bzw. abschließendem Zuwendungsbescheid vom 11.01.2011 gewährte eine Regierung Fördermittel von 46,1 Mio. € aus dem GVFG[2] und 19,7 Mio. € aus dem FAG[3] für den Bau von S-Bahn-Gleisen.[4] Diese liegen im Bereich würmeiszeitlicher Moränenböden. Im betroffenen Streckenabschnitt stehen bis in rd. 1,5 m Tiefe Torfe an, darunter folgen Seetone von weicher bis steifer Konsistenz. Es handelt sich um gering tragfähige, stark setzungsempfindliche Moorböden.
Während der Bauarbeiten versagte in einem Bauabschnitt der Baugrund mit erheblichen Auswirkungen auf das Umfeld (Grundbruch). Infolge des neu errichteten, schwimmend gelagerten Bahnkörpers war die Gefahr weiterer Grundbrüche zu einem nicht mehr kalkulierbaren Risiko für den bestehenden Bahnkörper und den Bahnverkehr geworden. Die gering tragfähigen Böden machten kostenintensive Sonderkonstruktionen im Tief- bzw. Ingenieurbau erforderlich. Nach Inbetriebnahme im Herbst 1999 meldete die Zuwendungsempfängerin mit ergänzenden Förderanträgen vom 22.10.1999 bzw. 11.12.2000 die durch Moorstellen verursachten und zur Gefahrenbeseitigung notwendigen Mehrkosten an. Nachdem die Regierung zunächst eine nachträgliche Förderung abgelehnt hatte, förderte sie schließlich nach Widerspruch der Zuwendungsempfängerin vom 01.06.2001 Mehrkosten von 7,4 Mio. €.
Mit dem Zuwendungsbescheid wird der Zuwendungsempfänger verpflichtet, mittels Baurechnungen einen Nachweis über eine zweckentsprechende Mittelverwendung zu führen. Diese bestehen u. a. aus den Rechnungsbelegen und den Abrechnungsunterlagen. In einem zahlenmäßigen Nachweis sind die Einnahmen und Ausgaben in zeitlicher Folge und voneinander getrennt entsprechend der Gliederung des Finanzierungsplans auszuweisen (Bauausgabebuch). Der Nachweis muss alle mit dem Zuwendungszweck zusammenhängenden Einnahmen (Zuwendungen, Leistungen Dritter, eigene Mittel) und Ausgaben enthalten.[5]
22.2 Feststellungen und Würdigung des ORH
22.2.1 Planungsfehler und mangelhafte Antragsprüfung
Der Erläuterungsbericht zum Zuwendungsantrag enthielt den Hinweis, dass die neuen S-Bahn-Gleise auf Moorböden führen sollten. Die Bodenbeschaffenheit war damit der Regierung bekannt.
Die Regierung hätte bei ordnungsgemäßer Antragsprüfung erkennen müssen, dass die S-Bahn-Gleise auf gering tragfähigen, stark setzungsempfindlichen Moorböden vorgesehen waren und die Planung dennoch keine bodenstabilisierenden Maßnahmen enthielt. Das Vorhaben hätte in dieser Form nicht gefördert werden dürfen, da es bautechnisch nicht einwandfrei geplant war.
22.2.2 Förderung von Kostensteigerungen
Mit dem Erlass des Zuwendungsbescheides ist eine abschließende Entscheidung erfolgt; das Risiko nachträglicher Kostensteigerungen hat die Zuwendungsempfängerin zu tragen. Ihr obliegt es, dieses Risiko durch eine sorgfältige Planung und Ausführung der Maßnahmen möglichst gering zu halten.[6]
Bei einer sachgerechten Planung wären Mehrkosten in erheblichem Umfang vermieden worden. Schuldhaft verursachte Mehrkosten aufgrund vermeidbarer nachträglicher Umplanungen sind nicht förderfähig. Dies gilt jedenfalls für die über die Herstellung eines tragfähigen Untergrunds hinausgehenden Mehrkosten.
Darüber hinaus meldete die Zuwendungsempfängerin die durch Moorstellen verursachten Mehrkosten mit ergänzenden Förderanträgen nach Durchführung der Bauarbeiten und nach Inbetriebnahme an. Die Anträge waren verspätet gestellt.[7]
Nicht nachvollziehbar ist, warum die Regierung die gesamten Mehrkosten gefördert hat.
22.2.3 Unvollständige Unterlagen
In der nur noch in Kopie vorhandenen Förderakte der Regierung fehlten wesentliche Unterlagen, wie z. B. der Widerspruch der Zuwendungsempfängerin vom 01.06.2001, die Begründung des Widerspruchs vom 11.02.2002, die Rücknahme des Widerspruchs vom 18.02.2002, die Auszahlungsanträge sowie die Bescheide über die ausbezahlten Zuwendungsraten.
Die Zuwendungsempfängerin konnte förderrechtlich relevante, zahlungsbegründende Belege und Unterlagen auch nach Aufforderung nicht vorlegen. Sie hat gegen die Aufbewahrungspflicht[8] und damit gegen eine Auflage aus dem Zuwendungsbescheid verstoßen. Im Rahmen der Rechnungsprüfung konnte daher nicht mehr festgestellt werden, ob und wie die im Verwendungsnachweis enthaltenen Beträge ausgegeben worden sind.
22.2.4 Fehlerhafter zahlenmäßiger Nachweis
Hinsichtlich der Planungskostenpauschalen nach dem FAG für 1994 bis 1996 konnte die Regierung die Buchungsdaten nicht mehr taggenau datieren. Sie konnte teilweise für einzelne Buchungstage die genaue Höhe der ausbezahlten Fördermittel nicht angeben.[9]
Die Zuwendungsempfängerin hat im Verwendungsnachweis eine Vielzahl von Buchungen auf über 400 Tabellen verteilt. Dieser Nachweis ist intransparent, wurde aber dennoch von der Regierung akzeptiert. Rechnungssummen mussten erst aufwendig vom ORH ermittelt werden.
Der zahlenmäßige Nachweis der Ausgaben sowie der zuwendungsfähigen Kosten ist aufgrund von Buchungs- und Rechenfehlern mangelhaft. Der Regierung fiel nicht auf, dass die Zuwendungsempfängerin Buchungen in Summenlisten fehlerhaft übertragen und Beträge falsch addiert hat. So wurden unter einem Teilprojekt 3.400.496,07 statt 1.149.118,85 DM und unter einem anderen Teilprojekt 129.453,05 statt 200.073,22 DM als zuwendungsfähig abgerechnet. Die Regierung übertrug außerdem von der Zuwendungsempfängerin ermittelte Beträge fehlerhaft in ihre Berechnung der zuwendungsfähigen Kosten.
22.2.5 Lange Verfahrensdauer
Vom Zuwendungsantrag bis zur Vorlage des Verwendungsnachweises vergingen rd. 14 Jahre, bis zum abschließenden Zuwendungsbescheid vom 11.01.2011 mehr als 15 Jahre. Zwischen der Inbetriebnahme im Herbst 1999 und dem abschließenden Zuwendungsbescheid lagen rd. 11 Jahre.
Der Verwendungsnachweis muss innerhalb von sechs Monaten nach Erfüllung des Zuwendungszwecks vorgelegt werden.[10]
Er hätte also spätestens im Frühjahr 2000 bei der Regierung eingereicht werden müssen. Tatsächlich wurde erst 2009 lediglich ein vorläufiger Verwendungsnachweis vorgelegt, der dann von der Regierung im Januar 2011 zum endgültigen Verwendungsnachweis erklärt wurde.
Die Regierung setzte die zeitgerechte Vorlage des Verwendungsnachweises nicht durch.
Sie zog den Abschluss des Förderverfahrens unnötig in die Länge und verstieß damit gegen das Zuwendungsrecht. Dies erschwert im Regelfall die Prüfung der zweckentsprechenden Mittelverwendung und etwaige Rückforderungen.
22.3 Forderungen des ORH
Die Regierung verletzte ihre Pflichten als Bewilligungsbehörde in erheblichem Maße. Der ORH sieht aufgrund der Prüfung nach wie vor einen Rückforderungsbedarf in zweistelliger Millionenhöhe.
Die Verwaltung muss zukünftig Folgendes beachten:
- Sie darf ausschließlich bau- und verkehrstechnisch unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit einwandfrei geplante Vorhaben fördern.
- Sie darf Mehrkosten durch zusätzliche oder geänderte Maßnahmen jedenfalls nur nach unverzüglicher schriftlicher Anzeige und Zustimmung fördern.
- Sie muss für zahlenmäßig fehlerfreie, transparente, lückenlose Nachweise beim Einsatz staatlicher Mittel sorgen und bei unvollständigen, nicht prüffähigen Verwendungsnachweisen förderrechtliche Konsequenzen ziehen.
- Sie muss die Vorlagefrist für die Verwendungsnachweise durchsetzen und unverzüglich prüfen, ob Anhaltspunkte für Erstattungsansprüche gegeben sind.
22.4 Stellungnahme der Verwaltung
Das Wirtschaftsministerium sieht nicht, dass die Regierung ihre Pflichten in erheblichem Maße verletzt habe. Es ist der Auffassung, dass Moorstellen nicht bekannt bzw. erkennbar waren. Allein aufgrund der Gebietsbezeichnung "Moos" könnten keine Rückschlüsse auf konkrete Moorstellen gezogen werden. Es sei nicht Aufgabe der Regierungen noch verfügten diese über die personelle Kapazität, alle fachtechnischen Gutachten zu prüfen und die darauf basierende Planung anzuzweifeln.
Das Ministerium hält die Mehrkosten zur Herstellung eines tragfähigen Unterbaus für förderfähig. Im Übrigen könne die Aussage der Zuwendungsempfängerin nicht widerlegt werden, dass die Regierung nach Bekanntwerden des Ausmaßes der nachträglich erforderlichen Maßnahmen informiert worden sei.
Die geforderten Nachweise und Belege seien nicht entsprechend den Vorschriften der ANBest-P bzw. NBest-Bau geführt, die Aufmaßblätter nicht entsprechend den gesetzlichen Vorgaben aufbewahrt worden. Die Regierung sichert zu, aktuell und künftig Förderakten vollständig zu führen.
Sowohl der Regierung als auch der Zuwendungsempfängerin seien Rechenfehler beim Verwendungsnachweis unterlaufen. Zwischenzeitlich seien diese beanstandeten Rechenfehler durch Rückforderung von 1,348 Mio. € behoben worden. Seit 2010 würden Auszahlungen maßnahmenbezogen vorgenommen und könnten maßnahmenscharf zugeordnet werden.
Die lange Dauer des Zuwendungsverfahrens beruhe auf der knappen Personalausstattung der Regierungen. Entsprechend Beschluss des Landtags vom 08.05.2012[11] zur Prüfung von Verwendungsnachweisen bei Projekten mit hoher Förderung seien allerdings zwischenzeitlich alle Regierungen gebeten worden, im Rahmen der innerbehördlichen Organisation auf eine ausreichende Personalausstattung der betroffenen Arbeitsbereiche zu achten.
Die Regierung habe aufgrund der Feststellungen des ORH bislang Zuwendungen von 5,2 Mio. € zurückgefordert.
22.5 Zusammenfassende Würdigung des ORH
Die der Regierung vorliegende Baugrunduntersuchung weist auf gering tragfähige Böden hin. Trotz der hohen Fördersumme hat die Regierung die Anträge und insbesondere die bautechnischen Voraussetzungen nicht hinterfragt. Während des gesamten Verfahrens hat sie ihre Pflichten als Zuwendungsgeberin nur mangelhaft wahrgenommen. Mehrkosten in erheblichem Umfang, die über die Herstellung eines tragfähigen Untergrunds hinausgehen, hätten bei einer sachgerechten Planung vermieden werden können. Die vom ORH aufgelisteten Rückforderungen sind nur zu einem geringen Anteil durchgeführt worden; zusätzliche Kosten infolge des Grundbruchs (über 10 Mio. €) wurden bislang nicht berücksichtigt.
Die Verwaltung muss Zuwendungsanträge, Planungen und Verwendungsnachweise vor allem bei finanziell bedeutsamen Vorhaben sorgfältiger prüfen. Die Forderungen des Landtags nach einer intensiveren Kostenkontrolle und qualifizierten Stichproben müssen beachtet werden.[12]
[1] Art. 3 Abs. 1 Nr. 1c Bayerisches Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, Nr. 4.1.5 RZ-ÖPNV 1984 (Richtlinien für die Gewährung von Zuwendungen des Freistaates Bayern für den öffentlichen Personennahverkehr).
[2] Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (gültig bis 31.12.2006, ab 01.01.2007 Bayerisches Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz), zuständig: Wirtschaftsministerium; Förderung 75 % nach GVFG-Landesprogramm.
[3] Zuständig: Finanzministerium; Förderung 25 % FAG-Investition und 7 % FAG-Planungskostenpauschale.
[4] Gesamtkosten von 73,1 Mio. €, zuwendungsfähige Kosten 61,5 Mio. €.
[5] Nr. 6.4 (bzw. Nr. 6.1.3 ab 01.08.2008) ANBest-P.
[6] FMS vom 05.06.1989.
[7] Entgegen Nr. 5.3 ANBest-P: "unverzüglich"; vgl. auch VV Nrn. 3 und 4 zu Art. 44 BayHO, Nr. 1.3 NBest-Bau.
[8] Vgl. Nr. 6.8 ANBest-P (bzw. Nr. 6.3 ANBest-P ab 2008).
[9] Sammelzuweisungen für verschiedene Einzelprojekte in den Jahren 1997 bis 1998.
[10] Nr. 6.1 ANBest-P und VV Nr. 11.1 zu Art. 44 BayHO.
[11] Beschluss des Landtags vom 08.05.2012 (LT-Drucksache 16/12471).
[12] Beschlüsse des Landtags vom 25.06.2008 (LT-Drucksache 15/10908) und vom 08.05.2012 (LT-Drucksache 16/12471).
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