TNr. 60 Coronabedingte Unterstützungsleistungen zugunsten der Universitätsklinika und des Deutschen Herzzentrums München

Statistiken mit Taschenrechner und Rotstift
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Das Wissenschaftsministerium gewährte den Universitätsklinika und dem Deutschen Herzzentrum München im Jahr 2020 einen finanziellen Ausgleich von 170 Mio. € für coronabedingte Erlösausfälle, Mehrkosten und Inves­titionen aus dem Sonderfonds Corona-Pandemie. Für Zahlungen von 27,6 Mio. € lagen die Voraussetzungen für die Gewährung nicht vor bzw. waren nicht nachgewiesen. Der ORH empfiehlt, die Ausgleichszahlungen zu überprüfen und unberechtigte Zahlungen ggf. zurückzufordern.

Der ORH hat die coronabedingten Unterstützungsleistungen 2020 aus dem Sonderfonds Corona-Pandemie (Kap. 13 19) zugunsten der Universitätsklinika und des Deutschen Herzzentrums München (Klinika) geprüft. Schwerpunkt der Prüfung war, inwieweit die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Mittel vorlagen.

60.1 Ausgangslage

Am 16.03.2020 rief die Staatsregierung aufgrund der Corona-Pandemie den Katastrophen­fall im Freistaat aus. Mit Schreiben vom selben Tag erteilte der Wissenschaftsminister als Aufsichtsratsvorsitzender den Klinika aufgrund der unaufschiebbaren Dringlichkeit Weisungen zur Bekämpfung und Eindämmung des Corona-Virus. So sollten die Klinika etwa Intensivkapazitäten schaffen bzw. ausbauen und jedwede Gelegenheit für die Beschaffung von Beatmungsgeräten nutzen, soweit die Schaffung zusätzlicher Intensivkapazitäten die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen erforderte.

Am 16.06.2020 stellte das Innenministerium das Ende des ersten Katastrophenfalls im Freistaat fest. Zeitgleich wurden die finanziellen Aspekte der im Frühjahr 2020 angewiesenen Maßnahmen konkretisiert. So beschloss der Ministerrat am 16.06.2020, zum Ausgleich der bei den Klinika anfallenden Sonderlasten einen Betrag von bis zu 539 Mio. € bei Kap. 13 19 vorzusehen; entsprechende Mittel wurden in der TG 94 eingeplant. Voraussetzung für die Auszahlung sei, dass gegenüber dem Wissenschaftsministerium entsprechende Kosten und Einnahmeausfälle konkret dargelegt würden. Die Mittel aus Kap. 13 19 waren kreditfinanziert.

Der ORH erkennt die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie grundsätzlich an.[1] Entsprechend den Regelungen zur Schuldenbremse dürfen in der Pandemie aufgenommene Notlagenkredite nur zur Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen eingesetzt werden. Zwischen der Nettokreditaufnahme und der Notlage muss es einen unmittelbaren Veranlassungszusammenhang geben. Die kreditfinanzierten Maßnahmen, wie der Ausgleich für die Klinika, müssen also sachlich und zeitlich mit der Notlage zusammenhängen. Der Haushaltsgesetzgeber hat dabei einen weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum. Damit korrespondiert aber auch eine Darlegungs- und Begründungsobliegenheit: Je höher die kreditfinanzierten Mittel sind, desto strengere Anforderungen sind an diese Begründungspflicht zu stellen.

60.2 Feststellungen

Das Wissenschaftsministerium gab am 31.07.2020 ein Berechnungsschema zur quartals­weisen Beantragung der Ausgleichszahlungen vor. Danach konnten die Klinika coronabedingte Erlösausfälle, Mehraufwendungen und Investitionen sowie erhaltene Kompensationen Dritter (wie den Bundeszuschuss für Intensivbetten) angeben. Angesichts der hohen Summe aus dem Sonderfonds Corona-Pandemie und der damit verbundenen haushaltsrechtlichen Verantwortung hielt das Wissenschaftsministerium für die Ermittlung der Ausgleichszahlungen einen strengen Maßstab für angezeigt.

60.2.1 Finanzvolumen Ausgleichszahlungen

Die Klinika haben in den Jahren 2020 bis 2022 Ausgleichszahlungen in Millionenhöhe aus dem Sonderfonds Corona-Pandemie erhalten. Der ORH hat die Ausgleichszahlungen 2020 von 272 Mio. € geprüft. Das Wissenschaftsministerium stellte die Mittel zunächst als Abschlagszahlungen zur Verfügung.

Nach anschließender Prüfung durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erkannte das Wissenschaftsministerium insgesamt 170 Mio. € an. Knapp ein Drittel davon erhielt ein einziges Klinikum.

Die Überprüfung der ausgereichten Mittel durch den ORH führte bei 2 der 7 Klinika zu keinen Beanstandungen. Bei den übrigen 5 Klinika lagen nach den Feststellungen des ORH die Voraussetzungen für die Gewährung des finanziellen Ausgleichs bei 36,8 Mio. € nicht vor bzw. waren nicht nachgewiesen.

Aufgrund der Feststellungen des ORH überprüften die Klinika und das Wissenschaftsministerium erneut die Ausgleichszahlungen:

  • Ein Klinikum erhielt 2020 Kompensationen Dritter von 1,0 Mio. €. Es gab diese Mittel entgegen der Vorgaben nicht an, sodass sich der ihm gewährte Gesamtausgleich um 1,0 Mio. € erhöhte.
     
  • Bei zwei Klinika entsprachen die geltend gemachten Beträge für Personalmehraufwand nicht den Voraussetzungen und waren daher um 4,2 Mio. € zu korrigieren.
     
  • Bei einem Klinikum lagen bei Investitionen von 0,8 Mio. € die Voraussetzungen nicht vor, da diese vor dem 16.03.2020 und damit vor Ausrufung des Katastrophenfalls getätigt worden waren.
     
  • Ein Klinikum erstellte nachträglich eine neue Investitionsliste. Danach betrugen 2020 die Gesamtinvestitionen 12,1 Mio. € anstatt der zuvor beantragten und vom Wissen­schaftsministerium ausgezahlten 16,8 Mio. €. Diese neue Liste führte dazu, dass vom ORH beanstandete Investitionen von 3,2 Mio. € nicht mehr geltend gemacht wurden.

Damit waren Beanstandungen von 9,2 Mio. € ausgeräumt.

60.2.2 Ausgleichszahlungen ohne Veranlassungszusammenhang

Unter Berücksichtigung der eingeräumten 9,2 Mio. € lagen für Zahlungen von 27,6 Mio. € weiterhin die Voraussetzungen nicht vor bzw. waren nicht nachgewiesen:

TNr 60 Tab 84 Auszahlungen ohne Veranlassungszusammenhang (Mio. €)
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60.2.2.1 Erlösausfälle

Nach den Vorgaben des Wissenschaftsministeriums waren die Erlösausfälle durch einen Vergleich des Wirtschaftsplans (Soll-Werte) mit den tatsächlichen Erlösen 2020 (Ist-Werte) zu ermitteln. Die Soll-Werte des Wirtschaftsplans ergeben sich aus den Erträgen und Aufwendungen des Erfolgsplans, dessen Struktur das Wissenschaftsministerium vorgibt. Demgegenüber ergeben sich die Ist-Werte aus der Gewinn- und Verlustrechnung, die den Vorgaben des HGB bzw. der KHBV folgt.

Bei zwei Klinika sah der Entwurf des Wirtschaftsplans für 2020 ein negatives Jahresergebnis vor. Entsprechend der Vorgabe des Wissenschaftsministeriums, ein ausgeglichenes Ergebnis im Wirtschaftsplan vorzusehen, wurden die Wirtschaftspläne geändert. Hierfür erhöhten die beiden Klinika ihre erwarteten Erlöse aus Krankenhausleistungen um 12,5 Mio. €. Die Summe der erwarteten Erlöse enthielt dadurch eine bloße rechnerische Position, aber keinen erwarteten Gegenwert für Leistungen des Klinikums. Bei der Beantragung der Ausgleichsmittel setzten die beiden Klinika die rechnerisch erhöhten Erlöse an und erhielten entsprechend (erhöhte) Zahlungen.

Ab 2021 änderte das Wissenschaftsministerium seine Vorgaben für ein ausgeglichenes Ergebnis des Wirtschaftsplans. Statt einer rechnerischen Erhöhung der erwarteten Erlöse war seitdem ein gesonderter Posten „Optimierungspotenzial“ auf der Einnahmenseite des Wirtschaftsplans zu bilden.

60.2.2.2 Personalmehraufwand

Nach den Vorgaben des Wissenschaftsministeriums hatten die Klinika Personalmehraufwand auf Basis der coronabedingten Mehraufwendungen zu ermitteln und ausschließlich nicht anderweitig erstattete Mehraufwendungen anzusetzen. Das Wissenschaftsministerium sieht dabei neben Neueinstellungen und Überstunden auch die Abordnung von Personal, das nicht in der Krankenversorgung tätig ist, grundsätzlich als erstattungsfähig an. Die vom letztgenannten Personal normalerweise durchgeführten Arbeiten würden nicht entfallen und müssten durch andere Maßnahmen kompensiert werden, die ihrerseits Kosten verursachten (Überstunden, Fremdvergabe etc.).

Nach den Feststellungen des ORH erhielt ein Klinikum 2,1 Mio. € Mehraufwand für Personalumwidmungen aus der Verwaltung erstattet. Es handelt sich dabei um (vorhandenes) Verwaltungspersonal, das anstelle seiner eigentlichen Aufgaben coronabedingte Aufgaben übernahm. Das Klinikum hat nicht nachgewiesen, dass die von diesem Personal normalerweise durchgeführten Arbeiten durch andere Maßnahmen kompensiert wurden und welche Kosten dafür angefallen sind.

60.2.2.3 Investitionen

Nach den Vorgaben des Wissenschaftsministeriums konnten die Klinika Investitionen, die im Rahmen der Pandemie zwischen 16.03.2020 bis einschließlich 20.05.2020 getätigt wurden, für den finanziellen Ausgleich nach dem Berechnungsschema geltend machen. Mit E-Mail vom 20.05.2020 bat das Wissenschaftsministerium die Klinika, vorerst von weiteren Beschaffungen abzusehen. Im weiteren Verlauf der Pandemie habe es (insbesondere aufgrund der weiteren Pandemie-Wellen) den Klinika kommuniziert, dass bedarfsgerecht weitere Investitionen möglich seien.

Der Ausgleich für investiven Mehraufwand war mittels einer separaten Aufstellung zu beantragen. Diese Aufstellung musste Anzahl, Art der Investition (inkl. Bezeichnung), Betrag und Bestell-/Rechnungsdatum enthalten. Der spätere Nachweis musste anhand von Rechnungen erfolgen können. Das Lieferdatum spielte in diesem Zusammenhang keine Rolle.

Nach den Feststellungen des ORH lagen für Investitionen von 13,0 Mio. € weiterhin die Voraussetzungen nicht vor bzw. waren nicht nachgewiesen:

TNr 60 Tab 85 Investitionen ohne Veranlassungszusammenhang (Mio. €)
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Das Wissenschaftsministerium wies zu den Investitionen auf Folgendes hin: Die Beschaffungen seien in eigener Verantwortung der Klinika unter Abwägung medizinischer Aspekte erfolgt. Der hierfür notwendige medizinisch-technische Sachverstand sei ausschließlich an den Klinika vorhanden gewesen. Aufgrund der Komplexität seien Wirtschaftsprüfer mit der Testierung der abgerechneten Kosten im Rahmen von Annex-Prüfungen beauftragt worden. Eigene Prüfungshandlungen des Ministeriums hätten aus verwaltungsökonomischen Gründen und aufgrund zu geringer Personalausstattung nicht gewährleistet werden können.

60.3 Würdigung und Empfehlungen

Die Corona-Pandemie verlangte auch von den Beschäftigten der Klinika und dem Wissenschaftsministerium hohen persönlichen Einsatz. Gleichwohl ist eine den Haushaltsgrundsätzen genügende Mittelverwendung sicherzustellen. Dies gilt umso mehr als kreditfinanzierte Mittel aus dem Sonderfonds Corona-Pandemie nur ganz ausnahmsweise und ausschließlich für die Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen eingesetzt werden dürfen.

Das Wissenschaftsministerium und einzelne Klinika sind dieser besonderen haushalts­rechtlichen Verantwortung nicht ausreichend gerecht geworden. Nach Ansicht des ORH hätte das Wissenschaftsministerium die Voraussetzungen für die Ausgleichszahlungen nicht nur festlegen, sondern auch prüfen müssen, ob die Klinika ausschließlich coronabedingte Mehrbelastungen entsprechend den Vorgaben im Berechnungsschema geltend gemacht haben. Die Annex-Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer ersetzt nicht eigene Prüfungshandlungen des Wissenschaftsministeriums. Obwohl das Wissenschaftsministerium sich mehrfach mit den Ausgleichszahlungen auseinandergesetzt hat, steht eine solche Prüfung weiterhin aus. So fehlte für die Erstattung von 12,5 Mio. € Erlösausfällen der notwendige Corona-Bezug, da es sich letztlich um fiktive Erlöse handelte, wie die Einführung des Postens „Optimierungspotenzial“ ab 2021 zeigt.

Das Wissenschaftsministerium hat es versäumt, Investitionen in Millionenhöhe daraufhin zu überprüfen, ob sie im vorgegebenen Zeitraum getätigt wurden bzw. einen sachlichen Zusammenhang mit der Pandemie aufweisen. Auch bei 2,1 Mio. € Personalkosten ist der Mehraufwand (noch) nicht nachgewiesen.

Von mangelnder Sorgfalt im Umgang mit staatlichen Mitteln zeugt auch, dass ein Klinikum im Zuge der Prüfung durch den ORH eine vollkommen neue Investitionsliste vorlegte, die um 4,7 Mio. € geringer ausfiel.

60.4 Stellungnahme der Verwaltung

Das Wissenschaftsministerium teilt mit, dass die Klinika deutschlandweit eine Vorreiterrolle in der Bekämpfung der Pandemie eingenommen haben. Bei höchster Belastung hätten kurzfristig schwierigste Entscheidungen getroffen werden müssen. Das Wissenschaftsministerium habe die notwendigen Entscheidungen getroffen, um den Betrieb der Klinika aufrechtzuerhalten und sei auch im Rückblick sehr verantwortungsbewusst mit öffentlichen Mitteln umgegangen. Dies zeige sich insbesondere daran, dass auf Veranlassung des Ministeriums die ausgereichten Mittel durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften überprüft und testiert wurden.

Grundlage für die Bemessung der Erlösausfälle sei der durch den Aufsichtsrat beschlossene Wirtschaftsplan. Dieser sei unter Beachtung der Vorschriften zur kaufmännischen Buchführung erstellt worden. Durch die Aufnahme des Postens „Optimierungspotenzial“ auf der Erlösseite sei sichergestellt, dass sowohl die bestehenden Risiken als auch die Ertrags- und Aufwandsseite der Höhe nach korrekt angesetzt seien.

Hinsichtlich des Personalmehraufwands von 2,1 Mio. € teile das Wissenschaftsministerium die Auffassung des ORH, dass nur Mehraufwand erstattungsfähig sei, der zusätzlich zum vorhandenen Personal entstanden sei. Das Klinikum habe nunmehr entsprechende Stellenmehrungen von 2,0 Mio. € dargelegt. Die übrigen 0,1 Mio. € würden zurückgefordert werden. Zurückgefordert würden auch die übrigen 0,2 Mio. € für Investitionen vor dem 16.03.2020.

Hinsichtlich der von einer Klinik neu vorgelegten Liste für Investitionen teilt das Wissen­schaftsministerium mit, dass nunmehr Bestelldaten enthalten seien. Darüber hinaus sei der Vorstand gebeten worden, bis Ende 2023 ein umfassendes Zahlenwerk und einen mit den Wirtschaftsprüfern abgestimmten Sonderbericht zur Abwicklung der Corona-Sonderfonds-Hilfen vorzulegen.

60.5 Schlussbemerkung

Der ORH erkennt die schwierige Lage während der Corona-Pandemie und die damit verbundene Mehrbelastung sowohl bei den Klinika als auch beim Wissenschaftsministerium an. Gleichwohl ist sicherzustellen, dass Mittel aus dem Sonderfonds Corona-Pandemie ausschließlich für die Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen eingesetzt werden.

Die mehrmaligen Korrekturen der Ausgleichszahlungen infolge der ORH-Prüfung zeigen, dass die Annex-Prüfung nur Ausgangspunkt für eigene Prüfungshandlungen des Wissen­schaftsministeriums sein konnte, um seiner haushaltsrechtlichen Verantwortung gerecht werden zu können. Der ORH empfiehlt, die Ausgleichszahlungen zu überprüfen und unberechtigte Zahlungen ggf. zurückzufordern.



[1]     Unterrichtung des Landtags und der Staatsregierung zu ausgewählten Entwicklungen der Haushaltslage 2020 bis 2022 vom Februar 2022, abrufbar unter https://www.orh.bayern.de/berichte/sonderberichte/unterrichtung_2022_aktuelle_entwicklungen_der_haushaltslage.pdf, S. 7.