TNr. 48 Sonderausgabenabzug der Kirchensteuer - Steuererklärung vereinfachen

Obwohl den Finanzämtern in Bayern alle Daten zur richtigen Berechnung vorliegen, sind Millionen fehlerhafter Steuerbescheide mit unzutreffenden Kirchensteuer-Sonderausgaben ergangen, teils zugunsten der Steuerpflichtigen, aber noch häufiger zu deren Lasten. Dem Finanzministerium ist dies seit mindestens 2011 bekannt. Der ORH empfiehlt, die bisherige Verfahrensweise umgehend anzupassen, um die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung herzustellen.
Bei dieser Gelegenheit sollte die Verwaltung mit der Digitalisierung Ernst machen und die vorausgefüllte Steuererklärung um den Kirchensteuer-Sonderausgabenabzug erweitern. Dies würde Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung eine erhebliche Entlastung bringen sowie für weniger Bürokratie und für mehr Rechtssicherheit sorgen.
Der ORH hat 2024 in einer Querschnittsuntersuchung den Sonderausgabenabzug der Kirchensteuer (KiSt) im Veranlagungszeitraum (VZ) 2021 geprüft. Hierzu hat er die bei der Finanzverwaltung vorhandenen Daten zu 514.000 Steuerfällen bei sechs Finanzämtern (FÄ) ausgewertet und 688 Veranlagungen überprüft.
48.1 Ausgangslage
Mehr als 60% der Steuerpflichtigen in Bayern (5,4 Mio.) zahlen KiSt, hauptsächlich an die römisch-katholische und die evangelische Kirche. Die KiSt beträgt 8% der Einkommensteuer (ESt). In Bayern wird sie von den Kirchen selbst durch die Kirchensteuerämter verwaltet. In den übrigen Bundesländern übernehmen die staatlichen FÄ diese Aufgabe.
Gezahlte KiSt ist bei der ESt grundsätzlich als Sonderausgabe abzugsfähig (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Eine Ausnahme gilt bei Einkünften, die nicht der tariflichen ESt, sondern der Kapitalertragsteuer von 25% unterliegen; hier wird der KiSt-Sonderausgabenabzug bereits pauschal im Steuersatz berücksichtigt und darf dann nicht nochmals in der Steuererklärung geltend gemacht werden.[1]
Erstattete KiSt ist mit den Zahlungen zu verrechnen; sind die Erstattungen höher als die Zahlungen, ist der übersteigende Betrag zu versteuern.
Bei der Festsetzung der ESt durchlaufen die Steuerfälle ein elektronisches Risikomanagementsystem.[2] Wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, wird der Steuerbescheid maschinell ohne Zutun eines Bearbeiters erstellt. Andernfalls gibt das Programm Prüf- oder Risikohinweise aus, die personell zu bearbeiten sind. Dies gilt auch für die Prüfung des KiSt-Sonderausgabenabzugs.
48.2 Feststellungen
Im VZ 2021 wurden in Bayern 3,5 Mrd. € KiSt als Sonderausgaben abgezogen und 63 Mio. € als Erstattungsüberhang versteuert.
48.2.1 Datenübermittlung durch die Kirchensteuerämter
Die Kirchensteuerämter übermittelten den FÄ die KiSt-Zahlungen und KiSt-Erstattungen mittels elektronischen Datenaustauschs, getrennt nach abziehbarer KiSt auf tarifliche ESt (§ 32a EStG) und nicht abziehbarer KiSt auf Kapitalertragsteuer.[3] Diese Daten wurden zum jeweiligen Steuerfall gespeichert, aber nur intern für die Bearbeitung in den FÄ; sie wurden nicht den Steuerpflichtigen für ihre elektronische Steuererklärung bereitgestellt (Belegabruf).
Bemerkenswert ist dies deshalb, weil bereits am 29.07.2019 die Bundesregierung auf eine Anfrage im Bundestag zur Vereinfachung der Steuererklärung mitteilte: „Der sogenannte Belegabruf („vorausgefüllte Steuererklärung“) soll sukzessive um weitere für die Steuererklärung relevante Informationen erweitert werden. Dazu gehören beispielsweise: Kirchensteuer-Zahlungen/-Erstattungen, […]“.[4] Da dieses Vorhaben bis dato noch nicht umgesetzt ist, müssen die Steuerpflichtigen weiterhin die gezahlte und erstattete KiSt selbst ermitteln und in ihre Steuererklärung eintragen, obwohl den FÄ die Daten hierzu vorliegen.
48.2.2 Verarbeitung der Kirchensteuer-Daten durch die Finanzämter
Das Steuerprogramm der FÄ verarbeitete die Daten der KiSt-Ämter und glich sie mit den erklärten Sonderausgaben ab. Die Programmroutinen unterschieden dabei trotz deren unterschiedlicher steuerlicher Auswirkung nicht zwischen abziehbarer KiSt auf tarifliche ESt und nicht abziehbarer KiSt auf Kapitalertragsteuer, obwohl die Kirchensteuerämter die Beträge jeweils getrennt übermittelten. So wurden auch die KiSt-Zahlungen und -Erstattungen auf Kapitalertragsteuer fehlerhaft in die Sonderausgabenberechnung mit einbezogen. Dies führte zu falschen, irreführenden Prüfhinweisen, zu Bearbeitungsfehlern und fehlerhaften Steuerbescheiden.
Beispiel:
Als Sonderausgabe wurden zutreffend KiSt-Zahlungen von 2.213 € sowie eine KiSt-Erstattung von 167 € erklärt. Trotzdem wies das Programm auf eine Differenz zur maschinellen Berechnung hin, es werde weniger KiSt geltend gemacht als maschinell ermittelt. Daraufhin berücksichtigte das Finanzamt (FA) unzutreffend auch die nicht abzugsfähige KiSt-Zahlung von 7.761 € auf Kapitalertragsteuer. Nun monierte das Programm keine Abweichung mehr von der maschinellen Berechnung.
Die Problematik ist dem Finanzministerium spätestens seit 2011 bekannt. Aus Gründen der Gleichbehandlung sei entschieden worden, wie die anderen Bundesländer[5] zu verfahren und nur die Gesamtbeträge der KiSt-Zahlungen und -Erstattungen auszuwerten.
Zu fehlerhaften Berechnungen und Prüfhinweisen des Steuerprogramms kam es außerdem in Fällen, in denen sich bei Ehegatten nach Heirat, Trennung oder Wechsel der Veranlagungsart (Zusammen-/Einzelveranlagung) die Steuernummer änderte. Denn die Programmroutine bezog in den Abgleich nur die KiSt-Daten der aktuellen Steuernummer ein. Oft hatten die Kirchensteuerämter Daten aber noch unter einer früheren Steuernummer übermittelt.
48.2.3 Eigener Abgleich durch den ORH
Der ORH wertete im Rahmen der Erhebungen 514.000 Fälle mit einem KiSt-Sonderausgabenabzug von 424 Mio. € im VZ 2021 aus. Der ORH errechnete aus den vorliegenden Daten die als Sonderausgaben abzugsfähigen KiSt und glich diese mit den in den Steuerbescheiden angesetzten Beträgen ab.
Der Abgleich ergab 101.020 Differenzfälle, etwa ein Drittel (31.045) zugunsten der Steuerpflichtigen und zwei Drittel (69.975) zugunsten des Fiskus.
Eine Differenz bedeutete nicht zwangsläufig, dass ein Ansatz fehlerhaft war. Differenzen im Datenabgleich konnten z.B. auch auf bestimmte personelle Eintragungen oder auf nicht elektronisch übermitteltes Kirchgeld zurückzuführen sein. Der ORH untersuchte daher in einer Zufallsstichprobe Differenzfälle genauer.
In 289 zufällig ausgewählten Steuerveranlagungen mit Differenzen betrug die Fehlerquote bei Abweichungen zugunsten der Steuerpflichtigen 77,2 und 95,0% bei Abweichungen zu deren Ungunsten.[6] In weiteren 399 Veranlagungen, die der ORH nach verschiedenen Kriterien (z.B. besonders hohe Differenz) auswählte, war die Fehlerquote vergleichbar hoch. Auf Grundlage der Stichprobe schätzte der ORH die Anzahl der Fälle mit fehlerhaftem Sonderausgabenabzug im VZ 2021 bei den sechs geprüften FÄ auf 90.000[7], bayernweit auf mehrere 100.000.
48.2.4 Einsprüche zum Kirchensteuer-Sonderausgabenabzug
Viele Steuerpflichtige gingen nicht dagegen vor, wenn die FÄ KiSt-Sonderausgaben zu niedrig im Bescheid angesetzt hatten. Einerseits verwiesen die Bescheiderläuterungen auf vorliegende, vom Kirchensteueramt mitgeteilte Daten, andererseits handelte es sich häufig nur um niedrige Beträge. Dennoch birgt jeder unzutreffende Ansatz von KiSt-Sonderausgaben - auch wenn es häufig nur um kleine Beträge geht - das Risiko von Änderungsanträgen oder Rechtsbehelfen mit zusätzlichem Aufwand für Steuerpflichtige und Finanzverwaltung.
Beispiel:
Abweichend von der ESt-Erklärung 2021 setzte das Programm maschinell eine unzutreffende KiSt-Erstattung von 3 € an. Dagegen wandte sich der Steuerpflichtige mit einem Einspruch. Das FA wollte dem Einspruch offensichtlich in vollem Umfang abhelfen (laut Bescheiderläuterung: „Hierdurch erledigt sich Ihr Einspruch …“), versäumte aber, den maschinellen Ansatz zu unterdrücken, sodass die 3 € doch wieder fehlerhaft angesetzt wurden.
Nach einem Vergleich der Eingabewerte zu den KiSt-Sonderausgaben bei Erstveranlagung und letzter Steuerfestsetzung bei 374.737 Fällen schätzt der ORH, dass in etwa 1% aller Steuererklärungen mit erklärten KiSt-Sonderausgaben Einsprüche oder Änderungsanträge folgten.
48.2.5 Arbeitsaufwand durch Hinweise, Änderungsanträge und Einsprüche
Bei fast 14% der kirchensteuerpflichtigen Steuerfälle wurden Prüfhinweise zur KiSt ausgegeben und die Vorgänge waren daher personell zu überprüfen.
Bei jährlich 5,4 Mio. Veranlagungen mit Religionszugehörigkeit (vgl. TNr. 1.1) und einem Anteil von 14% mit einem Hinweis zu den KiSt-Sonderausgaben errechnen sich 750.000 personell zu bearbeitende Steuerfälle. In 1% der Fälle (vgl. TNr. 1.2.4) kommen Änderungsanträge und Einsprüche im Zusammenhang mit KiSt-Sonderausgaben hinzu; das sind weitere 54.000 Vorgänge.
Den durchschnittlichen Zeitaufwand für die Erledigung der Bearbeitungshinweise sowie der Änderungsanträge bzw. Einsprüche schätzt der ORH auf 5 bzw. 10 Minuten. Daraus errechnen sich insgesamt 9.000 Arbeitstage[8] oder 40 Vollzeitkräfte pro Jahr.
48.3 Würdigung und Empfehlungen
Die Finanzverwaltung ist seit Jahren bemüht, die Digitalisierung in der Steuerverwaltung voranzutreiben. Mit der vorausgefüllten Steuererklärung und dem Belegabruf soll den Steuerpflichtigen das Erstellen ihrer ELSTER-Steuererklärungen erleichtert werden. Mehrere elektronische Daten und Bescheinigungen, wie etwa Lohnbescheinigungen, Rentenmitteilungen oder Beiträge zu Kranken-/Pflegeversicherungen, werden so bereitgestellt. Die KiSt-Zahlungen und -Erstattungen gehören nicht dazu, obwohl es seit Jahren erklärtes Ziel ist und dadurch hoher bürokratischer Aufwand entfiele.
48.3.1 Vorausgefüllte Steuererklärung mit den elektronischen Kirchensteuer-Daten
Für Steuerpflichtige wäre es von Vorteil, wenn ihnen die KiSt-Zahlungen und -Erstattungen über den Belegabruf zur Verfügung gestellt werden würden. Für sie entfiele damit die manuelle Übernahme der Daten aus den KiSt-Bescheiden in die Steuererklärung.
Die Finanzverwaltung hätte den Vorteil, dass KiSt-Sonderausgaben in deutlich mehr Fällen als bisher richtig erklärt würden und so viel weniger Prüfhinweise zu bearbeiten wären. Überdies würden mehr Fälle vollmaschinell veranlagt und Einsprüche wegen fehlerhafter KiSt-Berücksichtigung entfallen. Allein den bisher darauf entfallenden Arbeitsaufwand schätzt der ORH auf 9.000 Arbeitstage jährlich oder 40 Vollzeitkräfte.
Die schon seit Jahren angekündigte Einbeziehung der KiSt in die vorausgefüllte Steuererklärung würde sowohl für die Steuerpflichtigen wie für die Finanzverwaltung eine erhebliche Entlastung bringen sowie für weniger Bürokratie und mehr Rechtssicherheit sorgen. Der ORH empfiehlt, sich für eine schnellstmögliche Umsetzung einzusetzen.
48.3.2 Automationsgestützte und programmgesteuerte Übernahme der Kirchensteuer-Erstattungen
Obwohl die Kirchensteuerämter in den übermittelten Daten die KiSt getrennt nach tariflicher ESt und Kapitalertragsteuer ausweisen, wird bei der maschinellen Berechnung nicht differenziert und auch die KiSt auf Kapitalertragsteuer einbezogen. Dies widerspricht § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG und führt massenweise zu fehlerhaften Steuerbescheiden.
Seit 2011 sind Millionen Steuerbescheide mit unzutreffendem Ansatz der KiSt-Sonderausgaben ergangen, teils zugunsten der Steuerpflichtigen, aber noch häufiger zu deren Lasten. Der ORH hält dies für nicht hinnehmbar und empfiehlt dringend, eine Lösung ggf. auch allein für Bayern zu realisieren, um die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen.
48.3.3 Maschinelle Übernahme der Kirchensteuer-Sonderausgaben
Die korrekt berechneten KiSt-Sonderausgaben sollte das Festsetzungsprogramm der Finanzverwaltung außerdem automatisch in die Veranlagung übernehmen können. Dies setzt eine Gesamtbetrachtung aller KiSt-Zahlungen und -Erstattungen eines Steuerpflichtigen voraus, auch nach einem Steuernummernwechsel.
Solange für die zutreffende Zuordnung der KiSt-Zahlungen und -Erstattungen über die Steueridentifikationsnummer oder durch Zusammenführung mehrerer Steuernummern zu einem Gesamtfall noch keine Lösung gefunden ist, sollten Bearbeitungshinweise deutlich auf diese Einschränkung beim Abgleich hinweisen.
48.4 Stellungnahme der Verwaltung
Laut Finanzministerium wurde anlässlich der ORH-Prüfung die damalige Entscheidung, aus Gründen der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen im Bundesgebiet auch in Bayern nur die Gesamtbeträge der KiSt-Zahlungen und -Erstattungen auszuwerten, kritisch hinterfragt. Zukünftig sollen in Bayern die abzugsfähige bzw. nicht abzugsfähige KiSt rechtlich richtig einbezogen werden. Das Finanzministerium habe hierzu bereits das Landesamt für Steuern um Prüfung und Änderung der Programmroutinen gebeten.
Das Finanzministerium befürwortet grundsätzlich eine Anbindung des KiSt-Sonderausgabenabzugs an die vorausgefüllte Steuererklärung. Diese sei technisch möglich, allerdings reiche die Datenqualität hierfür noch nicht aus, weil bei Einzelveranlagung konfessionsgleicher Ehegatten eine rechtskonforme KiSt-Aufteilung erforderlich sei. Zudem wäre in allen anderen Ländern außer Bayern eine Aufteilung nach abzugsfähiger und nicht abzugsfähiger KiSt nicht möglich. Eine bundesweit einheitliche Lösung könnte deshalb erst nach einer Verbesserung des Erhebungsverfahrens umgesetzt werden.
48.5 Schlussbemerkung
Obwohl den FÄ in Bayern alle Daten zur korrekten Berechnung vorliegen, sind Millionen fehlerhafter Steuerbescheide mit unzutreffenden KiSt-Sonderausgaben ergangen, teils zugunsten der Steuerpflichtigen, aber noch häufiger zu deren Lasten. Dem Finanzministerium ist dies seit mindestens 2011 bekannt. Der ORH empfiehlt, die bisherige Verfahrensweise umgehend anzupassen, um die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung in diesem Punkt herzustellen.
Bei dieser Gelegenheit sollte die Verwaltung mit der Digitalisierung Ernst machen und die vorausgefüllte Steuererklärung um den KiSt-Sonderausgabenabzug erweitern. Dies würde für Steuerpflichtige und Finanzverwaltung eine erhebliche Entlastung bringen sowie für weniger Bürokratie und für mehr Rechtssicherheit sorgen. Soweit dafür die Datenqualität in speziellen Fällen tatsächlich noch nicht ausreicht, sollte sich das Finanzministerium um eine Lösung bemühen.
[1] Der Kapitalertragsteuersatz von 25 % gemäß § 32d Abs. 1 EStG ermäßigt sich bei 8 % KiSt auf 24,51 %.
[2] ORH-Bericht 2022 TNr. 51.
[3] In den anderen Bundesländern, in denen die FÄ die KiSt verwalten, ist diese detaillierte Aufgliederung aus technischen Gründen bislang nicht möglich.
[4] BT-Drs. 19/11987 vom 29.07.2019.
[6] 189 Differenzen über 100 € (durchschnittlich 478 €), 100 Differenzen unter -100 € (durchschnittlich -437 €).
[7] 77,2 % von 31.045 zuzüglich 95 % von 69.975 ergibt 90.443.
[8] 750.000 multipliziert mit 5 Min. zuzüglich 54.000 multipliziert mit 10 Min. ergeben 4.290.000 Min. dividiert durch 60 Minuten und dividiert durch 8 Stunden ergibt 8.937 Arbeitstage.