TNr. 53 Naturoffensive Bayern: Alpinium

Mit dem Alpinium sollte im Allgäu ein Leuchtturmprojekt der 2018 beschlossenen „Naturoffensive Bayern“ entstehen. Die Staatsregierung stellte der Region ein Investitionsvolumen von 15 Mio. € sowie jährlich 500.000 € für den laufenden Betrieb und 20 Stellen in Aussicht.
Die Voraussetzungen für eine zügige Planung und Umsetzung der Neubauten für das Alpinium konnten bis heute nicht geschaffen werden. Das Umweltministerium sollte deshalb prüfen, ob eine Integration des Alpiniums ohne Neubauten in die zwischenzeitlich gut entwickelte naturtouristische Infrastruktur der Region wirtschaftlicher und zielführender wäre.
Der ORH hat 2023/2024 zusammen mit dem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt Regensburg das „Alpinium - Zentrum Naturerlebnis alpin“[1] geprüft (im Folgenden: Alpinium). Das Alpinium ist Bestandteil der „Naturoffensive Bayern“. Schwerpunkte der Prüfung waren der wirtschaftliche Einsatz der Haushaltsmittel und die Umsetzung der Ziele.
53.1 Ausgangslage
Die Staatsregierung beschloss 2018[2] eine „Naturoffensive Bayern“. Ziel war, den Natur- und Artenschutz in ganz Bayern zu stärken sowie Lebensräume, Artenreichtum und das Naturerlebnis zu fördern. Mit zukunftsweisenden Projekten sollten die Besonderheiten der jeweiligen Region unterstrichen und vernetzt werden.
Ein sogenanntes Leuchtturmprojekt der Naturoffensive sollte im Allgäu mit dem Alpinium in der Nähe des Riedberger Horns entstehen. Das Umweltministerium plante den Neubau eines Verwaltungszentrums mit Erlebnisausstellung am Standort Obermaiselstein sowie eines Informations- und Umwelterlebniszentrums am Standort Balderschwang als staatliche Einrichtungen. Die Fahrstrecke zwischen den beiden Orten beträgt 14 km.
Das Alpinium soll Impulsgeber für einen natur- und klimaverträglichen Tourismus und innovative Umweltbildungsangebote sein. Ferner soll es als Kompetenzstelle für ökologische Fragestellungen des Alpenschutzes dienen. Es soll eng mit dem bestehenden Naturpark Nagelfluhkette kooperieren, in dem die beiden Standort-Gemeinden liegen. Die Staatsregierung hat diesen ein Investitionsvolumen von 15 Mio. € und jährlich 500.000 € für den laufenden Betrieb sowie 20 Personalstellen in Aussicht gestellt. Im Doppelhaushalt 2019/2020 wurden für staatliche Hochbaumaßnahmen in Obermaiselstein und Balderschwang Finanzmittel von 16,5 Mio. € veranschlagt.[3]
53.2 Feststellungen
53.2.1 Start des Alpiniums
Im Mai 2018 richtete die Regierung von Schwaben einen Aufbaustab für das Alpinium ein. Im September 2018 nahm das Alpinium den Betrieb in Obermaiselstein auf. Die dortigen Mitarbeiter führen seitdem u.a. Maßnahmen zur Besucherlenkung und ein Monitoring zu Flora, Fauna und Freizeitnutzung durch. Im Bereich Naturerlebnis und Umweltbildung bieten sie u.a. Führungen an. Der Freistaat mietete für das Alpinium in Obermaiselstein Räume in zwei Gebäuden an: einzelne Zimmer in einem ehemaligen Schulgebäude und eine ehemalige Bankfiliale. In Balderschwang hat das Alpinium bisher keinen Standort.
Die Sanierungs- und Umbaukosten für die angemieteten Räume betrugen 90.000 €. Für die geplanten Neubauvorhaben wurden bisher keine Finanzmittel eingesetzt. Insgesamt gab der Freistaat 2018 bis 2023 für das Alpinium 4,03 Mio. € aus, davon 2,5 Mio. € für Personal.[4]
53.2.2 Vorhandene Naturtourismus-Angebote in der Nachbarschaft des Alpiniums
Die Gemeinden Obermaiselstein mit rd. 1.000 Einwohnern und Balderschwang mit rd. 400 Einwohnern sind Mitglieder im Trägerverein des Naturparks Nagelfluhkette, der 18 Gemeinden in Bayern und Österreich umfasst. In der näheren Umgebung sind bereits Naturtourismus-Angebote mit ähnlicher Thematik vorhanden:
Bereits 2010 bis 2012 errichtete die Gemeinde Immenstadt gemeinsam mit dem Bund Naturschutz - Ökostation Schwaben e.V. mit dem „AlpSeeHaus“ ein Naturparkhaus im Naturpark Nagelfluhkette. Seit 2013 besteht dort eine Naturparkausstellung. Die Fahrstrecke nach Obermaiselstein beträgt 17 km.
Im Juli 2018 kündigte die Staatsregierung die Einrichtung von sogenannten Naturparkzentren in Bayern an. Das erste Naturparkzentrum entstand im September 2021 aus dem „AlpSeeHaus“.[5] Das Umweltministerium förderte den laufenden Betrieb dieses Zentrums von 2022 bis 2024 mit insgesamt 600.000 €. Neben Ausstellungsräumen befinden sich dort ein Shop, eine Gaststätte sowie die regionale Tourismusinformation. Das Naturparkzentrum wird jährlich von 60.000 Personen besucht und bietet ganzjährig ein umfassendes Veranstaltungsprogramm an.
Die Ausstellung im Naturparkzentrum soll 2025/2026 für ca. eine Mio. € vollständig erneuert und erweitert werden. Die Naturparkverwaltung rechnet dabei mit einer Förderung durch den Freistaat von bis zu 90%.
Seit 2012 gibt es in der Region zudem das „Naturerlebniszentrum Allgäu“, das seit 2013 auch als Umweltstation staatlich anerkannt ist. Träger ist der Bund Naturschutz - Ökostation Schwaben e.V. Das Zentrum soll im gesamten Allgäu Aktivitäten zur Umweltbildung und zu umweltverträglichem Naturerlebnistourismus koordinieren. Bis Ende 2019 war das Zentrum im Naturparkhaus in Immenstadt untergebracht, seit Anfang 2020 verfügt es über einen eigenen Standort in Sonthofen. Die Fahrstrecke von Sonthofen nach Obermaiselstein beträgt 11 km.
Die Standorte für die bestehenden bzw. geplanten naturtouristischen Einrichtungen sind in Abbildung 33 kenntlich gemacht:

Nach Auskunft des Umweltministeriums sei bei der Standortentscheidung für das Alpinium die in der näheren Umgebung bereits bestehende Infrastruktur nicht berücksichtigt worden.
53.2.3 Überlegungen zu Neubauten und zur Konzeption für das Alpinium
Seit 2018 befindet sich das Umweltministerium in Diskussionen mit den Gemeinden Obermaiselstein und Balderschwang ob, wo und wie die angedachten Neubauten umgesetzt werden können.
Laut Umweltministerium sollte ursprünglich ein Gesamtkonzept für das Alpinium erarbeitet werden, das u.a. die Tätigkeitsfelder und die fachlichen Schwerpunkte näher konkretisiert. Ferner sollte es die Ausgestaltung der beiden Standorte sowie deren Verknüpfung beinhalten.
Als Grundlage gab die Regierung von Schwaben 2021 eine Potenzialanalyse in Auftrag. Die Kosten beliefen sich auf 40.000 €. Die Ergebnisse lagen im Februar 2022 vor.
Die Potenzialanalyse ergab, dass das geplante Alpinium mit vorhandenen Angeboten wie u.a. dem Naturparkzentrum in Immenstadt und dem Naturerlebniszentrum in Sonthofen konkurrieren würde. Zudem sollten die Alpinium-Standorte in Obermaiselstein und Balderschwang mit einheitlichen Gestaltungselementen versehen werden, damit das Gesamtkonzept für die Nutzer erkennbar wird.
Im März 2024 teilte das Umweltministerium dem ORH mit: Die ursprünglich geplanten Neubauten für das Alpinium in Obermaiselstein und Balderschwang seien schwer realisierbar. Daher werde seit November 2023 statt eines Gesamtkonzepts[6] ein sogenanntes Fachkonzept[7] erstellt. Ein Standortkonzept[8] könne erst realisiert werden, wenn ausreichend Sicherheit bzgl. der Standorte für die Neubauten bestehe. Im Fachkonzept solle die inhaltliche Ausrichtung des Alpiniums unabhängig von den Standortfragen festgehalten werden.
53.3 Würdigung und Empfehlungen
Der ORH vermisst die Erstellung eines Gesamtkonzepts vor Betriebsaufnahme des Alpiniums, das sowohl ein Standort- als auch ein Fachkonzept beinhaltet und die bereits bestehenden Einrichtungen in der Region angemessen berücksichtigt. Denn es befinden sich in der Nähe zum Alpinium mit dem Naturparkzentrum in Immenstadt und dem Naturerlebniszentrum Allgäu in Sonthofen bereits mehrere etablierte naturtouristische Angebote, die mit Landesmitteln unterstützt wurden bzw. werden. Soweit das Alpinium hierzu in Konkurrenz tritt, ist ein wirtschaftlicher Finanzmitteleinsatz aus Sicht des ORH fraglich.
Der ORH empfiehlt,
- eine Konkurrenzsituation zu vorhandenen naturtouristischen Angeboten in der Region möglichst zu vermeiden und
- zu prüfen, ob eine Integration des Alpiniums ohne Neubauten in die bereits bestehende naturtouristische Infrastruktur der Region wirtschaftlicher und zielführender wäre.
53.4 Stellungnahme der Verwaltung
Das Umweltministerium teilt mit, dass die Aussagen der Potenzialanalyse von 2022 insbesondere zum Standort des geplanten Neubaus in Obermaiselstein teilweise überholt seien. Der zum Zeitpunkt der Analyse geplante Standort sei nicht mehr aktuell. Die Handlungsempfehlungen der Potenzialanalyse würden laufend dahingehend überprüft, inwieweit ihre Umsetzung sinnvoll und finanzierbar sei. Derzeit werde ein Fachkonzept mit den lokalen Akteuren abgestimmt und voraussichtlich im Frühjahr 2025 fertiggestellt sein.
Das Umweltministerium bestätigt, dass im Umfeld des Alpiniums bereits weitere Akteure im Bereich des Naturschutzes aktiv seien. Hier sei in der Vergangenheit und auch weiterhin ein hohes Maß an Abstimmung und Kommunikation erforderlich. Das Alpinium werde Parallelstrukturen zu bestehenden Naturschutzinstitutionen vermeiden.
Bezüglich der weiteren Umsetzung des Alpiniums sei das Umweltministerium in einem konstruktiven Austausch mit den Gemeinden und werde weiter darauf achten, dass die Kosten in einem vertretbaren Rahmen bleiben. Eine Abstimmung mit den Standortgemeinden sei aus seiner Sicht notwendig und sinnvoll, auch wenn diese zeitintensiv sei.
53.5 Schlussbemerkung
Die Voraussetzungen für eine zügige Planung und Umsetzung der Neubauten für das Alpinium konnten bis heute nicht geschaffen werden. Das Umweltministerium sollte deshalb prüfen, ob eine Integration des Alpiniums ohne Neubauten in die zwischenzeitlich gut entwickelte naturtouristische Infrastruktur der Region wirtschaftlicher und zielführender wäre.
[1] Bezeichnung bis September 2021 „Zentrum Naturerlebnis alpin“.
[2] Kabinettsbeschluss vom 31.07.2018.
[3] Davon Ausgabemittel von 500.000 € sowie Verpflichtungsermächtigungen von 8 Mio. € für 2019 und 8 Mio. € für 2020.
[4] Die weiteren Ausgaben entfielen insbesondere auf Kosten für Projekte wie z.B. die Errichtung zweier sogenannter Themenwege für insgesamt 640.000 € sowie Veranstaltungen und Naturführungen für Dritte.
[5] Pressemitteilung des Umweltministeriums Nr. 144 vom 28.09.2021, abrufbar unter https://www.stmuv.bayern.de/aktuell/presse/pressemitteilung.htm?PMNr=144/21.
[6] Das Gesamtkonzept bestünde aus einem Fachkonzept und einem Standortkonzept.
[7] Das Fachkonzept soll die Tätigkeitsfelder, fachlichen Schwerpunkte und geplanten Maßnahmen konkretisieren.
[8] Das Standortkonzept soll die Ausgestaltung der geplanten Standorte konkretisieren